# taz.de -- Nachruf auf Mikis Theodorakis: Genauigkeit gegen Gespenster | |
> Hierzulande war Mikis Theodorakis für den Sirtaki-Song im Filmklassiker | |
> „Alexis Sorbas“ bekannt, nicht für seine Politik. Nun ist er 96-jährig | |
> gestorben. | |
Man hat [1][Mikis Theodorakis] in seinem Leben für vieles vereinnahmt. Als | |
Nationalikone, Politiker und anständigen Linken, als Freiheitskämpfer, | |
Antifaschisten und problematischen Ideologen. Er hat sich dafür zwar | |
vereinnahmen lassen, blieb aber trotzdem bewundernswert stur ein | |
Volksmusiker, der einen selbstständigen Weg gegangen ist. Bis zum Schluss | |
beschäftigte er sich in seiner Athener Wohnung [2][mit neuen Kompositionen] | |
und der Frage, was Kunst leistet in politisch instabilen Zeiten. | |
Sein Tod erinnert daran, dass der Schmerz politischer Erfahrungen, eine | |
seiner Lieblingsformulierungen, nicht allein rational aufgelöst werden | |
darf. Seine zutiefst poetische Antwort auf den Ungeist jedweder Diktaturen | |
wird sicher eines der bleibenden Vermächtnisse dieses Jahrhundertlebens | |
sein. | |
Es gibt eine Fotografie von Mikis Theodorakis, die ihn während der Probe | |
vor einem Konzert 1972 im Amphitheater von Caesarea in Israel zeigt. In | |
Griechenland regierte damals eine faschistische Junta, die ihn gefoltert | |
und mit Auftrittsverbot belegt hatte. Theodorakis, auf internationalen | |
Druck ins französische Exil entlassen, hält auf dem Foto die Arme | |
ausgebreitet, hoch konzentriert, die Augen fast geschlossen. Es ging ihm | |
als Künstler immer um sorgfältige Arbeit. | |
## Vertrieben und gefoltert von der Junta | |
Während der Junta-Zeit 1967–74 gab er als Exilierter mehr als 500 Konzerte | |
im Ausland. Meist umjubelt und gefeiert, wurde er zum Gesicht des | |
Widerstands, nicht nur gegen die Obristen in Athen, sondern auch gegen | |
wachsende totalitäre Tendenzen auf der Welt. Künstlerisch machte er dabei | |
keine Kompromisse. Er wollte dem Ungeist so etwas wie Genauigkeit und | |
Poesie entgegensetzen. Dafür wurde er bewundert und von denen, die mit ihm | |
zusammengearbeitet haben, geliebt. | |
Werke wie der „Mauthausen-Zyklus“, benannt nach einem KZ in Österreich, der | |
„Canto General“ nach Gedichten von Pablo Neruda oder sein Liederzyklus | |
„Sonne und Zeit“ werden bis heute aufgeführt, weil sie Antworten auf | |
aktuelle Fragen geben. Zum Beispiel, wie man eine Widerstandshaltung | |
populär macht, ohne populistisch zu sein. „Wir haben mittags Durst / Aber | |
das Wasser ist ohne Geschmack“, wie es in einem seiner Lieder heißt. | |
## Widerstand gegen die Nazis | |
1925 auf der Insel Chios geboren, begann sich Mikis Theodorakis früh für | |
Musik zu interessieren. Während der deutschen Besatzung im Zweiten | |
Weltkrieg schloss er sich dem Widerstand an und lernte die Theorien des | |
Marxismus kennen, ohne einem Nachplappern von Axiomen zu verfallen. Anders | |
als viele „engagierte Linke“ seiner Generation hatte er keine | |
Berührungsängste mit Volkskultur. Er studierte die Geschichte der | |
Rembetiko-Lieder, von Musik der Flüchtlinge der kleinasiatischen | |
Katastrophe in Smyrna, aber auch der byzantinischen Musik. | |
Zugleich interessierte sich Theodorakis für zeitgenössische Lyrik, etwa für | |
das Werk des Literaturnobelpreisträgers Odysseas Elytis. Als er in den | |
frühen 1950er Jahren nach Paris ging, gehörte er zu den Studenten des | |
Komponisten Olivier Messiaen. Er komponierte zunächst im Stil der Zeit, | |
spürte bald, dass dies eine „Musik nur für die Auserwählten“ sei, wie er | |
notierte. Nach der Premiere seines Antigone-Ballets 1959 im Londoner | |
Convent Garden Theater, getanzt von Rudolf Nurejew und Margot Fonteyn, | |
erinnerte er einen folgenreichen Ekel: „Ich … sah das Publikum applaudieren | |
und begriff, dass mich mit diesen Menschen nichts verband. Also packte ich | |
meine Siebensachen … und ging zurück nach Griechenland.“ | |
Zurück in Athen, begann er seinen Stil radikal zu ändern. Fortan setzte er | |
Instrumente wie die Bouzouki ein. Die Resonanz war überwältigend. Bis heute | |
kann man bei Konzerten seiner Musik in Griechenland erleben, dass auch | |
junge Menschen die komplexen Texte seiner Vertonungen anspruchsvoller Lyrik | |
mitsingen. Etwa der sehr vielschichtige Text von Odysseas Elytis in dem | |
Oratorium „Axion Esti“ (Gepriesen sei). | |
Bekannt wurde er im Westen vor allem durch seine Lieder. Dabei wurde er | |
zuweilen als „Liedermacher“ eingeordnet, was vollkommen an seinen | |
Intentionen vorbeiging. Er selbst sah sich als Schöpfer des „Neuen | |
Griechischen Liedes“. Ein Versuch, die Musik anschlussfähig zu machen an | |
die mitteleuropäischen Kunstlieder, wie sie im 19. Jahrhundert geschaffen | |
wurden. Dass sie in Griechenland im Radio gespielt und auf den Straßen | |
aufgeführt wurden, machte sie der westlichen Rezeption verdächtig. Es gab | |
aber auch Stimmen wie die des Journalisten Ron Hall, der das spannende | |
Wechselspiel zwischen Pop und Anspruch verstand. | |
## Jenseits von billigem Pathos | |
Etwas, was sich Bertolt Brecht zeitlebens gewünscht hatte, nämlich, dass | |
sein Werk vom „Volk“ aufgenommen werde, jenseits von billigem Pathos, | |
erfüllte sich in seinem Schaffen. Dass er dabei auch ein Popkünstler war, | |
ist bislang kaum reflektiert. Der seriöse deutsche Orchesterbetrieb tut | |
sich schwer mit Mikis Theodorakis, weil seine Werke zum Teil in | |
haarsträubenden Fassungen von Schlagersängerinnen wie [3][Milva] und Vicky | |
Leandros zum Besten gegeben wurden. Theodorakis hatte kein Problem damit. | |
Er glaubte an die Vielschichtigkeit des Wirkens von Kunst. | |
Nach Ende der Militär-Junta gab er ein legendäres Konzert im Oktober 1974 | |
im Athener Karaiskakis-Stadion. „Dieser Augenblick war für mich der | |
absolute Höhepunkt meines Lebens. Das Publikum war in einer Verfassung, wie | |
ich es nie wieder erlebte: erfüllt von Freude, Glück, Stärke.“ Das | |
Hochgefühl, mit den Mitteln der Musik die Gespenster des Faschismus zu | |
vertreiben, ist etwas, das heute fast wehmütig stimmt, da es kaum mehr | |
denkbar scheint. Dass Mikis Theodorakis in seinem politischen Engagement | |
auch naiv und fahrlässig handelte, ist ein irritierendes Feld seiner | |
Biografie. | |
Seine [4][antisemitischen Ausfälle] während eines TV-Interviews 2011, seine | |
Parteinahmen im Streit [5][um die „richtige“ Benennung Mazedoniens] haben | |
viele Fans ungläubig verfolgt. Liest man seine Texte zum Thema, sieht man | |
eine differenziertere Haltung. Besonders in Israel war man in Anbetracht | |
seiner antifaschistischen Lieder enttäuscht von den antisemitischen | |
Äußerungen. Als er sich kurz darauf entschuldigte und von einem „Fehler“ | |
sprach, zeigte er seine Fähigkeit, Positionen zu revidieren. Das Gesamtwerk | |
von Theodorakis ist in keinster Weise antisemitisch konnotiert. | |
## Im Rollstuhl zur Demo | |
Theodorakis scheute sich nie, Stellung zu beziehen. Etwa, als er während | |
der Wirtschaftskrise in Griechenland 2012 im Rollstuhl sitzend an | |
Demonstrationen gegen die Troika teilnahm und dabei durch Tränengas schwer | |
verletzt wurde. Er blieb ein Linker im Sinne eines widersprüchlichen | |
Skeptikers. Seine politischen Stellungnahmen sind ohne die Bezüge zu seinem | |
Werk nicht zu verstehen. | |
Wie viele seiner Kritiker:innen im Westen hatten ein tieferes | |
Verständnis der spezifisch griechischen Prägungen und Traumatisierungen, | |
die seinem Werk zugrunde liegen? Bezüge, die eben nicht so einfach | |
einzuordnen sind, indem man halbgare Übersetzungen liest, wie sie leider in | |
CD-Booklets von Theodorakis’ Werken in Deutschland zuhauf zu finden sind. | |
Vor 1989 waren in der DDR Theodorakis’ Auftritte Signale aus einer fernen, | |
südlichen Welt, die in Ostdeutschland unerreichbar schien. In der | |
Bundesrepublik wurden seine Konzerte wiederum als eine sinnlichere Form | |
linken Widerstands gefeiert, freilich mit jener sublimen Ignoranz einer | |
tatsächlichen künstlerischen Auseinandersetzung, da die meisten im | |
Bouzouki-Takt verzückten Zuhörer:innen nicht den Hauch einer Ahnung der | |
komplexen Anspielungen seiner griechischen Originaltexte hatten. | |
So ist auch einer seiner größten Erfolge im Westen vor diesem Hintergrund | |
zu sehen. Die von ihm komponierte Filmmusik zu der von Michael Cacoyannis | |
1964 gedrehten Romanverfilmung „Alexis Sorbas“ mit Anthony Quinn in der | |
Hauptrolle. Der weltberühmte „Sirtaki“-Tanz ist eine Illusion des Films und | |
existiert in Griechenland nicht. Die Musik gehört sicherlich zu den | |
schwächeren Werken von Theodorakis, simpel und auf die Erfordernisse einer | |
Szene komponiert. Rückblickend urteilte Theodorakis darüber: „Viele | |
Menschen glauben doch tatsächlich, ich hätte nur ‚Taram-taram-taram‘ | |
geschrieben. Das ist lächerlich.“ | |
Seine Symphonien und Opern, die Rückkehr zur sinfonischen Musik im Alter, | |
sind in der westlichen Rezeption nie auf breites Interesse gestoßen. Er | |
blieb immer der Folklore-Grieche trotz vieler Versuche, wie der großartigen | |
Bildbiografie von Asteris Kutulas im Schott-Velag, die europäischen | |
Dimensionen seines Werkes aufzuzeigen. In einem seiner berühmtesten Lieder, | |
„Alte Straßen“ (Δρόμοι παλιοί), beschreibt er einen Menschen, … | |
Stadt zurückkehrt und nichts mehr wiedererkennt. | |
Noch kurz vor dem Beginn der Coronapandemie hatte es Maria Farantouri, eine | |
seiner großen griechischen Interpretinnen, in Berlin bei einem Konzert | |
gesungen, gestört von Zwischenrufen krawallsüchtiger Störer. Da wurde die | |
besungene Fremde ebenso greifbar wie die Kraft von Mikis Theodorakis’ | |
Musik. Sie wird wiederentdeckt werden, vielleicht gerade jetzt. | |
2 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Gernot Wolfram | |
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