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# taz.de -- Islamisten in Afghanistan: Total verfeindet
> Die Taliban und der IS-Ableger ISKP bekämpfen sich. Sie unterscheiden
> sich ideologisch. Doch die Zivilbevölkerung muss unter beiden leiden.
Bild: Ein schwerbewaffneter Taliban-Kämpfer am Donnerstag in Kabul
Berlin taz | Zu den beiden [1][brutalen Selbstmordanschlägen] am Kabuler
Flughafen am Donnerstagabend hat sich der afghanisch-pakistanische Ableger
des sogenannten Islamischen Staates (ISKP) bekannt. Dies wurde sowohl über
den Nachrichtenkanal der in Syrien und Irak agierenden IS-Zentrale als auch
direkt vom ISKP über soziale Medien verbreitet.
ISKP steht für „Islamischer Staat der Khorasan-Provinz“ und ist ein
Franchise der IS-Zentrale. 2015 hatten lokale Islamistengruppen aus
Pakistan und Afghanistan im Grenzgebiet beider Länder ihren Anschluss an
den IS erklärt. Der erkannte sie als Teil seines Netzwerks an, ohne dass
zumindest anfangs direkte Verbindungen bestanden.
Am letzten Tag der Evakuierungen aus Afghanistan versetzte die Gruppe ihren
beiden Hauptfeinden, dem Militär der bisherigen Hauptbesatzungsmacht USA
und den rivalisierenden Taliban, noch einen empfindlichen Schlag. Der
Doppelanschlag kam aber nicht ohne Warnung, die gab es seit einigen Tagen.
Die Londoner Times zitierte Sicherheitsexperten, denen zufolge der ISKP
schon in den Vortagen den Flughafen ausgespäht habe. Sie verwiesen auf
einen Vorfall am Montag, bei dem ein nicht identifizierter Angreifer einen
afghanischen Soldaten erschoss, offenbar um die Reaktionsmuster der
Sicherheitskräfte zu testen.
## Nicht vollständig unter Kontrolle
Trotz der Warnungen waren das in seinem Aktionsradius nur noch auf den
Flughafen beschränkte US-Militär und die mit ihm dort verschanzten
bewaffneten Einheiten des Geheimdienstes der gefallenen afghanischen
Regierung nicht mehr in der Lage, die Attentäter abzufangen.
Aber was in seinen Konsequenzen für Afghanistan schwerer wiegt: Auch die
nun [2][an der Macht befindlichen Taliban] schafften das nicht. Das zeigt,
dass sie – wie alle Regime der letzten 40 Jahre – das Land nicht
vollständig kontrollieren und es Spielräume für verfeindete Gruppen gibt.
Darüber, ob der ISKP vielleicht im Auftrag eines Geheimdienstes handelte
oder unterwandert und instrumentalisiert wurde, kann man nur spekulieren.
Auszuschließen ist das angesichts der vielfältigen regionalen und globalen
Konflikte, die auf afghanischem Boden ausgetragen werden, nicht.
Wie in allen Phasen der seit 1978 ununterbrochenen afghanischen
Bürgerkriege trägt erneut die Zivilbevölkerung – in diesem Fall die vor den
Taliban Flüchtenden – die größte Opferlast. Wie alle Parteien in diesem
Konflikt nimmt auch der ISKP keine Rücksicht auf Zivilist:innen. Wegen der
terroristischen Mittel, die auch die Taliban einsetzen, sieht die
betroffene Zivilbevölkerung keinen Unterschied zwischen beiden
Organisationen.
## Getrennte Welten
Dabei trennen sie politisch-ideologisch Welten: Der IS strebt ein
weltweites islamisches Kalifat an, die Taliban ein nationales Emirat.
Emirate kann es mehrere geben, wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder
eben das Islamische Emirat Afghanistan, die offizielle Selbstbezeichnung
der Taliban. Sie können deshalb als national-islamistische Bewegung
bezeichnet werden, während es sich beim IS um global ambitionierte
Dschihadisten handelt.
Seitdem es den ISKP in der afghanischen Kriegsarena gibt, seit 2015 also,
herrscht zwischen ihm und den Taliban erbitterte Feindschaft. Damals, nach
dem Ende des ISAF-Einsatzes und dem Abzug der meisten Natotruppen, sahen
die Taliban den Sieg bereits am Horizont. Eine islamistische Konkurrenz
konnten sie nicht gebrauchen.
Mitte 2015 schrieben sie freundlich, aber bestimmt an den später
umgekommenen IS-Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi im syrischen Raqqa, seine
Gruppe möge sich aus Afghanistan heraushalten und die „islamische Bewegung“
nicht spalten.
Baghdadi schlug die Warnung in den Wind. In sechs afghanischen Provinzen
entstanden ISKP-Ableger aus radikalisierten afghanischen Studenten,
Taliban-Dissidenten und pakistanischen Splittergruppen, die von Afghanistan
aus operieren. Salafistische Onlinekrieger leisteten Rekrutierungshilfe.
Die Gruppe profitierte kurzzeitig von internen Führungskämpfen bei den
Taliban.
## Salafistische Gemeinden
Die Taliban aber gingen sofort gegen die ISKP-Gruppen vor. Wer nicht
kapitulierte, wurde umgebracht. Nur eine Gruppe überlebte in entlegenen
Bergregionen Ostafghanistans. Dort gab es salafistische Gemeinden, die mit
den Ideen des IS sympathisierten. Aber auch die hatten bald genug von der
Terrorherrschaft der Gruppe, die sich auch schnell gegen sie wandte.
ISKP-Kommandeure zwangsverheirateten Frauen, richteten örtliche
Stammesführer hin, die Kritik übten, und vertrieben alle, die sich nicht
ihren strengen Regeln unterwerfen wollten. Auch Minderjährige wurden
zwangsrekrutiert.
Die lokalen Gemeinschaften stellten Selbstverteidigungsmilizen auf und
riefen die Taliban und die Regierung zu Hilfe. Ende 2019 und Anfang 2020
kam es zu zwei großen Offensiven, bei denen Taliban, Regierungstruppen und
US-Truppen kooperierten. Die afghanische Armee transportierte
Talibankämpfer ins Kampfgebiet, das US-Militär bombardierte ISKP-Stellungen
und vertrieb den ISKP von seinen territorialen Basen.
Jetzt, nach der Einnahme Kabuls, holten die Taliban in Kabul einsitzende
ISKP-Spitzen, darunter Anführer Abu Omar Khorasani, aus dem Gefängnis und
erschossen sie. Auch das kommt als Motiv für den Flughafenanschlag in
Frage, denn dort standen auch Talibanwachen.
Aber auch wenn das von den ostafghanischen Basen unabhängige
ISKP-Untergrundterrornetz überlebte, spielt die Gruppe im strategischen
Kräfteverhältnis Afghanistans keine Rolle mehr. Ohne lokale Basis wird das
auch nicht wieder der Fall sein. Die Taliban sind dem ISKP haushoch
überlegen, auch wenn die Gruppe weiter fähig ist, vereinzelt blutige
Anschläge zu verüben.
Mitarbeit: Obaid Ali und Khalid Gharanai
27 Aug 2021
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## AUTOREN
Thomas Ruttig
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