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# taz.de -- Komponistin Eleni Karaindrou: Spröder als griechischer Wein
> Ihre Musik kennt man aus Theo Angelopoulos' Filmen: In diesen Tagen wird
> die Komponistin Eleni Karaindrou 80 Jahre alt. Ein Porträt.
Bild: Eine große Komponistin der modernen griechischen Musik wird 80: Eleni Ka…
Formbewusst, ohne streng anzumuten, phasenweise verspielt und in seltenen
Momenten explizit eine volksmusikalische Grundierung betonend. Dabei keinem
bestimmten Genre verpflichtet, federleicht ins Ohr gehend: Die Filmmusiken
von [1][Theo Angelopoulos], stets komponiert von der griechischen
Künstlerin Eleni Karaindrou, konfrontierten das internationale Publikum in
den 1980er Jahren mit einer gänzlich unbekannten Form von griechischer
Musik, anders, als man diese primär von [2][Mikis Theodorakis] Songs her
bereits zu kennen glaubte.
Enggeführt mit der mehrdeutigen Regie des „zeitreisenden Landvermessers“
(Wolfram Schütte über Angelopoulos) und dem seismografischen Blick von
dessen Kameramann Giorgos Arvanitis nahmen die Soundtracks von Karaindrous
widerstandslos Besitz von den Hörer:innen. Der spätere Heimathafen von
Eleni Karaindrous Kompositionen, das Münchner Jazz- und E-Musiklabel ECM,
ließ sich schon früh erahnen.
Als Kind sei sie von der Geräuschkulisse der Natur gebannt gewesen, hat
Karaindrou häufig betont, vom Sturm genauso wie von der Stille. In die
mischten sich die polyphonen Gesänge der Erwachsenen, und schon bald sang
sie byzantinische Kirchenmelodien mit. Als ihre Familie vom Bergdorf Tichio
in Mittelgriechenland in die Hauptstadt Athen zog, tat sich ein neuer
Echoraum mit viel Gewusel und Getöse auf, in dem das junge Mädchen jedoch
schnell entscheidende Entdeckungen machte: das Radio und ein Freiluftkino
direkt unter der Wohnung und außerdem – das Klavier.
Sie studierte das Instrument 14 Jahre, belegte Musiktheorie dazu sowie
Geschichte und Archäologie an der Universität. Nebenher begann Eleni
Karaindrou autodidaktisch zu komponieren und konnte bald erste Lieder
verkaufen.
## Exil in Paris
Der faschistische Militärputsch 1967 trieb Eleni Karaindrou, inzwischen
Mutter eines Sohnes, wie so viele ihrer Landsleute ins Exil. In Paris
schrieb sie sich für Musikethnologie an der Sorbonne und für Komposition an
der Schola Cantorum ein – und hielt endlich den großen Schlüssel in der
Hand, der noch so viele Türen öffnen sollte.
Zurück in Griechenland stürzte sie sich Mitte der 1970er Jahre in den
kulturellen Neuaufbruch, komponierte Auftragswerke für Theater und Film und
veröffentlichte 1975 ihr Debütalbum unter eigenem Namen: „I Megali
Agrypnia“ („Die große Mahnwache“, nach einem Zyklus des zeitgenössischen
Lyrikers K. Ch. Myri). Das Werk machte auch dank der Mitwirkung der
führenden [3][Theodorakis]-Sängerin Maria Farantouri Furore und seine Musik
klingt noch heute abenteuerlich.
Der Karaindrou-Sound fußt in der ländlichen Volksmusiktradition genauso,
wie sie die Errungenschaften von Manos Hadjidakis fortführt, dem anderen
großen Komponisten im modernen Griechenland, der etwa für den Soundtrack
von Jules Dassins Film „Sonntags nie“ bekannt ist. Mit der „Agrypnia“ g…
Karaindrous Stern auf, zumal ihr die Melodien nun nach eigenem Bekunden nur
so zuflogen, und 1982 begann ihre [4][Zusammenarbeit mit Theo
Angelopoulos], die 30 Jahre bis zu dessen jähem Unfalltod 2012 währte.
## Theo Angelopoulos
Dieser großartige Regisseur brauchte für seine Filme bekanntlich wenig
Worte, ließ Raum für lange Bildeinstellungen, schälte das Elementare heraus
– für die Musik von Karaindrou der Nährboden schlechthin. Schon bei den
ersten Schauplatzrecherchen, wenn mehr als ein Exposé noch gar nicht stand,
war sie immer zugegen. Was später als Drehbuch Gestalt annahm, veränderte
den Soundtrack dann gar nicht mehr entscheidend. Oft genügt Karaindrou ein
einziges Ausgangsmotiv, ja eine musikalische Floskel, um ihren Part am Ende
vollumfänglich auszufüllen.
„Parade“ zum Beispiel ist zu einer ihrer Signaturen geworden, eine
Kennmelodie, die direkt ins Blut geht und sofortiges Mitsummen provoziert.
Das gerade zweieinhalb-minütige Stück für Klavier und Chor von ihrem ersten
ECM-Album „Music for Films“ (1991) wird fälschlicherweise oft als Thema
eines Angelopoulos-Films zugeschlagen.
Es stammt aber aus dem Soundtrack zu Lefteris Xanthopoulos' „Happy
Homecoming, Comrade“, den kein Mensch hier je gesehen hat – ein schönes
Paradox als Beweis dafür, dass Karaindrous vermeintliche Zuarbeit von
Anbeginn ein autonomes Eigenleben behauptete, wie das ähnlich schon Nino
Rota und [5][Ennio Morricone] gelungen war.
Asketisch, jeder Virtuosität entkleidet, aber weit entfernt von den
wolkigen und esoterischen New Age-Anwandlungen, die zeitgleich im Westen um
sich griffen – so suchte und fand Karaindrous Musik ihre Gestalt. Das
intuitive Komponieren kurzer Skizzen, deren Melodien oft um ein simples
Bordunmotiv kreisen, ist ihr Markenzeichen geblieben.
Mal sind nur zwei Instrumente beteiligt, mal ist es eine Großbesetzung mit
Chor und Orchester, aber in denkbar sparsamem Einsatz. So war das bei
Angelopoulos' „Bienenzüchter“ und so ist das bei ihrer neuesten Produktion
„Tous des Oiseaux“ mit der Sängerin Savina Yannatou und großem Ensemble.
## Jazzsaxofonist Jan Garbarek
Die hohe Empfänglichkeit für Karaindrous Musik hatte anfangs auch mit der
überraschend prominenten Rolle zu tun, die dem norwegischen
Jazzsaxofonisten Jan Garbarek zukam. Außerdem spielte der ausgezeichnete
Gitarrist Giannis Spathas von der Progrock-Band Socrates mit, und hier
lohnt sich ein kleiner Ausfallschritt: Wer oder was außer Syrtaki und
Farantouri war eigentlich sonst noch an Musik aus Griechenland ins
kollektive Gedächtnis eingesickert?
Eine Ahnung von Rembetiko vielleicht. [6][Nana Mouskouri]. Die jesusmäßige
Schlagersängerexistenz eines Demis Roussos, einst Gründer von „Aphrodite’s
Child“, zusammen mit Vangelis Papathanassiou, der danach mit den Artrockern
von Yes reüssierte, eine unsterbliches Duowerk mit Irini Papas aufnahm und
den Blade Runner-Soundtrack schuf.
Jenseits unserer Wahrnehmung, [7][aber fast so produktiv wie Theodorakis]
und Hadjidakis, wirkten die Komponisten Yannis Markopoulos und Manos
Loizos, keinesfalls darf man den zappaesken Paradiesvogel Dionysis
Savvopoulos unterschlagen und auch nicht die anderen großen Stimmen:
Dimitra Galani, Eleftheria Arvanitaki, Giorgos Dalaras.
Sie alle brachten mitreißende, entschieden freiheitliche und explizit auch
so getextete Musik unters Volk, und zwar buchstäblich: oft umsonst und
draußen (with a little help from Andreas Papandreous PASOK), vor
städtischen und dörflichen Menschenmengen aus Drei-Generationen-Familien,
es waren die langen Sommer der Erholung von jahrzehntelangem politischem
Ungemach.
## Bouzoukisound
Parallel boomte der touristische Bouzoukisound, umgekehrt wurden wie
vielerorts am Mittelmeer mit leichter Verspätung Discofunk und Metal
importiert und adaptiert, es gab gut aufgestellte Labels, Studios, Clubs
und versierte Musiker zuhauf.
In Eleni Karaindrous wechselnden Ensembles spielten und spielen die besten
von ihnen, etwa der Oboist Vangelis Christopoulos, dazu stießen
internationale Stars wie die Bratschistin Kim Kashkashian. Karaindrous Werk
ist inzwischen auf einem runden Dutzend Alben für ECM dokumentiert. Nie hat
sie es sich in einer Nische gemütlich gemacht, ist aber auch nicht in
Richtung l’art pour l’art abgebogen.
Ihre jüngste Veröffentlichung „Tous des oiseaux“, enorm suggestive Musik …
einem Theaterstück des libanesisch-kanadischen Autors Wajdi Mouawad und
einem Film des iranischen Regisseurs Payman Maadi, ist der lebendige
Gegenbeweis. Eleni Karaindrous Terrain der Themen und Variationen bleibt
unerschöpflich, und ihr Drang nach reinen Klangfarben ebenso.
Bei ihr begreift man körperlich, wie ein Fagott, wie eine Oboe, eine Zither
klingt, wie der Bogen eine Lyra- oder Cellosaite zum Schwingen bringt. Und
das Klavierspiel dieser großen Komponistin mutet noch immer so unschuldig
an, als würde ein Kind zaghaft einzelne Tasten anschlagen und dann staunen,
dass es mit drei Fingern der rechten Hand ein ganzes Sinfonieorchester
hinter sich herziehen kann.
21 Nov 2021
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[5] /Library-Music-von-Morricone-und-Nicolai/!5725008
[6] /Schlager-Ikone-Nana-Mouskouri-wird-80/!5031257
[7] /Theodorakis-Vertrauter-im-Gespraech/!5808925
## AUTOREN
Andreas Schäfler
## TAGS
Musik
Filmmusik
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Griechenland
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Kriminalroman
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