# taz.de -- Vorgeschichte des Kinos: Parodie ist Recht des Künstlers | |
> Große Komödie als Hommage an das italienische Theater und die Frühzeit | |
> des italienischen Kinos. Das gibt es bei den Filmfestspielen von Venedig. | |
Bild: Toni Servillo und Maria Nazionale in „Qui rido io“ von Mario Martone | |
Die Filmfestspiele von Venedig haben sich seit einigen Jahren einen Namen | |
als Warmlaufstrecke für die Oscars gemacht. Filme wie [1][Todd Phillips’ | |
Superschurken-Hit „Joke]r“ oder die [2][Fantasy-Liebesgeschichte „Shape of | |
Water“ von Guillermo del Toro] liefen siegreich im Wettbewerb, bevor sie | |
ihren Erfolgszug bei den Oscarverleihungen fortsetzten. Doch in Venedig | |
gibt es verständlicherweise ebenfalls ein starkes Aufgebot an italienischen | |
Filmen, dieses Jahr stehen fünf heimische Beiträge auf dem | |
Wettbewerbsprogramm. | |
Bis jetzt kann man über die Auswahl nicht klagen. So unterschiedlich Paolo | |
Sorrentinos autobiografische Tragikomödie „È stata la mano di Dio“ und | |
Michelangelo Frammartinos nachgestellte Höhlenexpedition „Il buco“ auch | |
sind, sie gehören allemal zu den stärkeren Kandidaten auf den Goldenen | |
Löwen. Das gilt auch für die Theaterhommage „Qui rido io“ von Mario | |
Martone, in dem Toni Servillo mit seiner Hauptrolle als Komödiant und | |
Theaterdirektor Eduardo Scarpetta seinen zweiten Auftritt im Wettbewerb | |
hat. | |
Eduardo Scarpetta war Erfinder der Figur des Felice Sciosciammocca, der auf | |
der Bühne in neapolitanischem Dialekt seine Possen reißt. In Scarpettas | |
Truppe spielten verschiedene seiner Kinder, eheliche wie uneheliche, | |
darunter Eduardo, Peppino und Titina De Filippo, die neben ihrer Theater- | |
später eine bemerkenswerte Leinwandkarriere haben sollten. | |
## Ab auf die Bühne | |
In Martones Film bekommt man die familiären Zusammenhänge erst allmählich | |
erklärt, man versteht aber schon früh, dass die häusliche Situation | |
Scarpettas unübersichtlich ist. Servillo gibt diesen Scarpetta als | |
passionierten Patriarchen und sorgsam an einer Künstlerdynastie arbeitenden | |
Chef seines Hauses. Die Kinder müssen sehr jung auf die Bühne, selbst der | |
kleine Peppino, der den Vater nicht mag und lieber mit seinem Schaf auf dem | |
Land spielt, lernt irgendwann seine Texte auswendig. | |
Martone präsentiert diese Geschichte, die am Beginn des 20. Jahrhunderts | |
einsetzt, als Reigen der stets im Fluss scheinenden persönlichen Zu- und | |
Abneigungen eines weitverzweigten Hauses. | |
Die Komödie überwiegt in diesem Porträt. Ein wenig Drama kommt hinzu, als | |
Scarpetta den Dichterfürsten [3][Gabriele D’Annunzio] (Paolo Pierobon) | |
aufsucht, um dessen jüngstes Stück „La figlia di Joria“ mit dessen | |
Autorisierung zu parodieren. D’Annunzio gibt sich einverstanden, ohne die | |
Sache schriftlich zu genehmigen. Nach der Uraufführung verklagt er | |
Scarpetta, wirft ihm vor, dessen Parodie sei in Wirklichkeit ein Plagiat. | |
Aus dem Prozess wurde Italiens erster großer Urheberrechtsstreit. | |
D’Annunzio, der im Film noch nicht als Ideengeber des Faschismus in | |
Erscheinung tritt, wird von Martone als Parodie eines Fin-de-Siècle-Poeten | |
inszeniert, der seinen Gast im seidenen Hausmantel empfängt, umgeben von | |
lasziven „Musen“. | |
Martone erzählt damit nicht allein ein Kapitel wichtiger Theatergeschichte | |
Italiens, sondern auch die Vorgeschichte der Komödie des italienischen | |
Kinos. Von den Spuren, die die Geschwister De Filippo darin hinterlassen | |
haben, gibt es derzeit übrigens ein wenig auf Netflix zu sehen: In „Im | |
Zeichen der Venus“ (1955) spielt Peppino De Filippo, in „Ferdinand – Kön… | |
von Neapel“ (1959) neben ihm zugleich Eduardo und Titina. | |
9 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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