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# taz.de -- Prozess gegen Lina E.: Die Beweislage bleibt wacklig
> Im Prozess gegen Lina E. sagt ein angegriffener Nazi aus – kann die
> Angeklagte aber nicht identifizieren. Einer Frau traue er die Tat ohnehin
> nicht zu.
Bild: Freiheit für Lina E.: Protest vor dem Oberlandesgericht Dresden beim Pro…
Dresden taz | Er sei wie jeden Morgen, gegen 7.15 Uhr, aus dem Haus
getreten, als hinter der Hecke plötzlich vier Vermummte auf ihn zugestürmt
seien, berichtet Enrico B. Mit Schlägen gegen den Kopf und Tritte gegen die
Knie hätten sie ihn traktiert, auch mit Pfefferspray, er sei zu Boden
gegangen.
Wie Kampfsportler hätten die Angreifer gewirkt, „mit höchster Effizienz“
hätten sie zugeschlagen. „Ihr sollt auf den Kopf treten“, habe ein
Angreifer gerufen. „Das tat man dann auch.“ Als immer mehr Nachbarn aus den
Fenstern geschaut hätten, seien die Vermummten wieder weggerannt. Seine
Kniescheibe sei zertrümmert gewesen, noch Tage später habe man den Abdruck
eines Schuhprofils in seinem Gesicht sehen können.
Enrico B., ein langjähriger Leipziger Rechtsextremist, schildert dies am
Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Dresden, im [1][Prozess gegen Lina E.
und drei Mitangeklagte]. Die verfolgen die Ausführungen regungslos, über
Stunden zieht sich die Befragung.
Es ist auch der Angriff auf Enrico B., wegen dem die Angeklagten seit zwei
Wochen vor Gericht sitzen. Am 2. Oktober 2018 sollen vier Vermummte den
heute 38-Jährigen vor seinem Haus niedergeprügelt haben. Eine von ihnen
laut Anklage: Lina E.
## Die Angeklagten schweigen weiter
Und laut der Anklage sei dieser Angriff nur der Auftakt einer Serie von
sechs Überfällen auf Rechtsextreme in Leipzig, Eisenach und Wurzen gewesen.
Die Bundesanwaltschaft sieht eine kriminelle linksextreme Vereinigung am
Werk. Die Angreifer seien mit äußerster Gewalt und teils mit
Schlagwerkzeugen vorgegangen, die Opfer massiv verletzt worden. Es ist
[2][die schwerste Anklage der Bundesanwaltschaft gegen Autonome seit
Jahren.]
Die Frage bleibt nur: Sitzen auch die Richtigen auf der Anklagebank?
Lina E. und die drei mitangeklagten Männer schweigen dazu, ihre
Anwält:innen ziehen es in Zweifel. Und auch Enrico B. kann am Mittwoch
zu dieser Frage nicht viel beitragen. Der Leipziger ist seit Jahren in der
rechtsextremen Szene aktiv, einst bei der NPD, aktuell auch mit einem
Szeneversand. Er ist vielfach vorbestraft, momentan wird auch zu einer
möglichen Falschaussage vor Gericht ermittelt. Wiederholt wandte sich
Enrico B. zudem selbst an die Polizei, um ihnen „Ansätze“ für Ermittlungen
gegen Linke zu geben.
Schon deshalb halten die Verteidiger:innen Enrico B. für wenig
glaubwürdig. Auch bei der Befragung am Mittwoch kritisieren sie, dass der
Neonazi offenbar die Ermittlungsakte gelesen habe und diese teils
„nachplappert“.
## „Sportlich-kräftig“ seien die Angreifer gewesen
Auch Richter Hans Schlüter-Staats ermahnt den Rechtsextremen, nur eigene
Erinnerungen zu schildern. Als Enrico B. auch Fragen danach ausweicht, wie
andere ihn politisch einordnen würden und behauptet, außer ein paar Linken
und Grünen würde ihn die Bevölkerung sicher nicht für rechtsradikal halten,
ermahnt ihn Schlüter-Staats, wahrheitsgemäß zu antworten und auf
„Wortklauberei“ zu verzichten.
Was Enrico B. aber zum Tathergang aussagt, dürfte der Verteidigung
gefallen. Befragt nach den Angreifern, kann er nur sagen, dass diese
„sportlich-kräftig“ gewesen seien, etwas größer als er, der Statur nach
Männer. Aber sie hätten Sturmhauben getragen, die Gesichter seien nicht zu
erkennen gewesen.
Die Bundesanwaltschaft hakt nach: Ob die Täter wirklich nur Männer waren?
Enrico B. bleibt dabei: „Ich habe sie als männlich wahrgenommen.“ Und: „…
habe, ohne chauvinistisch zu sein, einer Frau so einen Übergriff einfach
nicht zugetraut.“
Schon in den Prozesstagen zuvor konnten auch Zeuginnen des Überfalls Lina
E. nicht identifizieren. Eine Passantin will womöglich eine Frau mit
Bobfrisur erkannt haben, eine andere eine mit blonder Strähne. Für die
Verteidiger:innen taugt das nicht: Die Beschreibungen widersprächen
sich, keine passe auf Lina E. Und Enrico B. habe nun ja überhaupt keine
Frau wahrgenommen.
## Was taugt die DNA-Spur?
Am Tatort fanden Ermittler allerdings auch noch eine DNA-Mischspur an einem
Plastikbeutel, welche die Ermittler Lina E. zurechnen. Aber auch hier
ziehen die Verteidiger:innen in Zweifel, wie aussagekräftig die Spur
ist und ob wirklich sicher gesagt werden kann, dass sie von Lina E. kommt.
Schon vor einer Woche sagte ein weiterer Angegriffener im Prozess aus,
Tobias N. Der Kanalarbeiter war im Januar 2019 in Leipzig-Connewitz
überfallen worden, wohl weil er eine rechtsextreme Mütze trug. Ein
Vermummter habe ihm plötzlich ins Gesicht geschlagen, sagte Tobias N. vor
Gericht. Dann seien Schläge von mehreren Seiten gefolgt. Er habe sich den
Angriff lange nicht erklären können, die Marke seiner Mütze angeblich nicht
gekannt.
Identifizieren konnte Tobias N. die Angreifer ebenfalls nicht. Und auch ein
Arbeitskollege sprach vor Gericht nur von „einem Mädchen“, das beim Angriff
dabei gewesen und einen Reizgasbehälter gehalten habe. Er solle ruhig
bleiben, von ihm wolle man nichts, habe sie zu ihm gesagt. Es gehe um
seinen Kollegen, der ein „Nazi“ sei und „es verdient“ habe.
Die Anklage stützt sich hier noch auf ein abgehörtes Gespräch aus dem Auto
eines der Mitangeklagten. „Das waren wir“, soll dort der Lebensgefährte von
Lina E. über den Angriff auf den Kanalarbeiter gesagt haben. Die
Verteidigung hält den Satz dagegen für mehrdeutig. Wen meint „wir“? Eine
genaue Gruppe, und wenn ja, welche? Oder die Szene? Noch dazu seien die
abgehörten Gespräche nicht im Prozess verwendbar, weil sie aus einem
anderen Verfahren stammen.
In den kommenden Wochen sollen auch noch die anderen angegriffenen
Rechtsextremen aussagen, dazu zahlreiche Ermittler:innen und
Gutachter:innen. Angesetzt ist der Prozess bis März 2022.
22 Sep 2021
## LINKS
[1] /Prozess-gegen-Linksradikale-in-Dresden/!5795698
[2] /Lina-E-vor-Gericht/!5794248
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Gerichtsprozess
Schwerpunkt Neonazis
Lina E.
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Autonome Szene
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