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# taz.de -- Laschets Afghanistan-Äußerung: Schreckgespenst im Wahlkampf
> „2015 darf sich nicht wiederholen“ – CDU-Kanzlerkandidat Laschet reagie…
> mit einem konservativen Mantra auf die Lage in Afghanistan. Das ist
> würdelos.
Bild: Der Bahnhof Keleti in Budapest am 3. September 2015. Was genau soll sich …
Der Satz „2015 darf sich nicht wiederholen“ ist ein reaktionäres Stoßgebe…
das man langsam nicht mehr hören kann. Es ist ungemein beliebt und
unglaublich dumm. Unzählige Male haben UnionspolitikerInnen diesen Satz
wiederholt, nachdem im Jahr 2015 Hunderttausende über die Balkanroute nach
Deutschland flohen. Angela Merkel sagte ihn auf dem CDU-Parteitag 2016,
Jens Spahn sagte ihn 2020 nach dem [1][Brand im Flüchtlingscamp Moria] und
jetzt, angesichts der dramatischen Lage in Afghanistan, wählte
Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet den Satz als Teil seiner Reaktion auf
die Eroberungen durch die Taliban.
Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Während sich in Afghanistan
Menschen in Todesangst vor den Taliban verstecken, scheint für Laschet
einer der wichtigsten Punkte zu sein, den Deutschen zu versichern, dass ihr
Wohlbefinden nicht beeinträchtigt sei. Wie Laschet das Thema in den
innerdeutschen Wahlkampf zieht, ist unseriös und würdelos.
Ihr braucht keine Angst zu haben, heißt dieser Satz, wir werden nicht
zulassen, dass noch einmal so viele Geflüchtete nach Deutschland kommen.
Laschet will beruhigen, aber er tut das, indem er die Angst vor anderen
Menschen schürt und instrumentalisiert. Im Jahr 2015 passierte ja vieles,
von dem man sich wünscht, es möge sich nicht wiederholen. So war zum
Beispiel die EU auf die Folgen des Bürgerkriegs in Syrien nicht gut
vorbereitet. Aber hier geht es um eine andere Chiffre. Wenn Konservative
über „das Jahr 2015“ sprechen, das sich nicht wiederholen dürfe, meinen s…
die Zuwanderung von 890.000 meist aus Syrien stammenden Geflüchteten, die
die Gesellschaft polarisierte.
Ein solches Narrativ ist mächtig, weil es, oft genug wiederholt,
Einstellungen von Menschen ändert. Indem Konservative die Zuwanderung als
Unglück darstellen, das in jedem Fall zu vermeiden sei, werten sie
hilfsbedürftige Menschen pauschal ab. Denn die erschöpften Männer und
Frauen, die damals über die [2][ungarische Autobahn in Richtung
Deutschland] liefen und teils ihre Kinder auf den Schultern trugen, werden
nicht mehr als Schutzsuchende mit Rechten gesehen, die ihnen zum Beispiel
die Genfer Flüchtlingskonvention garantiert, sondern als Bedrohung, die es
fernzuhalten gilt.
## Wessen Krise war 2015?
Das verdreht die Realität auf perfide Art. 2015 war keine Katastrophe für
Deutschland, auch wenn die AfD bis heute gerne so tut. Die sogenannte
Flüchtlingskrise war eine Krise für die Geflüchteten, aber ganz sicher
keine der deutschen Bevölkerung. Auch diejenigen, die Angela Merkels
humanitäre Geste, die Grenzen offen zu lassen, damals falsch fanden, müssen
anerkennen, dass die Republik seitdem keineswegs untergegangen ist. Dem
Land geht es gut, es gibt viele Beispiele für großartiges Engagement in der
Zivilgesellschaft und für gute Integration der syrischen Zugewanderten.
Trotz flüchtlingspolitischem Ausnahmezustand passierte 2015 also nichts,
vor dem man warnen müsste. Das Jahr – und die folgenden – lieferten eher
ermutigende Beweise für das Funktionieren des deutschen Staates und der
Gesellschaft. Merkel wurde damals auf der ganzen Welt für ihre Politik
gelobt. Das wäre übrigens ein Spin, der für einen modernen
CDU-Kanzlerkandidaten erfolgversprechend sein könnte. Und er würde auch
besser zu dem Armin Laschet passen, der sich früher in Nordrhein-Westfalen
als Integrationsminister für eine fortschrittliche Migrationspolitik
starkmachte.
Laschets Einlassung wirkt auch aus einem anderen Grund seltsam ängstlich.
Den Deutschen, schwingt da mit, ist nicht zuzumuten, dass Leid und Not
plötzlich vor ihrem eigenen Vorgarten stehen. Kurze Zwischenfrage: Warum
eigentlich nicht? Gibt es ein gottgegebenes Recht darauf, von den Zuständen
der Welt unbehelligt zu bleiben? Wenn die CDU weiter so wenig gegen die
Klimakrise tut, wie sie es in den vergangenen 16 Jahren tat (und wenn
China, Indien oder die USA sich ähnlich ignorant verhalten), wird es der
Normalzustand sein, [3][dass Menschen vor der Hitze nach Europa flüchten].
Der Satz „2015 darf sich nicht wiederholen“ drückt also einerseits eine
Zukunftsblindheit aus, die ihresgleichen sucht. Gleichzeitig ist er in den
allermeisten Fällen eine populistische Übertreibung, denn Geschichte
wiederholt sich niemals eins zu eins. Wie gesagt, Spahn nutzte eine ähnlich
lautende Mahnung im CDU-Präsidium nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria
auf der griechischen Insel Lesbos, bei dem 13.000 Menschen ihre Unterkunft
verloren. Damals ging es nur um einen Bruchteil der Anzahl Menschen, die
2015 aufgenommen wurden.
## Laschet fordert das Richtige
Doch das war Spahn egal, er wusste, was die Warnung bei vielen auslöst.
Kein Anlass ist zu klein für das große Schreckgespenst ungebremster
Zuwanderung. Ähnlich ist es nun bei Laschet und Afghanistan.
Im Moment geht es darum, Menschen, die durch die Taliban bedroht sind,
auszufliegen – zum Beispiel die HelferInnen der Bundeswehr vor Ort samt
ihren Familien. Das stellt ja auch der CDU-Kanzlerkandidat auf Twitter
fest. Deutschland müsse bereit sein, „sofort besonders gefährdete Frauen –
Bürgermeisterinnen, Lehrerinnen und Aktivistinnen – und ihre engsten
Familienangehörigen vor dem Tod zu retten und aufzunehmen“, fügt Laschet
hinzu. Damit liegt er richtig.
Warum hat er danach die Warnung vor 2015 nicht einfach weggelassen? Wenn er
sich selbst ernst nähme, wäre diese Übertreibung überflüssig. Es war auch
die Angst vor dem Stammtisch, die die Große Koalition davon abhielt, die
afghanischen HelferInnen rechtzeitig zu retten. Zynisch könnte man sagen,
dass Laschets Wahlkampfmove sehr gut dazu passt. Aber der Not der Menschen
in Afghanistan wird das nicht gerecht.
16 Aug 2021
## LINKS
[1] /Bremer-Linke-besucht-Fluechtlingslager/!5771792
[2] /Fluechtlinge-in-Ungarn/!5230015
[3] /UN-Experte-ueber-Klima-als-Fluchtgrund/!5661107
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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