Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Essay „Die letzte beste Hoffnung“: Die vier Amerikas
> George Packer beschreibt in „Die letzte beste Hoffnung“ die USA als
> mehrfach gespaltenen Staat. Sehnsucht nach Autorität gäbe es auf vielen
> Seiten.
Bild: Demonstranten bei Protesten in Portland nach dem Tod von George Floyd im …
Ich bin Amerikaner. George Packer schreibt diesen Satz zweimal, ganz am
Anfang seines Essays „Die letzte beste Hoffnung“ und noch einmal zum
Schluss. Eigentlich trägt der Satz den Verweis auf die Exzeptionalität der
USA, bei Packer klingt er wie ein vor lauter Wiederholung längst in eine
stumme Geste überführtes Seufzen – ein postenttäuschtes, noch nicht ganz
fatalistisches Ausatmen. Was soll er auch tun?
Packer ist in Deutschland zu Recht bekannt durch die verwobene
[1][Langreportage aus dem Band „Die Abwicklung“ (2014)], in dem er die
Auflösung der alten, noch vom New Deal geprägten Industrieordnung und ihre
Überführung in postindustrielle Dienstleistungswirtschaft und
Finanzkapitalismus begleitete. Er verfolgte den Aufstieg von
Celebrity-Trash und Bling-Bling-Rap ebenso wie den von radikalen Geiferern
in Parlamenten und privaten Medien. Abgeschmeckt mit Distinktionsgehabe von
Selbstgezogenen-Radieschen-Köch*innen und Krisenblasen der
Immobilienwirtschaft, destillierte Packer einen Blick auf den kulturellen
und wirtschaftlichen Mainstream der USA, der vielleicht nicht zwingend,
aber doch logisch zu Donald Trump führte.
In „Die letzte beste Hoffnung“ fragt er mit Introspektion und knappem
theoretischen Rüstzeug, [2][was Amerikaner denn im letzten Jahr der
Amtszeit des 45. Präsidenten im Spiegel so sehen beziehungsweise gesehen
haben]. Erste Antwort: „Ein instabiles Land und politische Institutionen,
deren Weiterleben infrage steht, ein Volk, das in einander bekriegende
Fraktionen zerfällt und zu Gewalt neigt – die Art von Land also, deren
Rettung wir stets für unsere Aufgabe hielten.“
George Packer ist Journalist und Schriftsteller, er hat aus Saigon und
Bosnien berichtet, lange für den New Yorker geschrieben, über den letzten
Irakkrieg und veröffentlichte zuletzt eine fabelhafte Biografie über
Richard Holbrook als seltsam unordentliche, ungelenke Gestalt der liberalen
US-Außenpolitik mit ihrem Eiertanz zwischen Menschenrechten, nationalem
Interesse und persönlicher Eitelkeit. Packers Arbeiten kommen ohne
akademischen Zierat aus, sie sind oft lebenssatt reflektierender Common
Sense, dessen Unabhängigkeit sich auch gegen Selbstgerechtigkeiten im
eigenen Lager der Linksliberalen wendet.
Selbstregierung als Ziel
„Die letzte beste Hoffnung“ gibt sich in einer weiten Rundumschau nicht mit
den Ideen der demokratischen Sozialisten zufrieden (weil er den eher
sozialdemokratischen Ansatz für utopistisch und vor allem im Auftreten für
ziemlich kontraproduktiv hält), versucht andererseits auch die emotionale
Landschaft der vielen Trump-Wähler*innen mit ihrem Rassismus und den
Bigotterien durch Klassenzuschreibungen, Sozialgeschichte und eine Art
Volksseelen-Psychologie zu verstehen. Sein durchaus humanistisch gedachtes,
aber auch aus der Verfassung abgeleitetes Ziel: die Selbstregierung. Packer
stellt sich die Frage, was dagegen arbeitet, wie man sie hinbekommen
könnte. Der letzte Teil des Buchs klingt in etwa so realistisch wie
demokratischer Sozialismus.
Den Großteil des Essays verbringt George Packer damit, vier grundlegende
Strömungen, die die USA heute ausmachen, auseinanderzuklamüsern. Knapp
zusammengefasst untergliedern sich für ihn die Lebens- und Kulturräume dort
in vier Narrative: das Narrativ des „freien Amerikas“ als Residuum des
Neoliberalismus, der „die Energie des ungehinderten individuellen Strebens“
feiere; des Weiteren in das Narrativ des „smarten Amerikas“ als Bill
Clintons meritokratische Orientierung auf Intelligenz, Veränderung und die
Kraft des Individuellen; ferner in ein „wahres Amerika“, das sich nicht nur
mit einem Ort identifiziere und Grenzen schätze, sondern auch das Gefühl
habe, dass es von einer faulen Unterschicht und einer parasitären Elite um
die Früchte seiner Arbeit gebracht würde.
Zuletzt gebe es das „gerechte Amerika“, das sich gegen
Leistungsgesellschaft und ohne geschichtliches Denken gegen objektive
Realitäten wende. Identitätspolitisch aufgeladen rücke es die
„Subjektivität in den Mittelpunkt der Analyse“ und verorte es zugleich in
einem System von Unterdrückung – und fordere damit eine Auseinandersetzung
mit dem, was andere vermeiden wollen.
Packer durchleuchtet diese Narrative, kritisiert politische Perspektiven,
findet viel Partikularismus, Idiosynkrasien und aufs Dogmatische weisende
Grundmuster. „Alle vier Narrative reagieren auf ganz konkrete Probleme.
Jedem ist ein Wert eigen, den die anderen brauchen, und jedes entbehrt der
Werte, die die anderen besitzen.“ Am Anfang stehen oft „Desillusionierung
durch den liberalen Kapitalismus“, der zerrüttete Aufstiegstraum, das leere
Versprechen von Gleichheit, aus denen nicht nur Identitätspolitik
entstanden sei und die im progressiven, gut ausgebildeten Lager bei vielen
jungen weißen Männern „eine neue autoritäre Sehnsucht“ ausgelöst hätte…
Die Desillusionierung habe überhaupt den Ruf nach autoritärer Verteidigung
eigener Ideen befördert.
Für den Essay wären an solchen Stellen soziologische Studien, ein genaueres
Raster hilfreich – Packer belässt es bei Bemerkungen. Und die weisen stets
stark auf das Ziel der Übung: Im Kern setzt Packer gegen die vier Amerikas
eine Verteidigungsschrift für einen liberalen Kapitalismus plus
Sozialstaat, unterfüttert von kommunalpolitisch aktiven Bürgern. Eine Art
Arbeit am Mythos der Gemeinschaft. Aber, was soll er tun?
1 Aug 2021
## LINKS
[1] /Bestseller-ueber-moderne-US-Biografien/!5036873
[2] /Kuenstlerin-und-Aktivistin-ueber-die-USA/!5741483
## AUTOREN
Lennart Laberenz
## TAGS
USA
Buch
Politisches Buch
Diversität
Andrew Cuomo
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Politisches Buch
Sachbuch
Politisches Buch
## ARTIKEL ZUM THEMA
Demokratietheoretiker über Identität: Es gibt keinen Präzedenzfall
Viele Formen der Identitätspolitik sind kontraproduktiv, sagt Yascha Mounk.
Vielfältige Gesellschaften bräuchten ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl.
New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo: Biden fordert Rücktritt
Wegen der Vorwürfe sexueller Belästigung soll der demokratische Gouverneur
Cuomo sein Amt abgeben. Das verlangen Parteikollegen und der US-Präsident.
Donald Trumps Steuerunterlagen: Punkt für den Rechtsstaat
Das US-Justizministerium hat entschieden: Die Finanzbehörde muss die
Steuererklärungen des Ex-Präsidenten an das Parlament aushändigen.
Frauen im Widerstand in Belarus: Ein neues weibliches Subjekt
Die Philosophin Olga Shparaga analysiert in „Die Revolution hat ein
weibliches Gesicht“ den „Fall Belarus“. Ihr Buch hält mehr, als der Titel
verspricht.
Umbenennung juristischer Fachliteratur: Keine Ehrung von NS-Juristen
Der Verlag C.H. Beck hat sich zur Umbenennung von Justiz-Standardwerken
entschlossen, deren Namensgeber in den Nationalsozialismus verstrickt
waren.
Politisches Buch über Antisemitismus: Anekdoten statt Analyse
Der Historiker Per Leo polemisiert in seinem Buch „Tränen ohne Trauer“
gegen „post-arischen-Streberzionismus“ beim Umgang mit der
NS-Vergangenheit.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.