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# taz.de -- Neuer Roman von Jacqueline Woodson: Erinnerung lebendig halten
> Die Schriftstellerin Jacqueline Woodson erzählt in ihrem Roman „Alles
> glänzt“ von einer Schwarzen Familie. Diese ist von rassistischer Gewalt
> geprägt.
Bild: Die Autorin Jacqueline Woodson
[1][„Our stories matter“], dieser Überzeugung folgt die afroamerikanische
Schriftstellerin Jacqueline Woodson seit Langem: Über 30 Bücher für Kinder
und Jugendliche hat die vielfach preisgekrönte Autorin bereits aus der
Perspektive Schwarzer Menschen und PoC geschrieben. Nur zwei Titel wurden
bislang ins Deutsche übersetzt, jetzt kann man sie mit ihrem zweiten Roman
für Erwachsene entdecken.
In „Alles glänzt“ erzählt die 58-Jährige, die mit ihrer Lebensgefährtin…
zwei Kindern in New York lebt, von einer Schwarzen Familie aus der Sicht
von fünf Personen: Iris bringt Mitte der 80er Jahre im Alter von 16 Jahren
ihre Tochter Melody zur Welt, zunächst ein Schock für ihre Mutter Sabe.
Doch Iris will das Kind behalten.
Bald nach der Geburt aber wird deutlich, dass sie sich ein Familienleben
mit dem ebenfalls jungen Vater Aubrey nicht vorstellen kann: „Sie hatte nie
davon geträumt, Mutter zu sein. Wenn sie sich ihre Zukunft ausmalte, sah
sie das College und irgendeinen coolen Job (…). Aubrey sah sie dort nicht.“
Ihre Pläne sind ambitionierter als die Aubreys. Zum Studieren zieht sie
weit fort, kehrt nur für seltene Besuche nach New York zurück, die kleine
Tochter bleibt beim Vater, der sich hingebungsvoll um sie kümmert.
Das erste Kapitel setzt im Jahr 2001 ein, am 16. Geburtstag Melodys. Ihre
Stimme ist als erste zu hören. Im stetigen Wechsel schlüpft die Autorin
dann in die Perspektiven auch von Aubrey, Iris und bezieht auch deren
Eltern Sabe und Po’Boy ein. Es geht um vielerlei Konflikte; aber auch um
viele Arten von Liebe, etwa zwischen Melody und ihrem Vater, Großeltern und
Enkelin, die des jungen und des alten Paares. Es geht um die Erfahrung von
Rassismus in der Vergangenheit und Gegenwart – und eine verbindende
Widerständigkeit dagegen.
Der Fortgang Iris’, die damit einhergehenden Kränkungen bilden eine Art
Zentrum, um das die Stimmen kreisen. Doch von diesem gleichsam wunden Punkt
aus zieht Woodson viele weitere Erzähllinien, die damit feinsinnig
verbunden sind.
So erschließt sich die anfangs wütende Reaktion Sabes auf die
Schwangerschaft genauer, wenn diese weit in ihre von rassistischer Gewalt
tief geprägte Familiengeschichte zurückgeht. Ihre Großeltern [2][überlebten
1921 das brutale Massaker von Tulsa in Oklahoma], verloren dabei ihre
wirtschaftliche Existenz. Diese Erfahrungen prägen die folgenden
Generationen. Dass ihre Tochter die eigene Zukunft nun so leichtfertig zu
verspielen scheint, ist für Sabe vor diesem Hintergrund schwer zu ertragen.
Das Lebendighalten von Erinnerung spielt eine wichtige Rolle, nur so können
sich die Figuren in der Gegenwart verorten. Dem entspricht Woodsons
Verfahren, zwischen verschiedenen Erzählgegenwarten vor- und
zurückzuspringen, von denen aus diese sprechen und sich wiederum erinnern.
So gehen einige Kapitel zurück ans Ende der 80er Jahre, wo wir Iris am
College sehen, in der Auseinandersetzung mit ihren Wünschen und
Entscheidungen. Und wo sie sich heftig in eine Kommilitonin verliebt.
Woodson begegnet all ihren Figuren mit Sympathie, einer Wärme, die den Ton
des ganzen Buches prägt. Auch Iris’ Wünsche lässt sie als völlig legitim
gelten, statt darin ein Versagen als Mutter nahezulegen. Erfrischend ist
auch die Selbstverständlichkeit, mit der sie die Rollenverteilung des
Paares tauscht.
Wie ein Puzzle setzt Woodson die Stimmen und Zeitebenen zur
vielschichtigen Geschichte einer Schwarzen Familie zusammen. Diese ist
durchlässig in die Vergangenheit, geschrieben auch „für die Ahnen, eine
lange, lange Linie von euch, sich krümmend und windend“, und hoffnungsvoll
für die Gegenwart und Zukunft..
30 Sep 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Carola Ebeling
## TAGS
Black Lives Matter
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Roman
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Historischer Roman
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