# taz.de -- Kurswechsel bei Corona an Schulen: Keine Frage der Inzidenz | |
> In sechs Bundesländern ist das neue Schuljahr angelaufen. Prompt steigen | |
> die Infektionen – vor allem in NRW. Die Ministerien sehen kein Problem. | |
Bild: Do-It-Yourself Fensterlüftungssystem an einer Mainzer Schule, entwickelt… | |
BERLIN taz | Was manche vor dem neuen Schuljahr befürchtet haben, tritt | |
gerade in Wuppertal ein. Am letzten Ferientag, [1][dem 17. August], lag die | |
7-Tage-Inzidenz in der Stadt noch bei 99. Nach acht Schultagen ist sie auf | |
über 249 angesprungen, der aktuell bundesweit höchste Wert. Und er dürfte | |
weiter steigen. Denn rund jede zweite Wuppertaler Neuinfektion trifft | |
Kinder oder Jugendliche – und die wenigsten von ihnen sind bislang geimpft. | |
„Wir haben Infektionen in allen Schulformen“, sagt Stadtsprecherin Martina | |
Eckermann der taz. Allein von Montag bis Mittwoch vergangener Woche habe es | |
an 77 der knapp 100 Schulen Infektionsfälle gegeben. Bei etwa 400 | |
Schüler:innen sei der Schnelltest vor Unterrichtsbeginn bereits positiv | |
ausgefallen – fast jede:r Zehnte, der in Wuppertal zur Schule geht. Die | |
hohen Zahlen erklärt Eckermann mit den Reiserückkehr:innen – und der | |
hochansteckenden Deltavariante. | |
Das letzte Mal, als Wuppertal über die 200er-Inzidenz gelangte, im April, | |
schickte der Krisenstab alle Schüler:innen in den Distanzunterricht, | |
verhängte eine Ausgangssperre ab 21 Uhr und erlaubte Einkäufe nur mit | |
Termin. Und heute? „Wir überlegen, die 2G-Regel bei Großveranstaltungen | |
anzuwenden“, sagt Eckermann. Und um die Infektionen an Schulen zu | |
reduzieren, wolle man bei der Landesregierung eine Freigabe erhalten, dass | |
auch 12- bis 15-Jährige sich an ihren Schulen impfen lassen können – nicht | |
nur Schüler:innen ab 16. Wechsel- oder gar Distanzunterricht ist kein | |
Thema. | |
## „De facto keine schweren Verläufe“ | |
Damit liegt die Stadt voll auf Linie von Nordrhein-Westfalens | |
schwarz-gelber Landesregierung. Obwohl die vierte Welle in dem Land [2][so | |
heftig tobt wie nirgends sonst], hält Familienminister Joachim Stamp (FDP) | |
Präsenzunterricht für sicher. Es gebe bei den Unter-12-Jährigen, die | |
derzeit nicht geimpft werden können, „de facto keine schweren Verläufe“, | |
sagte Stamp dem Deutschlandfunk. | |
Auch Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) sagte der Rheinischen Post: „Dass | |
die Infektionen zum Schulstart steigen würden, war erwartbar. Und da die | |
Inzidenz in NRW über 100 liegt, gilt es, das Geschehen auch weiter genau zu | |
beobachten“ Mit „Maskenpflicht im Unterricht, hochwertigen und optimierten | |
Testverfahren sowie [3][Impfangeboten an Schulen]“ sei aber auch ein | |
„inzidenzunabhängiger“ Schulbetrieb möglich, so Gebauer. | |
Ob sie damit recht behält, zeigt sich wohl schon bald. Anfang der Woche | |
will das Schulministerium erste Zahlen veröffentlichen, wie viele | |
Schüler:innen seit dem Ferienende in Quarantäne mussten – und wie viele | |
sich in der Schule mit Covid-19 infiziert haben. Sind es sehr viele, dürfte | |
die Debatte, wie sicher die Schulen unter der Deltavariante sind, wieder | |
hochkochen. | |
## Infektionszahlen an den Schulen bisher überschaubar | |
Bisher ist das Schuljahr vergleichsweise [4][geräuschlos angelaufen] – von | |
dem Hin und Her um die Ausstattung der Klassenräume mit Luftfiltern mal | |
abgesehen. Die Zahlen aus den fünf Bundesländern, deren Schulstart schon | |
vor dem in NRW lag, geben vorerst wenig Grund zur Aufregung. | |
In [5][Schleswig-Holstein] etwa belaufen sich die nachgewiesenen | |
Coronafälle an Schulen seit Anfang August auf knapp 5.500, darunter rund | |
350 Infektionen bei Lehrkräften. Klingt viel, gerechnet auf landesweit | |
363.000 Schüler:innen machen die Infizierten aber nicht mal 1,5 Prozent | |
aus. Zudem stagnierten nach der zweiten Schulwoche die Neuinfektionen, in | |
der vierten lagen sie gar deutlich niedriger. „Wir sind sehr erfolgreich in | |
das neue Schuljahr gestartet“, sagte Bildungsministerin Karin Prien (CDU) | |
deshalb vergangenen Mittwoch im Kieler Landtag. | |
Auch in Hamburg sind trotz der gestiegenen 7-Tage-Inzidenz aktuell nur 78 | |
von 9.500 Schulklassen von Quarantänemaßnahmen betroffen. Seit dem | |
Schulstart am 5. August sind nur 815 der rund 200.000 Schüler:innen | |
sowie 30 Schulbeschäftigte an Covid-19 erkrankt, so ein Sprecher der | |
Schulbehörde. Die „allermeisten“ Infektionen seien bereits im privaten | |
Umfeld passiert – etwa durch Reiserückkehr:innen. [6][Schulsenator Ties | |
Rabe] (SPD) fühlt sich so sicher, dass er künftig nur mehr unmittelbare | |
Sitznachbar:innen in Quarantäne schicken möchte – wie es NRW oder | |
Brandenburg längst empfehlen. | |
## In Berlin keine Quarantäte mehr für Kontaktpersonen | |
Noch weiter geht der Berliner Senat. Hier soll in Kitas und Schulen nur | |
noch [7][in Quarantäne, wer positiv getestet wurde]. Vergangene Woche waren | |
das 917 Schüler:innen berlinweit – 0,27 Prozent der Gesamtschülerzahl. | |
87 Lerngruppen befinden sich noch in Quarantäne. Nach den neuen Regeln | |
werden es ab dieser Woche null sein. | |
Bei Eltern ist dieser Weg umstritten – Mediziner:innen halten ihn für | |
durchaus gerechtfertigt. „Bisher orientierten sich alle Maßnahmen in den | |
Schulen an der Maxime, möglichst jede Infektion im dortigen Kontext zu | |
verhindern“, schreiben der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- | |
und Jugendmedizin, Jörg Dötsch, der Epidemiologe Gérard Krause vom | |
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig und weitere | |
Wissenschaftler in einem Gastbeitrag für Die Zeit. Inzwischen hätten sich | |
die Grundbedingungen der Pandemie geändert, sodass dieses Prinzip auf den | |
Prüfstand gestellt gehöre. | |
Auch Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) spricht von neuen | |
Rahmenbedingungen. „Dass es immer wieder einmal eine Quarantäne einzelner | |
Klassen und Lerngruppen und damit Distanzunterricht gibt, lässt sich nicht | |
ausschließen“, sagt Ernst der taz. Knapp 3.000 Schüler:innen sind | |
derzeit brandenburgweit in Quarantäne – etwa ein Prozent der Schülerschaft. | |
Zwar ist die Zahl der positiv getesteten Schüler:innen vergangene Woche | |
von 200 auf 268 leicht gestiegen. Einen erneuten Herbstlockdown schließt | |
Ernst aber so gut wie aus. Das neue Schuljahr werde „anders als das | |
vergangene“ verlaufen. Erstens sei es „nicht notwendig, dass Kinder und | |
Jugendliche durch Kontaktvermeidung Erwachsene schützen“ müssten. Zweitens | |
gebe es nun, anders als vor einem Jahr, die Möglichkeit des Testens und | |
Impfens. | |
## Ein Fünftel der 12- bis 17-Jährigen ist geimpft | |
Tatsächlich ist laut Robert Koch-Institut mittlerweile [8][jede fünfte | |
Person zwischen 12 und 17 Jahren vollständig geimpft]. Weit vorne dabei | |
übrigens: NRW. Seitdem die Ständige Impfkommission (Stiko) Mitte August | |
[9][auch für 12- bis 17-Jährige eine Impfung empfahl], haben die Länder | |
ihre Kampagne an Schulen ausgeweitet. Hamburg startete am Freitag mit | |
Impfungen an der größten Stadtteilschule. Schulsenator Rabe forderte die | |
Eltern auf, sich gegebenenfalls gleich mitimpfen zu lassen. | |
Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern hatten bereits vor der | |
Stiko-Empfehlung Impfungen an Schulen angeboten – mit zunächst verhaltenem | |
Interesse. In Schleswig-Holstein hatten sich 10.500 Jugendliche für eine | |
Impfung angemeldet, in Mecklenburg-Vorpommern 1.800. | |
Wolfgang Hoffmann von der Universitätsmedizin Greifswald hält das Angebot, | |
an Schulen zu impfen, dennoch für richtig. „Wir sollten das Impfen | |
empfehlen und auch an den Schulen impfen“, sagt Hoffmann der taz. Der | |
Epidemiologie hält aber für entscheidender, dass die Erwachsenen im Umfeld | |
der Schulen geimpft sind – also Eltern und Lehrkräfte. | |
Seit Beginn der Pandemie berät Hoffmann die Landesregierung von | |
Mecklenburg-Vorpommern. In mehr als 70 Schulen haben Hoffmann und sein Team | |
die Umsetzung der Schutz- und Quarantänemaßnahmen überprüft. Zusammen mit | |
der Universitätsmedizin Rostock untersuchten sie, wie häufig es an Schulen | |
zu Ausbrüchen kommt. Das Ergebnis: sehr selten. „Das höchste | |
Ansteckungsrisiko ging bislang von den Lehrkräften und erwachsenen | |
Mitarbeitern der Schulen aus“, so Hoffmann. Da nun ein Großteil der | |
Lehrkräfte geimpft sei, vermindere sich das Ansteckungsrisiko für | |
Schüler:innen deutlich. | |
Zudem zeigen die Daten, dass selbst die ansteckende Deltavariante sehr | |
selten zu Folgefällen an Schulen führt. In Mecklenburg-Vorpommern sind laut | |
Landesamt für Gesundheit und Soziales derzeit 95 Coronafälle an 47 der 615 | |
Schulen bekannt – allerdings liegt die 7-Tage-Inzidenz mit knapp über 30 | |
auch eher niedrig. | |
## Experte empfiehlt: viel testen | |
Laut Mediziner Hoffmann sind die Schulen aber auch bei einer | |
7-Tage-Inzidenz von 200 sicher, sofern alle die Masken- und Testpflicht | |
ernst nähmen. Für den Herbst empfiehlt er: noch mehr testen, bei hohen | |
Inzidenzen notfalls täglich. Die beste Methode dafür sei der etwas teurere | |
PCR-Test – der aber günstiger als Pool-Test eingesetzt werden kann. | |
Von den fünf Ländern, die kommende Woche aus den Schulferien zurückkommen, | |
wollen Sachsen-Anhalt und Hessen zunächst dreimal die Woche testen, | |
Niedersachsen sogar täglich. Einig sind sie sich aber darin, dass auch bei | |
steigenden Infektionen keine Schulen geschlossen werden sollen. So wie in | |
Wuppertal. | |
30 Aug 2021 | |
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Ralf Pauli | |
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