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# taz.de -- BND mit Fehlanalyse zu Afghanistan: Voll daneben
> Nach der Fehleinschätzung in Afghanistan richten sich nun viele Blicke
> auf den Bundesnachrichtendienst. Die Union verzögert eine schnelle
> Aufklärung.
Bild: Sein Dienst steht nach der Afghanistan-Fehleinschätzung in der Kritik: B…
BERLIN taz | Es war Selbstkritik – wenn auch eine, die das Versagen
sogleich relativierte. „Da haben wir eine falsche Einschätzung gehabt“,
gestand Kanzlerin [1][Angela Merkel] nach der [2][Blitzmachtübernahme der
Taliban] in Afghanistan. Diese Sicht sei aber „weit verbreitet“ gewesen.
Und auch Außenminister Heiko Maas (SPD) erklärte: „Es gibt nichts zu
beschönigen: Wir alle, die Bundesregierung, die Nachrichtendienste und die
internationale Gemeinschaft, haben die Lage falsch eingeschätzt.“
Es lagen also alle falsch. Tatsächlich rechnete in der Regierung niemand
mit einem derart schnellen Eroberungszug der Taliban in Afghanistan. Und
nun wird gestritten, wie es zu dieser Fehleinschätzung kommen konnte.
Viele Blicke richten sich jetzt auf eine Behörde: den
Bundesnachrichtendienst (BND). Denn es wäre dessen originäre Aufgabe
gewesen, die Lage in Afghanistan für das Kanzleramt präzise zu beurteilen.
Aber auch er lag falsch. Und dürfte damit mitverantwortlich sein für die
[3][verzögerte Evakuierung von Botschaftsangehörigen] und die verspätete
Rettung von Ortskräften.
Tatsächlich soll der BND eine Machtübernahme der Taliban erst in mehreren
Monaten erwartet haben. Noch am Freitag sollen Vertreter laut Bild auf
einer Sitzung des Krisenstabs der Bundesregierung einen Fall Kabuls vor dem
11. September als „eher unwahrscheinlich“ bezeichnet haben. Die Gruppierung
habe an einer militärischen Übernahme der Stadt „derzeit kein Interesse“.
Zwei Tage später übernahmen die Taliban Kabul.
## Der BND schweigt zur Causa Afghanistan
Der BND selbst schweigt dazu. Man äußere sich grundsätzlich nicht
öffentlich zu nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, heißt es. Intern aber
soll es zerknirscht zugehen, eine Aufarbeitung soll laufen. Offenbar hing
der Dienst zu sehr an Zahlen von Streitkräften – ohne die geringe
Kampfmoral der afghanischen Armee ausreichend einzubeziehen.
Und er folgte auch den Einschätzungen anderer Geheimdienste. So hatten
US-Dienste noch im Juni einen Fall Kabuls innerhalb von sechs bis zwölf
Monaten prognostiziert, vor einer Woche hieß es dann 30 bis 90 Tage.
Gleichzeitig hätten die Dienste aber seit Juli gewarnt, wie unvorbereitet
die afghanische Regierung auf Angriffe der Taliban sei, berichtet die New
York Times. Je mehr Städte die Islamisten einnehmen würden, desto weniger
Widerstand werde es geben.
## Sondersitzung abgesagt
SPD, Grüne und FDP drängen nun auf eine schnelle Aufarbeitung der
BND-Fehleinschätzung. Noch am Mittwoch wollten sie nach taz-Informationen
eine Sondersitzung des Geheimdienst-Kontrollgremiums im Bundestag
einberufen. Die Union, AfD und Linke stimmten aber dagegen.
SPD-Geschäftsführer Carsten Schneider sagte, die Entscheidung mache ihn
„sprachlos“. „Die Erkenntnislage der Dienste und insbesondere des BND, die
vor Ort seit vielen Jahren präsent sind, gehört für eine umfassende
politische Bewertung jetzt auf den Tisch.“ Auch Grünen-Obmann Konstantin
von Notz kritisierte die abgelehnte Sitzung als „völlig unverständlich“.
Die Erkenntnislage der Regierung und Dienste müsse „schnellstmöglich und
umfassend aufgearbeitet werden“.
Sein Parteikollege Omid Nouripour nimmt den BND indes etwas in Schutz. Ja,
dieser habe danebengelegen. Seit dem Abzug der Bundeswehr habe aber auch
der BND kaum noch Leute in Afghanistan gehabt, so Nouripour zur taz. „Die
Informationsgewinnung bleibt so natürlich überschaubar.“ Und man könne die
politische Verantwortung nicht auf den Dienst verlagern. „Das ist eine
Nebelkerze. Es haben alle in der Bundesregierung versagt.“
## Auch die Ministerien lagen daneben
Tatsächlich forderte auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) noch vor
knapp zwei Wochen in einem Schreiben an die EU-Kommission das
Aufrechterhalten von Abschiebungen nach Afghanistan. Alles andere wäre ein
„falsches Signal“. Und das Auswärtige Amt erklärte noch Mitte Juli [4][in
einem vertraulichen Lagebericht] zu Afghanistan, die dortige
Sicherheitslage sei lediglich „volatil“. Es sei „möglich, dass sich der
Trend der Ausweitung des Einflussgebiets der Taliban in den nächsten
Monaten beschleunigen wird“. Aus den Monaten wurden letztlich Tage – und
eine komplette Machtübernahme. Auch Außenminister Heiko Maas (SPD) steht
deshalb nun breit in der Kritik.
Beim BND kommt diese inzwischen indirekt aber selbst aus der Union. „Wir
brauchen ein besseres Lagebild“, erklärte Kanzlerkandidat Armin Laschet. Er
plädiert für einen „Nationalen Sicherheitsrat“, der Informationen aller
Nachrichtendienste, Ministerien und Botschaften zusammenträgt und für eine
„Außen- und Sicherheitspolitik aus einem Guss“ sorge. „Ein Nationaler
Sicherheitsrat war schon vor dem Fall von Kabul notwendig, jetzt erst
recht.“
Auch sein Parteikollege Roderich Kiesewetter, Vorsitzender des
Geheimdienst-Kontrollgremiums des Bundestags, unterstützt die Forderung. Er
plädiert ebenfalls für eine „Überprüfung unserer nachrichtendienstlichen
Organisation“ nach der Afghanistan-Fehleinschätzung und brachte eine
Zusammenlegung von BND und Verfassungsschutz ins Spiel.
## SPD stellt sich gegen die Union
Beides aber lehnt die SPD bisher ab. Es sei nicht nachvollziehbar, wie eine
Fusion der Dienste die Analysefähigkeit stärke, erklärte
SPD-Sicherheitspolitiker Fritz Felgentreu. „Hier werden alte
Lieblingsforderungen rausgeholt.“ Nötig seien dagegen mehr Ressourcen für
die Bundeswehr, den Diplomatischen Dienst oder die Geheimdienste.
Auch FDP-Innenpolitiker Stephan Thomae nannte die Forderungen ein
„durchsichtiges Ablenkungsmanöver“. Eine Zusammenlegung der Geheimdienste
hätte im Fall Afghanistans auch nichts gebracht. Statt voreiliger Schlüsse
müsse zuerst aufgearbeitet werden, wo die Probleme bei der Lageeinschätzung
lagen.
19 Aug 2021
## LINKS
[1] /Rettungsaktion-nach-Taliban-Einmarsch/!5793856
[2] /Machtuebernahme-in-Afghanistan/!5789791
[3] /Evakuierungen-aus-Afghanistan/!5794236
[4] /Regierung-verharmlost-Afghanistan-Lage/!5785151
## AUTOREN
Konrad Litschko
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