| # taz.de -- Themen vor der Bundestagswahl: Die Qual der Klimawahl | |
| > Obwohl das Thema Klima viel Aufmerksamkeit bekommt, wird es die Wahl wohl | |
| > nicht entscheiden. Was ist da schiefgegangen? | |
| Bild: Wochen nach dem Hochwasser ist die Zerstörung im Ahrtal immer noch groß | |
| Aus Ahrweiler, Bad Saulgau, Berlin, Bremen und Köln | |
| Am Freitag in Berlin ist die Stimmung noch einmal so, wie sich das | |
| Klimaschützer:innen erhofft hatten. „Wenn ich das erste Mal wählen | |
| darf, ist unser CO2-Budget aufgebraucht“, ruft der zehnjährige Johann von | |
| der Bühne vor dem Reichstagsgebäude – und viele tausend Menschen jubeln. | |
| „1,5 Grad – Klima in den Bundestag!“, ruft die Menge. | |
| Fridays-for-Future-Initiatorin Greta Thunberg ist extra aus Stockholm nach | |
| Berlin gereist, um [1][beim globalen Klimastreik] die große Bedeutung | |
| dieser Wahl zu unterstreichen. | |
| Die Grünen können diese Unterstützung gut gebrauchen, sie stützt ihre | |
| zentrale Botschaft. „Die nächste Bundesregierung ist die letzte, die die | |
| Klimakrise noch aktiv beeinflussen kann“, das wiederholt ihre | |
| Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock bei praktisch jedem Auftritt. | |
| Lange sah es so aus, als ob diese Aussage verstanden und geteilt wird: | |
| Klimaschutz wird in vielen Umfragen als eines der wichtigsten Themen | |
| genannt, den Grünen die höchste Kompetenz dafür zugesprochen. Noch im Mai | |
| schlug sich das in den Umfragen nieder, die Grünen lagen ganz vorn. | |
| Mittlerweile sind sie auf Platz drei gefallen. Und in den Fernsehtriellen | |
| der Spitzenkandidat:innen wird vor allem diskutiert, wie hoch der | |
| Benzinpreis steigen darf. Der Anstieg des Meeresspiegels? Verdorrte Länder? | |
| Kein Thema. | |
| Warum hatte die Klimapolitik nicht den Stellenwert im Wahlkampf, der | |
| notwendig wäre? Wir haben uns auf eine Reise durch das Land begeben, um | |
| Antworten zu finden. | |
| Wir waren im Ahrtal, das im Sommer überflutet wurde, 133 Menschen kamen | |
| dort ums Leben. Die immer häufiger auftretenden Wetterextreme sind eine | |
| Folge des Klimawandels. Hat sich hier der Blick auf die Politik geändert? | |
| Wir waren bei Wiebke Winter in Bremen, die die Klima-Union gegründet hat | |
| und für die CDU in den Bundestag will. Macht ihr Einsatz für eine | |
| fortschrittliche Union den Wahlsieg wahrscheinlicher? Wir haben den | |
| Wahlkreis Sigmaringen in Schwaben besucht, den einer der größten | |
| Klimabremser der CDU seit 16 Jahren bei jeder Bundestagswahl gewinnt – | |
| jetzt könnte er ihn gegen einen Grünen verlieren. Und wir sind nach Köln zu | |
| den Psychologen des Rheingold-Instituts gereist, um zu fragen: Wenn den | |
| Menschen die Klimapolitik so wichtig ist, warum streiten sich dann Laschet | |
| und Scholz um den Einzug ins Kanzleramt? | |
| ## Ahrtal: Nach der Flut | |
| Am Bahnhof Ahrweiler sammeln Bagger verbeulte Schienenstränge ein, die von | |
| der Flutwelle herausgerissen wurden. In diesem Streckenabschnitt fährt | |
| statt der Ahrtalbahn bis auf Weiteres ein Bus. Am gegenüberliegenden | |
| Flussufer räumen Bauarbeiter mit schwerem Gerät die Reste der demolierten | |
| Uferstraße. Im Flussbett liegen auch elf Wochen später noch Trümmer und | |
| Treibholz. Am Ortseingang stehen einsam zwei Großplakate von CDU und FDP, | |
| hier und da sieht man kleinere Plakate anderer Parteien. Am Ort der | |
| Katastrophe gibt es nur wenige Hinweise, dass auch hier am Sonntag gewählt | |
| wird. | |
| Ein paar Kilometer flussabwärts in Bad Bodendorf wohnen Ulrike und Anton | |
| Simons. Er ist Lokalreporter, beide sind Mitglieder der Grünen. In ihrem | |
| Haus war das Hochparterre und das Erdgeschoss überflutet, an der Fassade | |
| kann man sehen, wie hoch die Flut gestiegen ist. Ihre Hühner, Tauben und | |
| Kaninchen sind in der Flut ertrunken. Zehn Wochen später sind die | |
| Innenräume und die Fassade weitgehend gesäubert, die verdreckten Möbel | |
| entsorgt. Rundherum wird gehämmert und gearbeitet. | |
| Anton Simons nennt es „kollektive Verdrängung“, dass weder die politisch | |
| Verantwortlichen noch der Katastrophenschutz vorbereitet waren. In den | |
| letzten Jahrzehnten seien im Tal immer weitere Flächen versiegelt worden, | |
| die Bebauung verdichtet und näher an den Fluss herangerückt. „Wir müssen | |
| jetzt neu entscheiden, wie viel Platz wir der Ahr lassen“, sagt Ulrike | |
| Simons. | |
| Das Ehepaar sitzt auf der inzwischen wieder sauberen Terrasse. Zu Besuch | |
| ist an diesem Tag Grünen-Kreissprecherin Stefanie Jürries. Sie ist im | |
| Wahlkampf unterwegs. An den Wahlständen werde schon über das Klima | |
| gesprochen, sagt sie. Aber zentral sei das Thema für die meisten Menschen | |
| im Ahrtal nicht: „Die haben jetzt andere Sorgen.“ Es gebe noch immer | |
| regelmäßig Suizide, von Menschen, die nicht mehr weiter wissen. | |
| Die Region sei seit Jahrzehnten von der CDU dominiert. Doch der Stellenwert | |
| grüner Themen, der Klimaschutz vor allem, sei auch hier gestiegen, nicht | |
| erst seit der Flut. Bei der Landtagswahl im März hätten die Grünen ihren | |
| Stimmenanteil im Wahlkreis fast verdoppeln können, auf 9,5 Prozent der | |
| Zweitstimmen. Für den Wahlsonntag ist sie deshalb optimistisch. | |
| In allen Prognosen, die es zur Wahl im Ahrtal gibt, liegen nicht die Grünen | |
| vorn, sondern CDU und SPD. Das Portal [2][wahlkreisprognose.de] rechnet | |
| beim Zweitstimmenergebnis mit einem knappen Sieg der SPD. Das Direktmandat | |
| werde mit 69-prozentiger Wahrscheinlichkeit wieder die CDU-Abgeordnete | |
| Mechthild Heil gewinnen. Die Wahrscheinlichkeit eines Wahlsiegs der Grünen: | |
| null Prozent. | |
| Nun sind Prognosen für einzelne Wahlkreise mit Vorsicht zu genießen. | |
| Trotzdem stellt sich die Frage: Wie kann das sein? An dem Ort, an dem die | |
| Klimakrise in Deutschland sichtbar und tödlich wurde wie nirgendwo sonst, | |
| wählt die Mehrheit jene Parteien, die für die mangelhafte Klimapolitik der | |
| vergangenen Jahrzehnte verantwortlich sind. | |
| Auf ihrem Großplakat posiert die CDU-Bundestagsabgeordnete Mechthild Heil | |
| vor einem idyllischen Ausblick aufs Ahrtal. „Fassungslos, aber nicht | |
| tatenlos – Wir bauen unsere Heimat wieder auf!“, das ist ihre Botschaft. | |
| Vor vier Jahren hat Heil den Wahlkreis mit deutlichem Abstand gewonnen, | |
| gegen die damalige SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles. | |
| Dass ihre Wähler:innen ihr einen Denkzettel verpassen könnten für die | |
| Klimapolitik ihrer Partei, fürchtet Heil nicht. „Die Menschen haben hier im | |
| Moment andere Sorgen als das Klima“, sagt sie. Dass der Starkregen mit dem | |
| Klimawandel zusammenhänge, sei unstrittig, doch die tödliche Verkettung der | |
| Ereignisse in der Katastrophennacht habe andere Ursachen. | |
| „Auch in Zukunft, nach dem Wiederaufbau, wird es im Ahrtal Hochwasser | |
| geben. Wir müssen dafür sorgen, dass deshalb nicht Menschen sterben und die | |
| Schäden sich in Grenzen halten“, sagt Heil. Nicht alle Häuser werde man an | |
| gleicher Stelle wieder aufbauen können. Doch auf die Bergrücken könne man | |
| nicht ausweichen: „Da wächst unser Wein, das sind unsere wertvollsten | |
| Flächen.“ | |
| Heil ist Architektin, und sie ist Vorsitzende des Bauausschusses im | |
| Bundestag. Deshalb hat sie gleich eine Reihe von Vorschlägen parat: Man | |
| könne Häuser vor Unterspülung schützen, es müsse einen zweiten Fluchtweg | |
| über das Dach geben. Der Stromkasten dürfe künftig nicht mehr im Keller | |
| hängen, damit bei der nächsten Flut nicht sofort der Strom ausfällt und die | |
| Kommunikation zusammenbricht. Klimapolitik? Darüber spricht Heil nicht. | |
| Es scheint, als könnte im Ahrtal eine Kandidatin mit dem Erfolgsrezept von | |
| Olaf Scholz gewinnen: Mechthild Heil ist den Wähler:innen vertraut. Und | |
| sie hat für die größte Herausforderung der Menschheit eine kleinteilige, | |
| technische Lösung parat: Die Erderhitzung wird nicht bekämpft, sondern das | |
| Ahrtal umgebaut, damit die nächste Flut nicht so tödlich wird wie die | |
| letzte. | |
| ## Schwaben: Campact gegen CDU | |
| „Klimabremser abwählen“ steht auf Plakaten, die etwa 20 Aktivist:innen | |
| auf dem Marktplatz von Bad Saulgau hochhalten. Der CDU-Abgeordnete Thomas | |
| Bareiß kämpft hier im schwäbischen Wahlkreis Sigmaringen-Zollernalb um | |
| den Wiedereinzug in den Bundestag. Von der Bühne ruft er seinen | |
| Anhänger:innen und den Protestierenden entgegen: „Ich bin stolz auf | |
| das, was wir in den letzten 16 Jahren bei diesem Thema gemacht haben.“ Das | |
| Publikum, das auf Bierbänken seiner Rede lauscht, klatscht begeistert, ein | |
| Storch, der oben auf dem Kirchturm hinter Bareiß in seinem Nest sitzt, | |
| stimmt klappernd ein. | |
| Wie auch im Ahrtal ist Sigmaringen tiefstes CDU-Land – seit 1949 hat die | |
| Partei die Mehrheit. Bareiß hat bei den letzten vier Bundestagswahlen den | |
| Wahlkreis direkt gewonnen. Doch dieses Mal wird es knapp. Das liegt, neben | |
| den sinkenden Zustimmungswerten für die Union, auch am Klimaschutz. | |
| „50 Prozent unseres Stroms stammt aus erneuerbaren Energien“, ruft Bareiß | |
| den Protestierenden zu. „Das hat kein anderes Land geschafft in der Welt.“ | |
| Die erste Aussage stimmt, die zweite ist Unsinn. Doch Bareiß’ Behauptungen | |
| bleiben, von den Plakaten abgesehen, unwidersprochen. | |
| Thomas Bareiß gilt nicht nur bei Umweltverbänden als einer der | |
| einflussreichsten Blockierer beim Klimaschutz. Als energiepolitischer | |
| Sprecher seiner Fraktion hat er bis 2018 daran mitgewirkt, den Ausbau | |
| erneuerbarer Energien zu verlangsamen; parallel war er Mitglied im | |
| Lobbyverband „Zukunft Erdgas“ und reiste mehrmals ins autoritär regierte | |
| Aserbaidschan, das Gas exportiert. Seit 2018 ist er parlamentarischer | |
| Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, wo er daran beteiligt war, dass | |
| strengere Abstandsregeln für Windräder eingeführt wurden. Den CO2-Preis, | |
| den die Regierung beschloss, lehnte er lange ab; am Kohleausstiegsdatum | |
| 2038 und am Verbrennungsmotor will er festhalten. | |
| Im seinem ländlich geprägten Wahlkreis nördlich des Bodensees hat Bareiß’ | |
| Haltung zum Klimaschutz bisher kaum eine Rolle gespielt. Hier ist er als | |
| heimatverbundener Kümmerer bekannt. „Die Menschen wissen, was sie an mir | |
| haben“, sagt Bareiß im Gespräch mit der taz. Dass sich das bald ändern | |
| könnte, liegt vor allem an Campact. Die Organisation, die sonst eher | |
| thematische Protestkampagnen organisiert, mischt sich diesmal in mehreren | |
| Wahlkreisen in den Wahlkampf ein. | |
| „Thomas Bareiß ist mitverantwortlich dafür, dass Deutschland seine | |
| Klimaziele deutlich verfehlen wird und dass in den letzten Jahren mehr als | |
| 100.000 Arbeitsplätze in der Solar- und Windindustrie weggefallen sind“, | |
| sagt Campact-Mitarbeiter Damian Ludwig. „Eine solch unverantwortliche | |
| Politik muss abgewählt werden.“ Die Organisation steckt nicht nur hinter | |
| den „Klimabremser“-Plakaten bei der Kundgebung in Bad Saulgau. In E-Mails | |
| und per SMS mobilisiert sie ihre Anhänger:innen aus dem Wahlkreis, auf | |
| Tausenden von Haustürhängern ruft sie dazu auf, statt Bareiß den | |
| Grünen-Kandidaten Johannes Kretschmann zu wählen. In einer Wahlkreisumfrage | |
| von Mitte August liegt der gleichauf mit Bareiß, was in diesem Wahlkreis | |
| eine echte Überraschung ist. | |
| Im schwäbischen Sigmaringen könnte den Grünen gelingen, woran sie | |
| bundesweit scheitern dürften: die CDU überholen. Das allerdings dürfte auch | |
| lokale Gründe haben, für die auch der Name Kretschmann steht: Die | |
| baden-württembergische Variante der Grünen ist es, die hier erfolgreich | |
| ist, kombiniert mit außerparlamentarischer Hilfe von Campact. | |
| Johannes Kretschmann, 40, ist Sprachwissenschaftler und Sohn des | |
| Ministerpräsidenten. Mit der CDU hat er ebenso wenig Probleme wie sein | |
| Vater, sein Auftreten ist trotz längerer schwarzer Haare ebenfalls sehr | |
| bürgerlich: Im schwarzen Jackett mit Hohenzollernwappen am Revers | |
| beschreibt er nach einem Wahlkampfspaziergang durch das Städtchen Albstadt | |
| sein Unbehagen bei der Campact-Kampagne. | |
| „Das ist nicht unser Stil“, sagt Kretschmann. Schließlich habe er zu Barei… | |
| „ein freundliches, höfliches Verhältnis“. Und vielleicht müsse man nach … | |
| Wahl zusammenarbeiten. Einen Anti-Bareiß-Wahlkampf will er nicht führen. Im | |
| Mittelpunkt seines Wahlkampfs steht dann auch weniger die große | |
| Klimapolitik als lokale Themen wie die Elektrifizierung von Bahnstrecken. | |
| Das mag eine taktische Anpassung an die Bedürfnisse im konservativen | |
| Wahlkreis sein. Es passt aber auch zur Strategie der Grünen: Bloß niemanden | |
| mit zu radikalen Positionen abschrecken. Die Kritik der Klimabewegung, dass | |
| auch das grüne Wahlprogramm nicht reicht, um Deutschland auf 1,5-Grad-Kurs | |
| zu bringen, fürchtet man weniger als Verbotsdebatten vom politischen Gegner | |
| und dem Springer-Verlag. Ob sich diese Strategie am Sonntag auszahlt, ist | |
| offen. Für Kretschmann Junior könnte sie funktionieren. | |
| Im schwäbischen Sigmaringen haben Thomas Bareiß und die CDU gemerkt, dass | |
| ein Wahlkampf ohne Bekenntnis zum Klimaschutz in diesem Jahr nicht | |
| funktioniert. Die Union versucht, bei dem Thema aus der Defensive zu | |
| kommen. Aber wäre die CDU tatsächlich erfolgreicher, wenn sie sich | |
| glaubwürdiger für Klimaschutz einsetzen würde? | |
| ## Bremen: Die Klima-Union | |
| Ein Samstagvormittag Anfang September, die Bremer CDU hat vor der Volksbank | |
| in der Einkaufsstraße in Vegesack im Norden der Stadt einen Wahlkampfstand | |
| aufgebaut. Für die Union sieht es laut Umfragen gerade düster aus. Das | |
| „Politikbarometer“ des ZDFs sieht die Konservativen nur noch bei 22 | |
| Prozent, die SPD liegt erstmals vorn. Wiebke Winter, 25, Direktkandidatin | |
| vor Ort, steht vor dem Stand und bietet den Vorbeilaufenden Flyer und Kulis | |
| an. Winter sitzt seit Dezember im Bundesvorstand ihrer Partei, im März hat | |
| sie die KlimaUnion gegründet, weil ihr die Politik ihrer Partei „nicht | |
| ehrgeizig genug“ war. Armin Laschet, der Kanzlerkandidat, hat sie gerade in | |
| ein Expertenteam berufen. Was wie eine sinnvolle Maßnahme klingt, wirkt | |
| verzweifelt, weil Laschet erst spät auf die Idee kam. | |
| Die Sonne kämpft sich durch die Wolken, Winter zieht ihr Jackett aus. Zwei | |
| ältere Männer wollen mit ihr sprechen – nicht übers Klima, über den | |
| Kandidaten. „Söder wäre gut gewesen“, sagt einer. Sie sei ja auch für S�… | |
| gewesen, sagt Winter. Aber jetzt, wo sie Laschet näher kennengelernt habe, | |
| schätze sie seine offene Art. „Er kann zuhören“, entgegnet sie. Aber im | |
| entscheidenden Moment habe er nicht zugehört, fällt der andere Mann ein, | |
| und meint jene Szene im Flutgebiet, als Bundespräsident Steinmeier zu | |
| Betroffenen sprach, und Laschet im Hintergrund lachte. | |
| Eine Frau tritt an den Stand und will wissen, was denn nun mit den 500 | |
| Millionen sei, die CSU-Verkehrsminister Scheuer mit der Maut in den Sand | |
| gesetzt habe, ein alter Mann kommt und beklagt sich über die Schließung von | |
| Sparkassenfilialen, ein anderer über die Maskenaffäre. Und immer wieder | |
| geht es um Laschet. Die Klimapolitik aber, sie ist hier kein Thema. Obwohl | |
| es die Priorität der Kandidatin ist. Das Hauptgesprächsthema sei die | |
| schlechte Performance des Kanzlerkandidaten, sagt auch eine der Helferinnen | |
| am Wahlkampfstand. | |
| Winter glaubt trotzdem, dass die Klimapolitik für den Wahlkampf immens | |
| wichtig ist. Immerhin hätten die Grünen ihre Werte laut Umfragen fast | |
| verdoppelt. Und Laschet habe das Expertenteam zum Klima als Erstes von fünf | |
| präsentiert. „Wenn die CDU dieses Thema für so wichtig erachtet, obwohl es | |
| kein traditionelles CDU-Thema ist, sagt das etwas.“ Sie werde oft | |
| angesprochen, von jungen Leuten sowieso. „Viele sagen: Sie sind doch die | |
| mit der Umwelt, Sie sind doch die mit dem Klima. Die Leute kennen mich | |
| darüber.“ | |
| In der Tat dürfte Wiebke Winter, die es mit ihrem Engagement für | |
| Klimapolitik bis in die Talkshow von Markus Lanz geschafft hat, bekannter | |
| sein als die meisten anderen Kandidat:innen, die zum ersten Mal antreten. | |
| Ihre Chance, aus Bremen in den Bundestag einzuziehen, ist allerdings | |
| schlecht. Sie steht auf dem dritten Platz der Landesliste, aus dem kleinen | |
| Bremen wird voraussichtlich nur ein Christdemokrat nach Berlin gehen. In | |
| der CDU könnte Winter trotzdem Karriere machen. | |
| ## Köln: Auf der Couch | |
| Warum schlägt sich die Klimapolitik im Wahlkampf nicht deutlicher nieder? | |
| Das weiß Stephan Grünewald vom Rheingold-Institut. Rheingold ist ein | |
| kleines Marketinginstitut, das für seine tiefenpsychologischen Interviews | |
| bekannt ist. Seit 2002 führt es vor jeder Bundestagswahl zweistündige | |
| Interviews und Gruppendiskussionen mit etwa 50 Wähler:innen durch. „Wir | |
| legen die Wähler:innen sinnbildlich auf die Couch“, so nennt Grünewald | |
| das. | |
| Rheingold versucht, die Interviewpartner:innen so auszusuchen, dass | |
| die Gruppe nach Parteipräferenzen, aber auch nach Merkmalen wie Alter, | |
| Geschlecht oder Bildung ausgewogen ist. Repräsentativ im klassischen Sinne | |
| aber ist die Studie nicht. | |
| In einem Sitzungsraum in Köln zieht Grünewald, 60, Psychologe und | |
| Mitbegründer des Instituts, eine ernüchternde Bilanz. „Es gibt keine | |
| Aufbruchstimmung“, sagt er. Nach anderthalb Jahren Pandemie seien die | |
| Wähler:innen damit beschäftigt, ihren Alltag in den Griff zu kriegen. | |
| „Die Leute denken nicht mehr so global oder europäisch.“ Es überwiege der | |
| Rückzug ins „eigene Schneckenhaus“. | |
| „Und wenn sie aus diesem Schneckenhaus mal ihre Fühler ausstrecken“, sagt | |
| Grünewald, „dann realisieren die Menschen, dass die Deltavariante im | |
| Anmarsch ist, dass die Taliban Afghanistan erobern, die Flutwelle anrollt | |
| und Waldbrände unsere Urlaubsregionen zerstören. Da türmen sich | |
| Problemberge auf – und man hat keinen Plan, wie man sie lösen kann.“ | |
| Daraus entsteht, was Grünewald ein Machbarkeitsdilemma nennt: „Zwar | |
| erkennen die Menschen den Handlungsbedarf, sie sind aber zu angstvoll oder | |
| bequem, um das in Handlungsbereitschaft zu überführen.“ Dieses Dilemma | |
| präge auch den Blick auf die Kanzlerkandidat:innen: Einerseits wünschten | |
| sich viele Befragte starke Personen, die die Probleme angehen. Andererseits | |
| seien sie fast erleichtert, dass es diese nicht gibt. „Das ist ein | |
| Projektionsmechanismus. Wenn die Kandidat:innen stark sind, muss ich | |
| auch stark sein.“ | |
| In den Tiefeninterviews stellten die Rheingold-Mitarbeiter:innen eine | |
| „Kleinredelogik“ fest. Die Grünen, so Grünewald, würden am stärksten | |
| Wandlungsanspruch repräsentieren. Da seien die Menschen fast erleichtert | |
| über die Fehltritte der Spitzenkandidatin – denn damit seien sie selbst aus | |
| der Pflicht. | |
| Die CDU, das ergeben die Interviews, gelte zwar weiter als starke und | |
| verlässliche Partei, Armin Laschet aber als zu weich. Sein Lachen im | |
| Flutgebiet habe ihn diskreditiert. „Ich habe selten erlebt, dass ein | |
| einzelner Fehler einen Kandidaten so geschwächt hat“, sagt Grünewald. Wenn | |
| Laschet nicht Kanzler werde, dann auch wegen dieses einen Bildes. | |
| Scholz werde als jemand erlebt, der vor allem von den Fehlern der anderen | |
| profitiere. „Die Wähler:innen konstatieren mit einer Mischung aus | |
| Enttäuschung und Erleichterung, dass scheinbar keiner der | |
| Kandidat:innen diese Herkulesaufgabe stemmen kann.“ | |
| Die Aktivistin Luisa Neubauer hatte in dieser Woche noch einmal dafür | |
| plädiert, ein paar bittere Wahrheiten in den Wahlkampf einzuführen. Sie | |
| wirkte dabei etwas resigniert: „Wir haben“, sagte sie in einer Talkshow am | |
| Dienstag, „nicht mehr die Wahl zwischen mehr oder weniger Klimaschutz, mehr | |
| oder weniger Pendlerpauschale. Wir haben nur die Wahl zwischen richtig | |
| gutem, radikalen Klimaschutz und einer Klimakrise, wie wir sie uns nicht | |
| vorstellen wollen.“ | |
| Am Sonntag werden die Menschen überall im Land in Grundschulen spazieren, | |
| um abzustimmen. Im Ahrtal nicht, sie sind zu beschädigt. Stattdessen sind | |
| schon seit Wochen Busse unterwegs, um Briefwahlunterlagen auszuteilen und | |
| die Stimmzettel gleich wieder mitzunehmen. | |
| Deutlich mehr Menschen als je zuvor werden bei ihrer Stimmabgabe auch an | |
| die Erderwärmung denken, an den steigenden Meeresspiegel, an Brände und | |
| Flut. Das ist eine neue Entwicklung. Doch ob im zerstörten Ahrtal, im | |
| konservativen Sigmaringen, ob in Bremen, Köln oder Berlin: Dies wird | |
| voraussichtlich die Wahl nicht entscheiden. Statt konsequentem Klimaschutz | |
| will die Mehrheit der Politiker:innen das Gefühl vermitteln: Fürchtet | |
| euch nicht. Dabei gab es selten so gute Gründe sich zu fürchten wie heute. | |
| 24 Sep 2021 | |
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