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# taz.de -- Affären des SPD-Kanzlerkandidaten: Skandal im Scholzbezirk
> Angeblich versteht keiner die Skandale von Finanzminister Olaf Scholz um
> CumEx und Wirecard. Doch! Es juckt nur niemanden.
Bild: Nichts sagen im Untersuchungsausschuss ist anstrengend. Die lustlose Mien…
Das Wahltagebuch beleuchtet die Bundestagswahl aus Sicht des Wahlcamps der
taz Panter Stiftung.
„Die Annalena hat abgeschrieben“, schrie der kleine Armin. Seine
Mitschüler:innen hörten ihm kaum zu. Der will Klassensprecher werden? Gegen
die selbsternannte Klassenbeste, die endlich alles ganz anders machen
wollte. „Echte Verbesserungen“, versprach Annalena, solle es in der Kantine
geben. Eines Tages kam der Schulleiter in die Klasse, um zu verkünden, dass
neue Bücher angeschafft wurden. Dass Armin, in der letzten Reihe sitzend,
sich vor Lachen nicht einkriegte (warum wusste niemand genau), nahmen ihm
alle übel. Danach galten sie im Lehrerzimmer wieder als die „Chaoten“.
So richtig trauten sie in der 7b der Annalena aber auch nicht. Und so
schlug Olafs Stunde. Der betreute die Klassenkasse. Der wusste, wie’s geht,
immerhin war stets genug Geld für die Klassenfahrten da. Was den Rest des
Jahres mit der klimpernden Kiste passierte, war den anderen egal.
Ein wenig höher ist das Niveau des Bundestagswahlkampfs schon, zugegeben.
Aber der Beigeschmack bleibt, dass es ziemlich unfair zugeht. Dass die
Plagiatsvorwürfe gegen Annalena Baerbock und Armin Laschet, die
Hochstaplerinnen- hier und Clownsvorwürfe dort Einfluss auf die Wahl haben.
Die Unstimmigkeiten um Olaf Scholz, CumEx und Wirecard, den Umfragewerten
nach zu urteilen, überhaupt nicht. Er gilt plötzlich als legitimer
Merkel-Erbe. Als Alles-wird-gut-Onkel. Als mittlerweile 25-Prozent-Star.
So, genug Bindestriche. Jedenfalls dürfen seine Finanzleichen nicht einfach
so im Keller bleiben. Sie müssen obduziert werden.
## Scholz Skandale sind verständlich
Ein Argument, das sich nunmehr festgesetzt zu haben scheint, lautet: Diese
wirtschaftlichen Zusammenhänge versteht halt keiner. Zu komplex, sowieso
nicht ganz durchschaubar. Dabei ist es doch eigentlich ganz einfach: Rund
um Scholz gab es Ungereimtheiten, dann waren Milliarden an Steuergeldern
weg. Es stellt sich die Frage: Warum ist er trotzdem drauf und dran, der
nächste Bundeskanzler zu werden? Zunächst jedoch eine Zusammenfassung
dessen, was der SPD-Kanzlerkandidat wirklich gemacht hat.
Wenn es nach der Opposition im Bundestag und der Union ginge, dann wäre
Olaf Scholz völlig ungeeignet für so ziemlich jedes Amt. Im CumEx-Fall geht
es darum, dass der damalige erste Bürgermeister Hamburgs, Scholz eben, die
Finanzbehörde beeinflusst haben soll. Die Bank M.M. Warburg war an den
CumEx-Geschäften beteiligt, bei denen sich Unternehmen Steuern haben
erstatten lassen, die sie nie gezahlt hatten. Über Jahre haben
Bänker:innen, Anwält:innen und Investor:innen den deutschen Staat betrogen.
Ende Juli hat der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt, dass es sich um
strafbare Steuerhinterziehung handelt. Auch Verjährungsfristen gibt es
nicht, es soll also alles Geld zurückgeholt werden. Die genannte
Warburg-Bank war als eine der ersten dran. Der BGH verurteilte sie zu
Nachzahlungen von 176 Millionen Euro. Geld, das das Hamburger Finanzamt
schon 2016 zurückwollte, als die CumEx-Geschäfte aufgeflogen waren.
Die Warburg-Chefs bekamen Wind davon und wendeten sich an Scholz. Das
Finanzamt solle die Forderungen doch bitte fallenlassen. Scholz leitete das
Schreiben der Bankiers weiter. Später wurden die Forderungen zur
Nachzahlung eingestellt. Mit beinahe wörtlich derselben Begründung, wie sie
die Bank bei Scholz eingereicht hatte. Der sagt, er habe die Dokumente nur
weitergeleitet, um den Dienstweg einzuhalten. Die Vertreter:innen anderer
Parteien sehen eine eindeutige Einflussnahme.
## Wenigstens die politische Verantwortung trägt Scholz
Olaf Scholz hat also nicht direkt gestohlen oder sonst etwas greifbares
getan. Aber er stand anscheinend auf der Seite der Bank. Auf der Seite
derer, die hinterzogenes Geld nicht zurückzahlen wollten. Wie schlimm man
das findet, sei jeder/jedem selbst überlassen. Diskutieren sollte man es
aber schon.
Kritik an Olaf Scholz äußert die Union auch in Sachen Wirecard.
DerZahlungsdienstabwickler (Wer online shoppt, hat vermutlich mal von
Wirecard profitiert) hatte seine Bilanzen gefälscht. Dass das Fehlen von
1,9 Milliarden Euro auffliegt, hat der Konzern aus Aschheim bei München
auf, naja, unsympathische Weise zu verhindern versucht. Zum Beispiel wurden
Journalisten, die den Betrug aufdecken wollten, überwacht.
Die Finanzaufsicht Bafin zeigte jenen Journalisten zunächst an, weil sie
hinter seiner Berichtserstattung heimliche Markteinflussnahme vermuteten.
War dann doch nicht so. Die Behörde ist dem Finanzministerium von Olaf
Scholz unterstellt. Die politische Verantwortung trägt laut Opposition und
Union er. Man hätte die schmutzigen Geschäfte früher unterbinden müssen.
Auch hier hat Olaf Scholz niemanden verprügelt oder nicht mehr zeitgemäße
Wörter gesagt. Aber er hätte seinen Job nach Ansicht aller im Bundestag
(ausgenommen der SPD) besser machen können. Dass seine Behörde es nicht
tat, kostete Anleger fast 30 Milliarden Euro. Zur Einordnung: Das sind über
14 Tausend Fußballfelder oder der komplette Hilfsfonds der Bundesregierung
für die Flutopfer.
## Finanzkriminalität wird häufig ignoriert
Was ist ein Plagiatsvorwurf oder ein Lachen an falscher Stelle gegenüber
vielen Millarden Euro? Auf den ersten Blick nicht viel. Auch auf den
zweiten bleibt das Gefühl, die Skandale der Spitzenkandidierenden werden
mit unterschiedlichen Maßstäben bewertet.
Wer für wohltätige Zwecke spendet, dem kann man wegen Steuerhinterziehung
nicht böse sein. Deshalb ist Uli Hoeneß auch mehr als der Mann bekannt, der
aus dem FC Bayern München einen der größten Sportvereine der Welt machte.
Der den deutschen, ja den Weltfußball geprägt hat.
Dass er wegen Steuerhinterziehung eineinhalb Jahre im Knast saß, spielt
keine große Rolle. Im Sinne der Resozialisierung ist das ja gut, allerdings
häuften sich schon während des Prozesses die Liebesbriefe im Hause Hoeneß.
Auch im Verein ist ihm zumindest wegen dieser Sache niemand wirklich böse.
Es sind unterschiedliche Fälle, klar, aber das Gemeinsame besteht darin,
dass erhebliche Teile der Bevölkerung beiden vergeben zu haben scheinen,
Hoeneß wie Scholz, bevor je wirklich jemand böse gewesen ist. Das Bild vom
Bayern-Retter, das des neuen Stabilisators im Land, wird durch
Finanzskandale nicht gebrochen.
## Selten Konsequenzen für Verantwortliche
Denen reine Faulheit zu unterstellen, die so vergebungswillig sind, ist
aber ebenso zu faul. Es ist ein Anfang, aber es steckt mehr dahinter.
Genauer: Die deutsche Bereitschaft, finanzielle Ungereimtheiten bis
Straftaten nicht schwerer ins Gewicht fallen zu lassen, als ein Lachen zu
einem ungünstigen Zeitpunkt.
Neben Scholz und Hoeneß sind die CDU-Spendenaffäre zu nennen. Auch
Kooperationen, wie die der Deutschen Bank mit dem Investmentbänker und
verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein versanden in der Debatte
schnell. Und wenn in Baden-Württemberg vorgeschlagen wird, jeder solle
Steuerhinterzieher:innen anzeigen können, ist die Rede von Denunziantentum.
Konsequenzen gibt es ohnehin selten. Jedenfalls nicht für die führenden
Köpfe in der Politik. Die müssten von der Politik selbst verlangt werden,
was es nicht wahrscheinlicher macht. Dass aber auch die Bevölkerung so
freundlich mit den teilweise unfassbar (moralisch) teuren Fehltritten
umgeht, zeigt zum Beispiel das Umfragehoch der SPD.
Ob das daran liegt, dass die Finanzwelt so weit weg scheint? Ob es die
mangelnde Haptik ist? Ob die Beträge, um die es geht so astronomisch sind,
dass sich die wenigsten etwas darunter vorstellen können? Das kann man wohl
nicht seriös beantworten.
## Verwehrte Diskussion
Wenn es die Besserwisser:innen aus Politik und Medien aber weiter großen
Teilen der Bevölkerung nicht zutrauen, zumindest die groben Strukturen der
Skandale des Olaf Scholz zu verstehen, ist das nicht nur ein wenig
arrogant. Man verwehrt sich und anderen jede weitere Diskussion. Und die
wäre bloß fair. Denn die 7b verdient es zu wissen, dass nicht nur Geld für
die Klassenfahrten da gewesen wäre. Sondern eigentlich auch für neue
Schaumstoffbälle und endlich einen neuen Farbanstrich im Klassenzimmer.
12 Sep 2021
## AUTOREN
Adrian Breitling
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