# taz.de -- Hochwasser in Nordrhein-Westfalen: „Katastrophe ist gar kein Begr… | |
> Die Folgen des Hochwassers werden vor Ort sehr unterschiedlich gehändelt. | |
> Instabil ist die Lage an Talsperren in der Eifel. | |
Bild: Das Technische Hilfswerk (THW) und die Feuerwehr pumpen Wasser in der Ste… | |
AACHEN taz | An diesem Wochenende ist Stück für Stück die Big Aufräume | |
angelaufen in den Katastrophengebieten Westdeutschlands, wo mittlerweile | |
fast 150 Tote zu beklagen sind (und dutzende weitere Menschen vermisst | |
werden). Aufräumen jedenfalls da, wo die Lage stabil genug und | |
übersichtlich ist und wo keine neuen Fluten zu erwarten sind. | |
Das betrifft eher die Gemeinden rund um Aachen und Düren, auch das schwer | |
getroffene, teilverwüstete ostbelgische Eupen. Dort sind komplette | |
Straßenzüge unbewohnbar und müssen abgerissen werden. Am Samstag durften | |
Menschen vereinzelt und auf eigene Gefahr in ihre Exwohnungen, um | |
Habseligkeiten zu retten. Zwischendurch gab es einen Sprengstofffund in | |
einer gefluteten Fabrik nebenan, also wieder schnelle Evakuierung, diesmal | |
nicht wegen Wasser. | |
In Pepinster nahe Lüttich ist an Aufräumen noch kaum zu denken. Hier müssen | |
Menschen nach wie vor mit Booten aus ihren Häusern (bis in den 2. Stock | |
geflutet) geholt werden und mit Hubschraubern von Dachfirsten gerettet, wo | |
sie seit Donnerstag ausharren. Hochgefährlich bleibt die unübersichtliche | |
und komplexe Lage in Erftstadt oder an der Ahr. Nach wie vor drohen | |
unterspülte Häuser und Straßen einzubrechen. Noch sind Dörfer nur aus der | |
Luft erreichbar, Stromnetze unterbrochen, Gasnetze zerstört (vermutlich | |
noch viele Monate) und Handynetze offline. Belgien meldet bislang | |
mindestens 24 Todesopfer. | |
In Städten wie Stolberg und Eschweiler östlich von Aachen, die in der Nacht | |
auf Donnerstag weitgehend geflutet waren, sind die Aufräumarbeiten teils | |
mit schwerem Gerät im Gange, aber es gibt vielfach noch keinen Strom. In | |
Teilen von Eschweiler wird dringend vor unsauberem Trinkwasser gewarnt. | |
Aufgeräumt wurde dort mittlerweile auch mit der Mär aus sozialen | |
Netzwerken, es seien marodierende Banden plündernd unterwegs gewesen. Nach | |
Auskunft der Polizei waren fünf Personen vorläufig festgenommen worden: | |
einer hatte im Vorbeigehen in einem Juweliergeschäft mit zerborstenen | |
Scheiben etwas mitnehmen wollen, die anderen hatten Lebensmittel eines | |
Supermarktes abgegriffen. Alle sind wieder auf freiem Fuß, die | |
Staatsanwaltschaft ermittelt weiter. Der Stolberger Bürgermeister spricht | |
jetzt schon von Milliardenschäden allein in seiner 50.000-Seelen-Gemeinde. | |
Auch das Rathaus ist komplett hin. | |
## Lage an Talsperren weiter instabil | |
Dramatisch bleiben die übervollen Talsperren in der Eifel. An der | |
Steinbachtalsperre bei Euskirchen droht trotz sinkenden Wasserstands | |
weiterhin ein Bersten des Staudamms. Die Lage sei unverändert „äußerst | |
instabil“, große Teile des Bauwerks seien weggebrochen, so die | |
Bezirksregierung Köln am Samstag. Es drohe akute Überflutungsgefahr. | |
[1][Landesvater Armin Laschet war derweil am Samstag in Erftstadt] und | |
versprach Hilfe, sogar „sehr unbürokratisch“. | |
Gezielt geöffnet wurde Freitagnacht die Rurtalsperre. Also fließen, | |
kontrolliert zwar, zusätzliche Wassermassen in die sonst so idyllische Rur, | |
die ohnehin schon mächtiger angeschwollen ist als ihre Namensvetterin mit h | |
im Kohlenpott. AnwohnerInnen in Düren und Jülich wurden vorgewarnt, es | |
könne schnelle Evakuierung drohen. Bislang verteilte sich das Wasser zum | |
Glück bei leicht sinkenden Pegeln besser als befürchtet. Die Zweitflut | |
blieb bislang aus. | |
Wohl aber gibt es aktuell 60 Kilometer nördlich neue Probleme, im Kreis | |
Heinsberg. [2][Bei Wassenberg war ein Schutzdamm der Rur gebrochen], 700 | |
Menschen im Wallfahrtsdorf Ophoven mussten in der vergangenen Nacht eilig | |
evakuiert werden. Und gleich gab es vom Wassenberger Bürgermeister Marcel | |
Maurer (CDU) eine Schuldzuweisung Richtung Niederlande, wo bei Roermond die | |
Schleusen geschlossen worden waren, damit die Rur nicht auch noch in die | |
ohnehin weiter steigende Maas fließt. Die Folge: Rückstau. Kontakt nach | |
Holland: keiner bislang, so Maurer. Aber der Bundestagsabgeordnete des | |
Kreises, Wilfried Oellers (CDU) sagt vor Ort: „Katastrophe ist gar kein | |
Begriff, das hier ausreichend zu beschreiben.“ | |
## Tagebau-Pumpen liefen trotz Flut weiter | |
Am Donnerstag hatte das Flüsschen Inde bei Lamersdorf, gleich neben dem | |
Tagebau Inden, ihr Bett verlassen und sich in einem mächtigen Strom in das | |
Braunkohleloch ergossen; ein 58-jähriger Raupenführer wird seitdem | |
vermisst, mittlerweile ohne Hoffnung. RWE Power legte die Bagger still, | |
nach eigenen Angaben bis mindestens Ende nächster Woche. Das hatte umgehend | |
Folgen für das benachbarte, sehr alte und besonders dreckige Kraftwerk | |
Weisweiler: Die Kohlevorräte gingen zur Neige. Die großen 600 | |
Megawatt-Blöcke sind abgeschaltet, befeuert werden derzeit nur die kleinen | |
300er Blöcke. Inden ist einer der drei Tagebaue im rheinischen Revier; die | |
beiden anderen, Hambach und Garzweiler, befeuern das Klima weiter. RWE | |
nennt derweil einen Schaden im „mittleren zweistelligen Millionenbereich“. | |
Eine andere Frage schließt sich an: Warum wurde zur Entlastung der | |
Flutmassen eigentlich kein Wasser der Inde, vielleicht auch Erft oder Rur, | |
absichtlich in die Braunkohle-Tagebaue geleitet? Mit Räumpanzern und | |
anderen schweren Gerät wären doch Schneisen denkbar, den Inde-Zufluss hätte | |
man ausbauen können. Mehr Auffangreservoir ist kaum denkbar für die zig | |
Milliarden Kubikmeter Niederschlag der vergangenen Woche in der nördlichen | |
Eifelregion. Stattdessen liefen tausende Tagebau-Pumpen weiter und machten | |
etwa die Erft flussabwärts noch voller als sie ohnehin schon ist. Was | |
könnte eine freiwillige Rettungsflutung für ein Imagegewinn für die | |
Kohlegräber sein! | |
RWE ließ alle diesbezüglichen Fragen der taz bis Samstagabend | |
unbeantwortet. Stattdessen erklärte der Vorstandsvorsitzende Markus | |
Krebber: „Wir fühlen mit den Betroffenen.“ Deshalb habe man eine Million | |
Euro für die Flutopfer gespendet. Das entspricht dem Umsatz mehrerer | |
Stunden. | |
17 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
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