| # taz.de -- Verfassungsschutz umwirbt Wissenschaft: „Höchst problematisch“ | |
| > Mit einem neuen Zentrum will der Verfassungsschutz mit der Wissenschaft | |
| > kooperieren. Dort aber warnen gut 200 Forschende vor Vereinnahmung. | |
| Bild: Will jetzt auch die Wissenschaft für sein Amt einspannen: Verfassungssch… | |
| BERLIN taz | Am Donnerstag in einer Woche wird es die Premiere geben. Dann | |
| will das Zentrum für Analyse und Forschung (ZAF) das erste Mal mit einer | |
| „Wissenschaftskonferenz“ in Berlin an den Start gehen, zum Thema | |
| „Extremismus und Sozialisation“. Forscher:innen aus 11 Hochschulen | |
| wollen dann diskutieren, ob gesellschaftliche Teilhabe Radikalisierung | |
| verhindert oder wo sich Islamisten und Incels ähneln. | |
| Das Besondere: Mit auf dem Podium werden Vertreter des | |
| [1][Verfassungsschutzes] sitzen, inklusive Präsident [2][Thomas | |
| Haldenwang]. Überraschend ist das nicht – denn das ZAF ist ein neues Kind | |
| des Geheimdienstes. Das Zentrum soll nach eigener Auskunft eine | |
| „phänomenübergreifende, interdisziplinär arbeitende Forschungsstelle“ se… | |
| und mit der Wissenschaft kooperieren. Das Ziel: die Analysekompetenz des | |
| Amtes zu stärken, etwa um Radikalisierungen zu verstehen. Das aber zieht | |
| bereits jetzt Kritik auf sich – aus Teilen der Wissenschaft. | |
| In einem zu Wochenbeginn veröffentlichten „[3][Einspruch]“ von mehr als 200 | |
| Wissenschaftler:innen heißt es, man stehe dem ZAF „sehr skeptisch | |
| gegenüber“. Dass der Verfassungsschutz die Zusammenarbeit mit der externen | |
| Wissenschaft suche, sei „ein Problem“. Zu den Unterzeichnern gehören | |
| renommierte Namen wie [4][Wilhelm Heitmeyer], Oliver Decker oder | |
| [5][Matthias Quent]. | |
| ## „Zuliefer:innen für behördlich vorgegebene Ziele“ | |
| Sie verweisen auf Wissenschaftsstandards wie das freie Forschen oder die | |
| öffentliche Verfügbarkeit erhobener Daten – was der Verfassungsschutz „qua | |
| Auftrag gar nicht einhalten“ könne. Auch unterliege der Dienst Weisungen | |
| aus den Innenministerien: Erkenntnisse könnten zurückgehalten werden, | |
| Mittelvergaben erfolgten „auf Zuruf“. Forscher:innen liefen damit | |
| Gefahr, „Zuliefer:innen für behördlich vorgegebene Ziele“ zu werden. Zudem | |
| sei absehbar, dass die „Entgrenzung“ solcher Forschung bei einem Teil der | |
| Beforschten „erhebliches Misstrauen“ hervorrufen werde. | |
| Der Sozialpsychologe Oliver Decker von der Universität Leipzig, einer der | |
| Erstunterzeichner und Mitherausgeber der bekannten | |
| [6][Autoritarismusstudien], unterstreicht diese Kritik. „Der | |
| Verfassungsschutz wagt sich immer weiter in Bereiche vor, für die er bisher | |
| aus guten Gründen nicht zuständig ist. Und dazu gehört sicherlich die | |
| Erforschung von Einstellungen.“ Offensichtlich suche der Geheimdienst | |
| Expertise, da er bei seinen Analysen überfordert sei, so Decker zur taz. | |
| Eine Vermischung mit der Wissenschaft sei aber „hoch problematisch“, da zu | |
| den Erkenntnissen des Geheimdienstes keinerlei Transparenz herrsche. „Hier | |
| braucht es vielmehr eine klare Abgrenzung: Der Verfassungsschutz sollte | |
| sich auf die Terrorabwehr beschränken, um den Rest kümmern sich | |
| Wissenschaft und Zivilgesellschaft.“ | |
| ## Der Verfassungsschutz verspricht einen „Ethikkodex“ | |
| Beim Verfassungsschutz äußert man sich vor der Konferenz nicht öffentlich | |
| zu der Kritik. Auf eine Linken-Anfrage antwortete die Bundesregierung | |
| zuletzt aber, das ZAF wolle mit künftigen Forschungspartnern eine | |
| „vertragliche Vereinbarung“ eingehen, wie mit den erhobenen Daten | |
| umgegangen wird. Spreche der Geheimschutz nicht dagegen, würden gemeinsame | |
| Forschungsergebnisse veröffentlicht. Auch sei ein „Ethikkodex“ geplant. Das | |
| Zentrum wird von der Bundesregierung für 2021 mit 490.000 Euro aus Geldern | |
| für die Extremismusprävention bezuschusst. | |
| Auch der Soziologe Matthias Quent hat damit Bauchschmerzen. | |
| „Verfassungsschutzbehörden berufen sich auf Geheimwissen, um ihre teils | |
| folgenschweren Einschätzungen zu begründen. Das ist mit wissenschaftlichen | |
| Standards nicht vereinbar.“ Auch eine Unabhängigkeit fehle ihnen. Gerade | |
| Sozialforschung sollte hier kritisch sein und sich nicht für die | |
| Rechtfertigung von nachrichtendienstlichen Aussagen vereinnahmen lassen, so | |
| Quent zur taz. Bei der wissenschaftlichen Bearbeitung gesellschaftlicher | |
| Probleme drohe sonst eine „staatszentrierte Versicherheitlichung“. Auch | |
| Quent plädiert stattdessen für eine unabhängige wissenschaftliche Struktur, | |
| „nicht im Auftrag des Verfassungsschutzes, sondern als dessen Korrektiv“. | |
| Für die Verfassungsschutzkonferenz des ZAF am 16. September sagten dennoch | |
| mehrere Wissenschaftler:innen zu. Die Berliner Politikprofessorin | |
| Sabine Achour, Mitautorin der renommierten „[7][Mitte-Studie]“, ist eine | |
| von ihnen. Auch sie indes kann den „Einspruch“ ihrer Kolleg:innen | |
| nachvollziehen: „Die Kritik im Aufruf ist wichtig und muss diskutiert | |
| werden.“ Sie selbst komme aus der politischen Bildung, die seit geraumer | |
| Zeit im Zeichen einer „Versicherheitlichung“ stehe und als „Instrument der | |
| Extremismusprävention“ eingesetzt werde, sagt Achour der taz. „Das passt | |
| nicht zu ihrem Selbstverständnis.“ Diese Kritik wolle sie auf dem Kongress | |
| einbringen, und dafür sei sie auch eingeladen. Eine längerfristige | |
| Zusammenarbeit mit dem ZAF sei dagegen schwierig vorstellbar, so Achour. | |
| „Dafür arbeiten politische Bildung und Verfassungsschutz viel zu | |
| unterschiedlich.“ | |
| 7 Sep 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
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