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# taz.de -- Pressefreiheit in China: Journalisten als Sündenböcke
> In China kam es jüngst zu einer Hetzjagd auf ausländische
> Korrespondenten. Der Vorfall offenbart den aufkeimenden Nationalismus in
> der Volksrepublik.
Bild: Berichterstattung von ausländischen Journalisten unerwünscht: Flut im c…
Peking taz | Es gibt sie noch, die typischen „Westler-Kneipen“ in Peking,
in die sich zumeist nur Englischlehrer, Mitarbeiter deutscher Autofirmen
und Korrespondenten verirren. In einer von ihnen, nah der deutschen
Botschaft, zeigt sich der europäische Besitzer höchst unbeeindruckt von den
jüngsten Entwicklungen. „Wir sind hier nicht mehr willkommen, das ist ganz
klar.“
Dennoch werten viele das, was sich Ende Juli ereignete, als bisher neue
Eskalationsstufe. Im [1][zentralchinesischen Zhengzhou, Epizentrum der
jüngsten Jahrhundertflut,] kam es zu einer regelrechten Hetzjagd auf
ausländische Korrespondenten. Es fing damit an, dass die örtliche
Jugendliga der Kommunistischen Partei seine 3 Millionen Follower auf der
Onlineplattform Weibo dazu aufrief, einen BBC-Korrespondenten in der Stadt
ausfindig zu machen. Dieser habe sich angeblich in einem pietätlosen
Fernsehbeitrag über die Todesopfer der Naturkatastrophe lustig gemacht.
Für den nationalistischen Mob war dies genug, um sich auf die Jagd zu
begeben. Am Ende traf es den deutschen Fernsehjournalisten Mathias
Bölinger, der ebenfalls in der Stadt unterwegs war, um über die Fluten zu
berichten, und scheinbar für die Menschenmenge eine gewisse Ähnlichkeit mit
dem BBC-Reporter aufwies. Unverhofft haben über ein Dutzend Männer und
Frauen, darunter mutmaßlich auch Sicherheitskräfte in Zivil, den Kollegen
umzingelt und bedrängt. Bölinger, der im Auftrag der Deutschen Welle
unterwegs war, erzählt von einem chaotischen Handgemenge, wüsten
Beschimpfungen und dem Versuch, sein Smartphone wegzunehmen.
Vor Ort konnte die Menge schließlich beruhigt werden, als klar wurde, dass
es sich um eine Verwechslung handelte. Doch im Internet gipfelte der
Shitstorm gegen den deutschen Korrespondenten weiter. „Wie konnten diese
Journalisten überhaupt nach China kommen? Wo ist unsere nationale
Sicherheit?“, schreibt ein Nutzer. Ein anderer schreibt: „Sofort
abschieben!“ Und wiederum ein anderer fragt: „Wieso ist niemand zu ihm
hingegangen und hat ihn getötet?“ Was genau die Trolls so aufgebracht hat,
bleibt vage.
## Gezielte Hetzkampagnen
Dabei geht es grundsätzlich wenig um inhaltliche Kritik an [2][westlicher
Berichterstattung] per se, denn die meisten Medien sind in China ohnehin
gesperrt – die New York Times lässt sich nur mit einer illegalen
VPN-Software aufrufen, Twitter ebenso und selbst zum Downloaden von Skype
braucht man einen Account mit ausländischer Handynummer.
Doch im Zuge gezielter Hetzkampagnen, angeführt von Staatsmedien und
zunehmend auch von patriotischen Influencern, hat sich bei immer mehr
Chinesen die Vorstellung festgesetzt, dass westliche Reporter im Grunde wie
Auslandsspione agieren. Sie hegen das Ziel, mit Desinformationskampagnen
China am wirtschaftlichen Aufstieg zu hindern. Mehr noch, selbst das bloße
Reden mit ausländischer Presse wird oft zum Verrat am Heimatland erklärt.
Dementsprechend schwierig ist es mittlerweile, selbst zu scheinbar
harmlosen Themen chinesische Interviewpartner gewinnen zu können.
Ein renommierter Journalist, Xu Jianhui, gab seinen 3 Millionen Followern
auf der Onlineplattform Weibo gar einen Leitfaden mit, wie sie
ausländischen Reportern begegnen sollten: sofort nach dem
Journalistenausweis fragen, mit dem Smartphone filmen, den
Sicherheitsbehörden Bescheid geben und Taxifahrer daran hindern, die
Journalisten mitzunehmen.
Drangsalierungen gehören für internationale Korrespondenten in China längst
zum Alltag. Doch bislang beschränkte sich die Überwachung, die unangenehmen
Polizeiverhöre und teilweise auch mehrstündigen Internierungen vor allem
auf „sensible“ Gebiete wie etwa das brutale Vorgehen gegen Muslime in
Xinjiang.
Spätestens seit letztem Jahr hat sich die Situation allerdings für die
[3][kritische Presse noch einmal deutlich verschärft]. Gegen den
BBC-Korrespondenten John Sudworth starteten Chinas Staatsmedien eine
orchestrierte Hasskampagne, die letztlich dazu führte, dass dieser mit
seiner Frau und seinen zwei Kindern nach Taiwan flüchten musste.
Immer öfter instrumentalisiert die Regierung ausländische Reporter als
Sündenbock, um die Massen in loyalem Patriotismus zu vereinen. In dieser
verqueren Logik wird jede grundsätzliche Kritik, jedes Aufdecken von
Behördenvergehen als Diffamierung der Volksrepublik gebrandmarkt. Nicht die
Regierung trifft demnach die Schuld; sondern die Journalisten, die
berichten.
Bei dem eingangs erwähnten Beispiel aus Zhengzhou wird die Absurdität des
Ganzen besonders deutlich: Kollege Bölinger berichtete über das Leid der
Menschen, die in den Wassermassen alles verloren hatten, während die
offizielle Staatspresse sich ausschließlich auf „heroische“
Bergungsarbeiten, angeführt von Parteimitgliedern, fokussiert hatte.
Dabei ist dies kein Problem, welches sich nur gegen Medienvertreter im Land
richtet. Spätestens seit Ausbruch der Pandemie hat eine grundsätzliche
Skepsis gegenüber Ausländern in China Einzug gehalten. Wer etwa in die
Provinzen reist, bekommt immer öfter die Hotelreservierung storniert, weil
„wir keine Ausländer mehr akzeptieren“. Zuletzt traf dies auch den
Landesvorstand einer Schweizer Firma, der zwar zuvor Millionen in eine neue
Fabrik investiert hatte, doch bei deren Eröffnung kurzerhand aus seinem
Hotel rausgeschmissen wurde.
## Das Narrativ nutzen
Die Regierung könnte mit Aufklärung die Lage deeskalieren, doch stattdessen
tut sie das genaue Gegenteil: Sie nutzt die steigende Fremdenfeindlichkeit
für ihre eigene Agenda schamlos aus. Im offiziellen Narrativ bringen
Ausländer potenziell das Virus ins Land, ausländische Reporter hingegen
bringen schlechte Nachrichten über China.
Seit jeher haben viele Chinesen gegenüber der ausländischen Presse ein
überaus ambivalentes Verhältnis. Doch noch vor einer Dekade war vielen von
ihnen bewusst, dass [4][die internationalen Journalisten] über soziale
Probleme berichten können, die aufgrund des sturen Zensurapparats für
heimische Reporter Tabu bleiben. Als 2012 ein Chemiewerk in der Küstenstadt
Ningbo explodierte, wurden beispielsweise die anreisenden Korrespondenten
mit Jubelrufen willkommen geheißen. Denn während die Staatsmedien die
Katastrophe unter den Teppich kehrten, gaben die ausländischen Kollegen
den Anwohnern eine Stimme. Knapp zehn Jahre später sind es immer öfter
wütende Mobs, die ausländische Journalisten in Empfang nehmen.
7 Aug 2021
## LINKS
[1] /Resistenz-gegen-Extremwetter/!5790824
[2] /Pressefreiheit-in-China/!5751227
[3] /Pressefreiheit-in-China/!5764057
[4] /Feinde-der-Pressefreiheit/!t5037595
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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