# taz.de -- Die CDU leidet an Armin Laschet: „Wenn das hier keine Krise ist“ | |
> Das Wahldebakel im Bund erschüttert die CDU tief. Im Westen herrscht | |
> Agonie, im Osten wächst die Wut. | |
Bild: Die Wahlplakate können dann mal ins Altpapier … | |
STUTTGART/HOFHEIM AM TAUNUS/LEIPZIG taz | Am [1][Tag zwei nach der | |
Bundestagswahl] ist in Stuttgart die Landespressekonferenz voll besetzt, in | |
der die grün-schwarze Regierung Journalisten jeden Dienstag Auskunft über | |
aktuelle Fragen gibt. Winfried Kretschmann hat den CDU-Chef Thomas Strobl | |
mitgebracht, weil er sich wohl schon gedacht hat, dass der heute ein paar | |
Fragen beantworten muss. Die beiden haben erst im März gegen erheblichen | |
Widerstand ihr Bündnis durchgeboxt, obwohl auch eine Ampel möglich gewesen | |
wäre. Haben sie auf das falsche Pferd gesetzt? | |
Strobl, wie immer braun gebrannt, betont, „der Wahlausgang in Berlin wird | |
uns in Stuttgart nicht durcheinanderbringen“. Immerhin hätte es seine | |
Partei hier im Ländle vergangenen Sonntag mit fast 25 Prozent auf Platz | |
eins geschafft. Das sei ihr sonst in keinem Bundesland mehr gelungen, sagt | |
Strobl. Der Juniorpartner der Grünen ist bescheiden geworden. | |
Wie man das Ausmaß der Krise einschätzt, ist auch immer eine Frage der | |
unmittelbaren Betroffenheit. Anruf bei Rahsan Dogan, CDU-Stadträtin in | |
Karlsruhe und Vertreterin der Frauenunion. In der Stadt nahe dem Rhein hat | |
die Union zum ersten Mal überhaupt ihr Direktmandat verloren. 18 Jahre saß | |
Ingo Wellenreuther, einer breiteren Fußballöffentlichkeit eher als früherer | |
Präsident des Karlsruher SC bekannt, direkt gewählt im Bundestag. Jetzt hat | |
ihn die 26-jährige Grüne Zoe Mayer geschlagen. „Was ist denn eine Krise, | |
wenn das hier keine ist?“, fragt Dogan und lacht bitter auf. Der Karlsruher | |
CDU gehe es da wie den Parteifreunden in Stuttgart oder Freiburg. | |
Die noch immer schwarze Landkarte der Direktmandate im Südwesten hat in den | |
Ballungszentren grüne Flecken bekommen. Der Konservatismus von gestern | |
schlägt die urbanen Wähler in die Flucht – Profillosigkeit aber auch. In | |
den Großstädten müsse die Partei eigentlich die bürgerliche Mitte | |
repräsentieren, sagt Dogan. Aber auch diese Wählerklientel geht verloren. | |
„Agonie“ ist das Wort, das Reinhard Löffler einfällt, wenn er an seine | |
Partei denkt. „Wir haben noch Glück gehabt“, sagt der 67-jährige | |
Stuttgarter Landtagsabgeordnete am Telefon. Denn hätten sich die Grünen in | |
den Wahlkreisen mit der SPD abgesprochen, hätten sie der CDU noch viel mehr | |
Direktmandate abnehmen können. Löffler ist ein frei flottierender | |
Konservativer, seine Sicht unterscheidet sich grundsätzlich von der seiner | |
Karlsruher Parteifreundin Dogan. | |
Die CDU hält Löffler für inhaltlich führungslos, im Land wie im Bund. Man | |
habe der [2][AfD zu viele konservative Wähler] überlassen, obwohl sie | |
eigentlich eine rechtsradikale Partei sei. Familie und | |
Leistungsbereitschaft, das seien doch einmal die Werte der CDU gewesen. | |
„Die Mitglieder stehen nicht hinter Laschet“, sagt Löffler. „Die stehen | |
auch nicht hinter Strobl.“ | |
## Warum ein CDU-Bürgermeister sich die Ampel wünscht | |
„Konservativer werden ist keine Lösung“, meint hingegen Stephan Neher. | |
Stattdessen solle man doch konservative Themen wie Familienwerte, | |
Selbständigkeit, Leistung auch mal so interpretieren, dass sich auch | |
türkische und andere migrantische Communitys davon angesprochen fühlen. | |
Neher, Oberbürgermeister von Rottenburg am Neckar ist einer der liberalen | |
Geister in der Ländle-CDU. 2015 [3][bekannte sich Neher nachdrücklich zur | |
Flüchtlingspolitik Angela Merkels], im vergangenen Jahr schmiedete er mit | |
anderen Stadtoberhäuptern in ganz Europa das Seebrückenbündnis zur Aufnahme | |
von Geflüchteten. | |
Er empfiehlt seiner Partei jetzt die Opposition. Einer möglichen | |
Ampel-Koalition kann er sogar etwas Positives abgewinnen: Sein | |
Seebrückenbündnis habe mit CSU-Innenminister Seehofer nie ein echtes | |
Gespräch über die Aufnahme von Flüchtlingen führen können. „Bei einer Am… | |
hoffe ich da schon auf mehr Offenheit“, sagt Neher. | |
Auf dem kleinen Parteitag der hessischen CDU in der Hofheimer Stadthalle | |
herrscht Niedergeschlagenheit. Einen Tag nach dem großen Wahldebakel ist | |
von einer Wiedersehensfreude nach der coronabedingten langen Zeit ohne | |
Präsenztreffen keine Spur. Anders als üblich wird auch Volker Bouffier, der | |
starke Mann der Hessen-CDU, nicht mit Applaus begrüßt. | |
Der Landesvorsitzende, Bundesvize und Ministerpräsident [4][hatte sich wie | |
kaum ein anderer in der Partei für Armin Laschet als Kanzlerkandidaten | |
stark gemacht]. Das nehmen hier nicht wenige der rund 100 Delegierten | |
Bouffier übel. „Es ist nicht mehr viel Luft nach unten“, mahnt der | |
Alsfelder Bürgermeister Stephan Paule. Eine „Erneuerung, personell und | |
inhaltlich“, fordert der Fuldaer CDU-Chef und Bürgermeister Dag Wehner. Auf | |
taz-Nachfrage nennt er als Zeitkorridor für die fällige Weichenstellung: | |
„Ein halbes Jahr“. Und damit meint er nicht nur die Bundesebene. | |
Im Nachbarland Rheinland-Pfalz gibt es längst eine erste personelle | |
Konsequenz aus dem rabenschwarzen Wahlsonntag. Nach zehn Jahren im Amt hat | |
Julia Klöckner angekündigt, nicht mehr als Landesvorsitzende der | |
rheinland-pfälzischen CDU anzutreten. Drei Wahlschlappen in Folge, zweimal | |
bei Landtagswahlen und jetzt erneut bei der Bundestagswahl – nun macht sie | |
den Weg frei für eine „personelle und inhaltliche Erneuerung“, wie es die | |
Noch-Bundeslandwirtschaftsministerin formuliert. | |
Den angekündigten Rückzug Klöckners nennt Lukas Augustin einen „honorigen | |
Schritt“. Der Vorsitzende des Mainzer CDU-Stadtverbands Weisenau hat gerade | |
den monatlichen Stammtisch im Restaurant Kreta abgesagt. „Natürlich ist die | |
Stimmung denkbar schlecht“, sagt der 62-jährige Jurist am Telefon. | |
„Ich glaube nicht, dass es am Kanzlerkandidaten gelegen hat“, sagt er. „W… | |
als CDU haben einfach den Draht zum urbanen, flippigen und multikulturellen | |
Publikum verloren.“ So habe seine Partei in der Mainzer Neustadt, wo viele | |
junge Leute und Studierende wohnen, gerade noch 9,1 Prozent der Stimmen | |
bekommen. „Wir sind auf Platz vier hinter den Linken“, beschreibt Augustin | |
die Lage. Von der Idee, die CDU solle sich jetzt in der Opposition | |
erneuern, hält Augustin wenig. „Das ist uns weder im Land gelungen, in dem | |
wir seit mehr als 20 Jahre in der Opposition sind, [5][noch in Mainz, wo | |
eine Ampelkoalition regiert]“, sagt Augustin zur taz. | |
Dass es nicht am Kanzlerkandidaten gelegen hat, das wird [6][in der CDU in | |
Sachsen] gänzlich anders gesehen. Hier scheint die Wut noch größer zu sein | |
als die tiefe Enttäuschung über ein Wahlergebnis, das schlimmer nicht hätte | |
sein können. Die politische Landkarte in dem östlichen Bundesland, das seit | |
der Wiedervereinigung zuverlässig schwarz war, hat sich blau eingefärbt. | |
Mit Abstand ist die AfD stärkste Partei geworden, holte 10 von 16 möglichen | |
Direktmandaten, nur noch 4 verblieben der CDU. „Wir Wahlkämpfer hatten hier | |
zwei schwere Belastungen: Marco Wanderwitz und Armin Laschet“, sagt Florian | |
Oest. | |
Oest war in Görlitz als Hoffnungsträger der CDU angetreten. Der 34-Jährige | |
sollte der AfD das Direktmandat wieder abjagen, das ausgerechnet der | |
spätere Ministerpräsident Michael Kretschmer vor vier Jahren an Tino | |
Chrupalla, den heutigen AfD-Partei- und Bundestagsfraktionsvorsitzenden | |
verloren hatte. Doch Oest, zu dessen Unterstützung im Wahlkampf Friedrich | |
Merz nach Görlitz gereist war, scheiterte. Der AfD-Kandidat Chrupalla | |
gewann mit rund neun Prozentpunkten Vorsprung. | |
Auf seinen sächsischen [7][Parteifreund Wanderwitz], dem Ostbeauftragten | |
der Bundesregierung, ist Oest sauer wegen dessen Äußerungen über | |
„diktatursozialisierte“ und dadurch AfD-affine Ostdeutsche. Vor allem aber | |
richtet sich sein Unmut gegen den CDU-Vorsitzenden Laschet – und gegen eine | |
Bundes-CDU, die ihn zum Spitzenkandidaten machte, obwohl niemand im | |
Freistaat ihn gewollt habe. | |
## Laschet wird in Sachsen als „Trottel der Nation“ gesehen | |
Oests Urteil ist hart: „Eine Reihe von Fehlern im Wahlkampf hat dazu | |
geführt, dass Laschet als der Trottel der Nation wahrgenommen wird“, sagt | |
er. „So jemand kann die Union nicht in die Zukunft führen, und je später er | |
das einsieht, desto dramatischer wird es für ihn.“ Drastisch formuliert | |
Oest: „Die Union ist geistig tot.“ Seine Partei brauche nun „dringend neue | |
Impulse“ – [8][und zwar von Markus Söder], wie man es im Osten schließlich | |
von Beginn an gefordert habe. | |
Anders als der sächsische Ministerpräsident Kretschmer, der sich in der | |
CDU-Präsidiumssitzung am Donnerstag gegen Gespräche mit den Grünen und der | |
FDP ausgesprochen hatte, lehnt es Oest nicht grundsätzlich ab, die | |
Möglichkeit für eine Jamaika-Koalition auszuloten – aber erst nach einer | |
personellen Neuaufstellung. | |
Mit der Auffassung, dass es mit Laschet an der Spitze auf keinen Fall | |
weitergehen kann, steht Oest alles andere als alleine da. So fordert die | |
CDU Mittelsachen ebenfalls „eine personelle und programmatische Erneuerung | |
der Bundes-CDU“. Am Dienstag beschloss der erweiterte Kreisvorstand: „Armin | |
Laschet sollte Verantwortung übernehmen und vom Amt des Bundesvorsitzenden | |
zurücktreten.“ | |
In Mittelsachsen ist die CDU-Direktkandidatin Veronika Bellmann deutlich | |
ihrer AfD-Herausforderin unterlegen. Noch hängen die letzten Plakate von | |
Bellmanns vergeblicher Wahlkampagne in der Gegend, ein Rest stapelt sich im | |
Hausflur ihres Wahlkreisbüros. Für eine Stellungnahme ist die | |
Christdemokratin, die nun nach 19 Jahren den Bundestag verlassen muss, | |
nicht zu sprechen. Der Schmerz sitzt wohl zu tief. | |
2 Oct 2021 | |
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