Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Start-Stiftung für migrantische Menschen: Safe Space in Stipendien…
> Die Start-Stiftung hat in den vergangenen Jahren Tausende Jugendliche mit
> Einwanderungsgeschichte gefördert. Welche Erfahrungen haben sie gemacht?
Bild: Phương Quyên Trần ist Stipendiatin der Stiftung
Wären da nicht diese Irritationen – Phương Quyên Trần würde ohne Unter…
von ihrer Schule schwärmen. Am Berliner Heinrich-Hertz-Gymnasium nämlich
lebt die Zehntklässlerin ihre Leidenschaft für Naturwissenschaften aus. Auf
ihrem Stundenplan stehen: fünf Stunden Mathe, drei Stunden Physik, drei
Chemie und zwei Bio. Sie kann AGs zu Algebraischen Systemen oder Chemischen
Experimenten besuchen und ihr Können in Dutzenden Olympiaden unter Beweis
stellen. Einmal in der Woche nimmt die 15-Jährige an einem Uni-Kurs für
begabte Mathe-Schüler:innen teil. „All das hab ich meiner Schule zu
verdanken“, sagt Trần.
Das Hertz-Gymnasium gilt als Talentschmiede für naturwissenschaftlich
begabte Schüler:innen. Dennoch fühlt sich Trần hier nicht immer wohl. Weil
man als Mädchen ständig in der Unterzahl ist. „Vier Mädchen in der Klasse
sind normal“, erzählt Trần. Mehr stört sie jedoch das Gefühl, aus ganz
anderen Gründen zu einer Minderheit zu gehören. Dieses Gefühl kommt, wenn
Mitschüler:innen sich keine Mühe geben, ihren vietnamesischen Namen
richtig auszusprechen. Wenn sie von Lehrkräften gebeten wird, etwas über
„ihre Kultur“ zu erzählen.
Wenn jemand bestreitet, dass das Kinderlied mit den drei Kontrabässen
Gefühle verletzt. Erfahrungen, die Trần im Jahr 2021 nicht mehr hinnehmen
möchte. „Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der mein Geschlecht und
meine Herkunft keine Rolle spielen.“ Eine diskriminierungsfreie
Gesellschaft möchte Trần mit aufbauen. Und dafür bekommt die Schülerin in
den kommenden drei Jahren Unterstützung. Seit August erhält Trần ein
Stipendium der Start-Stiftung – wie acht weitere Jugendliche in Berlin.
Bundesweit wurden 189 Schüler:innen neu in das Programm aufgenommen.
Neben regelmäßigen Workshops und Seminaren erhalten sie je einen eigenen
Laptop und 1.000 Euro „Bildungsgeld“ im Jahr. Ziel des Stipendiums: die
jungen Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen. Im
Abschlussjahr sollen die Stipendiat:innen dann ein eigenes Projekt
umsetzten. Ein Geförderter aus Nordrhein-Westfalen etwa hat 150 Jugendliche
dazu motiviert, in den Osterferien an einem digitalen Archiv für Nazi-Opfer
mitzuarbeiten.
## Es zählt das Engagement
„Aus Talenten werden Macher*innen“, verspricht die Start-Stiftung. Auch
Trần verspricht sich einiges von dem Stipendium: „Ich will lernen, meine
Fähigkeiten sinnvoll einzusetzen“, sagt sie. „Und wie ich vor einer Gruppe
spreche.“ Seit 2002 gibt es das Start-Programm, seit 2007 die gleichnamige
Stiftung. Knapp 4.000 Personen wurden bislang gefördert. Aktuell erhalten
fast 700 Jugendliche ein Stipendium. Ins Leben gerufen hat das Programm die
gemeinnützige Hertie-Stiftung, die heute rund 60 Prozent der Kosten trägt.
Den Rest geben Unternehmungsstiftungen, Privatpersonen und öffentliche
Einrichtungen.
Kommunen und Landesministerien unterstützen Start mit öffentlich
finanzierten Koordinationsstellen. Das Besondere am Start-Stipendium: Nicht
die Schulnoten oder der Kontostand der Eltern geben den Ausschlag, wer
gefördert wird. Auch nicht die Schulform der Bewerber:innen. Vielmehr
zählt, wie und warum sich die Jugendlichen schulisch, sozial oder politisch
engagieren. Die zweite Besonderheit: Bewerben können sich nur Jugendliche
mit Einwanderungsgeschichte.
## Von der Schwester inspiriert
Phương Quyên Trần erfüllt beide Kriterien. Ihre Eltern sind in den 80ern
aus Vietnam in die DDR eingewandert, Trần ist in Berlin-Marzahn
aufgewachsen. Seit der Grundschule ist sie als Klassensprecherin aktiv, am
Heinrich-Hertz-Gymnasium zudem bei der AG Schule ohne Rassismus. Unter
anderem hat sie angestoßen, dass der Tag der offenen Tür künftig auch auf
Englisch, Russisch und Vietnamesisch angeboten wird. Von dem
Start-Stipendium hat Trần von ihrer älteren Schwester erfahren, die das
Programm neun Jahre vor ihr durchlaufen hat.
Was sie in Erinnerung behalten hat: Ihre Schwester hat dank des Stipendiums
coole Leute kennengelernt – und wurde auf ihrem Weg in den Journalismus
unterstützt. Mit Schreibwerkstätten, Medientrainings, später bei der
Vermittlung von Anschluss-Stipendien. Heute schreibt die Schwester in New
York ihre Doktorarbeit in Medienpsychologie. „Ich bin beeindruckt, wie sie
das alles geschafft hat“, sagt Phương Trần. Auch, weil ihre Eltern, die a…
Gastarbeiter in die DDR kamen und heute ein Geschäft mit Deko-Artikeln
betreiben, sie finanziell nicht unterstützen konnten.
## „Doppelte Benachteiligung“
Dass [1][die soziale Herkunft den Bildungserfolg bestimmt], belegen
zahlreiche Studien. Bei Familien mit Einwanderungsgeschichte ist dieser
Zusammenhang besonders häufig zu beobachten. Laut [2][Mikrozensus 2019]
lebt rund jede:r dritte Jugendliche mit Migrationsgeschichte in einer
Familie, die von Armut bedroht ist. Bei Gleichaltrigen ohne
Migrationsgeschichte sind es rund 12 bis 13 Prozent.
Bildungsexpert:innen sprechen bei Schüler:innen aus
Einwandererfamilien sogar von „doppelter Benachteiligung“. Denn das im
Schnitt niedrigere Bildungsniveau und Einkommen der Eltern macht auch den
Bildungserfolg der Kinder unwahrscheinlicher.
Es gibt zwar Fortschritte: So haben Kinder aus Einwandererfamilien bei der
Abiquote mächtig aufgeholt und liegen mittlerweile auf einem ähnlichen
Anteil wie Kinder ohne Einwanderungserfahrung. An Hochschulen machen sie
aber nach wie vor nur ein Fünftel der Studierenden aus. Zum Vergleich:
Außerhalb der Uni hat jede:r Dritte in dem Alter eine
Einwanderungsgeschichte. Für die Start-Stiftung sind diese Zahlen eine
Bestätigung, wie nötig ihre Förderung nach wie vor ist. „Es ist wichtig,
dass die Jugendlichen sehen: So jemand wie ich kann alles erreichen“, sagt
Evrim Soylu über die Bedeutung von Role Models.
## Es geht auch um Anerkennung
Die Pädagogin ist seit 2015 Landeskoordinatorin des Start-Programms beim
Berliner Senat. Dabei gehe es nicht allein um die Überwindung
sozioökonomischer Ungleichheiten, sondern auch um gesellschaftliche
Anerkennung: „Für viele Jugendliche ist Mehrsprachigkeit Teil ihrer
Identität“, sagt Soylu. Die Gesellschaft sehe darin aber immer noch mehr
einen Makel als ein Potential. Auch darum gehe es beim Start-Stipendium:
Menschen mit Einwanderungsgeschichte in ihrer Identität zu stärken.
Eines dieser Vorbilder ist der Alumnus Ayusch Khajuria. „Ohne Start wüsste
ich nicht, wo ich heute stehe“, sagt der 21-Jährige, der an der TU Berlin
Technische Informatik studiert. Vor sechs Jahren wurde Khajuria in das
Programm aufgenommen. Wie bei Neu-Stipendiatin Trần hat auch er von seiner
älteren Schwester von Start erfahren. Seine eigene Stipendienzeit
beschreibt er als „Booster“: „Ich habe ein 1,3-Abi geschrieben“, erzäh…
Khajuria. Vor dem Stipendium lag sein Schnitt immer so um 2,6. „Vor allem
war Start ein Booster für mein Selbstvertrauen.“
## Gefühl der Verbundenheit
Damals sei er ein introvertierter Informatik-Fan gewesen – ein
Rhetorik-Seminar half bei seiner Schüchternheit. In der Oberstufe dann war
er wegen seiner genialen Powerpoint-Präsentationen beliebt. Der
wertschätzende Umgang in der „Start-Familie“ habe zudem zu einem Gefühl d…
Verbundenheit geführt. „Wir haben alle sofort gemerkt, dass wir uns auf
vielen Ebenen verstehen, weil wir alle ähnliche Erfahrungen gemacht haben,
auch von Ausgrenzung und Rassismus“, sagt er. „Das war auch ein Safe
Space.“ Eine Aussage, die Ronald Menzel-Nazarov öfter gehört hat.
Menzel-Nazarov leitet in der Start-Stiftung die Abteilung Fundraising &
Kommunikation. „Diese Schutzräume sind wichtig für junge Menschen, die von
struktureller Diskriminierung betroffen sind“, sagt er. Zwar habe sich seit
Beginn des Start-Programms vor fast 20 Jahren vieles getan. Damals sei das
Ziel noch die „Integration von Migranten“ gewesen. Heute zähle für die
Stiftung vor allem, „wohin die jungen Menschen wollen“.
## Noch viel Unterstützung nötig
Die [3][Widerstände gegen eine vielfältige Gesellschaft] zeigten jedoch,
dass Menschen mit Einwanderungsgeschichte auch im Jahr 2021 so viel
Unterstützung bekommen sollten wie möglich. Aus diesem Grund sollen künftig
auch die abgelehnten Bewerber:innen in die Start-Community aufgenommen
werden, so Menzel-Nazarov. Zusammen mit den Stipendiat:innen und Alumni
sollen sie sich auf einem digitalen „Campus“ kennenlernen, austauschen und
gemeinsame Projekte planen. Und die Kompetenzen erwerben, die ihnen eine
aktive Gestaltung unserer Gesellschaft ermöglichen.
Für Phương Quyên Trần und die anderen Berliner Neu-Stipendiat:innen ging …
bei ihrem ersten gemeinsamen Start-Workshop um das Thema Inklusion und
Vielfalt. Erst haben die neun Jugendlichen geklärt, was sie unter den
Begriffen überhaupt verstehen – dann sollten sie Ideen entwickeln, wie sie
die Gesellschaft inklusiver machen und Vielfalt stärken können. Phương Tr�…
hat sich der Gruppe angeschlossen, die über Diskriminierung und Rassismus
an der Schule nachgedacht hat.
6 Oct 2021
## LINKS
[1] /Forscher-ueber-Bildungsungerechtigkeit/!5730724
[2] https://www.destatis.de/DE/Methoden/Qualitaet/Qualitaetsberichte/Bevoelkeru…
[3] /Die-Erfolge-der-AfD-in-Sachsen/!5801338
## AUTOREN
Ralf Pauli
## TAGS
Migration
Identität
Stiftung
GNS
Diversität
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Silke Gebel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Studie zu Vielfalt im TV: Ernüchterndes Fazit
Die neue MaLisa-Studie über Vielfältigkeit im Fernsehen zeigt wenig
positive Trends. Immerhin: Im Fiktionalen läuft es besser als im Bereich
Information.
Soziale Spaltung: Die Abgründe der Chancengleichheit
Linke Parteien werden schon lange von Akademiker*innen beherrscht. Das
spielt rechtspopulistischen Parteien in die Hände.
Silke Gebel zu Bildungspolitik: „Über Verbeamtung reden“
Bildungspolitik stehe hintenan, kritisiert Grünen-Fraktionschefin Silke
Gebel. Ein Gespräch über die Stimmung im Wahlkampf und Berliner Lehrkräfte.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.