# taz.de -- Flutkatastrophe in Westdeutschland: Keine Entspannung in Sicht | |
> Die Unwetterkatastrophe sorgt in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz | |
> weiter für Verwüstungen. Inzwischen gibt es mehr als 100 Tote. | |
Bild: Erftstadt, Ortsteil Bessem, nach der Flut | |
BERLIN taz | Am späten Freitagabend war es dann doch soweit. Die Hoffnung, | |
dass der Damm der Rur im Kreis Heinsberg halten würde, erfüllte sich nicht. | |
Mit Tausenden von Sandsäcken war er noch in den vergangenen beiden Tagen | |
erhöht worden. Doch das Hochwasser war zu mächtig. Noch in der Nacht | |
mussten die rund 700 Einwohner:innen in Ophoven, einem Ortsteil der im | |
Kreis gelegenen Stadt Wassenberg in Windeseile evakuiert werden. Auch die | |
Ortschaft Ohe wurde evakuiert. | |
[1][Die Unwetterkatastrophe] hat Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz | |
weiter fest im Griff. Wegen Starkregens sind Flüsse massiv über die Ufer | |
gestiegen. Kleine Bäche wurden zu reißenden Strömen. Ganze Ortschaften | |
wurden überflutet. Etliche Häuser sind eingestürzt, zahlreiche Straßen und | |
Brücken zerstört. Es gibt mehr als 100 Tote. Immer noch werden viele | |
Menschen vermisst, ihre genaue Zahl ist unklar. | |
Bis Freitagabend waren noch mehr als 100.000 Menschen ohne Strom. | |
Vielerorts war auch das Mobilfunknetz gestört. In mehreren Stadtteilen von | |
Eschweiler wurden die Menschen dringend davor gewarnt, Leitungswasser zu | |
trinken. „Das Wasser kann auch NICHT abgekocht werden! Dies gilt bis auf | |
Weiteres auch für die nächsten Tage!“, teilte die Stadt am Freitagabend | |
mit. Im ebenfalls in der Städteregion Aachen gelegenen Stolberg richtete | |
die Stadt öffentliche Abgabestellen für Trinkwasser ein. | |
Besonders heftig traf es das südwestlich von Köln gelegene Erftstadt. | |
Erdrutsche von ungeheurem Ausmaß, ein riesiger Krater, weggespülte | |
Wohnhäuser: Die Bilder aus dem Ortsteil Blessem zeugen von schier | |
apokalyptischen Verwüstungen. Die Flut kam schnell und unaufhaltsam. Auch | |
Teile der historischen Burg stürzten ein. | |
„Wegen der Dynamik“ sei die Lage in Erftstadt zurzeit „ganz besonders | |
kritisch“, sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul am | |
Freitagmittag in Düsseldorf. „Wir gehen von mehreren Toten aus, wissen es | |
aber nicht.“ Am Samstagmittag wollen Bundespräsident Frank-Walter | |
Steinmeier und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet die | |
Krisenstadt besuchen. | |
## 12 Tote in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderung | |
„Wir haben noch nicht den Stand, dass wir sagen können, die Lage entspannt | |
sich“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer am | |
Freitag in Mainz. „Das Leid nimmt so dramatisch zu, weil wir jede Stunde | |
neue Hiobsbotschaften bekommen.“ Noch immer seien nicht alle betroffenen | |
Ortschaften erreichbar. „Die Schäden sind so dramatisch, dass wir noch | |
lange mit dem Wiederaufbau befasst sein werden“, sagte sie. „Man kann nur | |
traurig und entsetzt über alles sein.“ | |
Dreyer bestätigte, dass bei dem Unwetter in der Nacht zum Donnerstag zwölf | |
Bewohner:innen einer Wohneinrichtung für Menschen mit geistiger | |
Behinderung in Sinzig ums Leben gekommen sind. „Das ist ganz, ganz | |
schrecklich, wenn man nur eine Sekunde lang daran denkt, dass in einem | |
Wohnheim so viele Menschen umgekommen sind“, sagte sie. | |
Die Einrichtung der Lebenshilfe hat 36 Wohnplätze und befindet sich in | |
einem tiefer gelegenen Viertel Sinzigs, einer kleinen Stadt, die an der | |
Mündung der Ahr in den Rhein liegt. Nach Angaben des Geschäftsführers der | |
Lebenshilfe Rheinland-Pfalz, Matthias Mandos, waren die Fluten schneller | |
gekommen, als die Menschen hätten in Sicherheit gebracht werden können. | |
„Das Wasser drang innerhalb einer Minute bis an die Decke des | |
Erdgeschosses“, sagte Mandos. | |
Nach Angaben des Mainzer Sozialministeriums sind von der | |
Unwetterkatastrophe in Rheinland-Pfalz mehr als ein Dutzend stationäre | |
Einrichtungen der Pflege und Eingliederungshilfe sowie betreute | |
Wohnangebote betroffen. Mehrere Einrichtungen seien von den Wassermassen | |
zerstört oder unbewohnbar gemacht worden und hätten evakuiert werden | |
müssen. | |
## „Flutkatastrophe von historischem Ausmaß“ | |
Kurz nach Dreyer [2][trat NRW-Regierungschef Armin Laschet in Düsseldorf | |
vor die Presse]. „Unser Land erlebt eine Flutkatastrophe von historischem | |
Ausmaß“, sagte er. Insgesamt sind in NRW 25 Städte und Landkreise von den | |
Überschwemmungen betroffen – weite Teile des Rheinlands, Teile des | |
Ruhrgebiets und kleinere Teile Westfalens. In Rheinland-Pfalz ist der Kreis | |
Ahrweiler im Zentrum der Katastrophe. Mindestens 362 Menschen wurden hier | |
verletzt, wie die Polizei in Koblenz am Freitag mitteilte. | |
Wie in Rheinland-Pfalz mussten auch in Nordrhein-Westfalen mehrere | |
Ortschaften per Hubschrauber evakuiert werden. „Wir werden Häuser | |
reparieren, Brücken wieder aufbauen und Verkehrswege wieder instandsetzen, | |
aber die Menschenleben, die in den Fluten verloren gegangen sind, sind | |
unersetzbar“, sagte Laschet. | |
Die Wassermassen haben auch die Verkehrsverbindungen erheblich getroffen. | |
So mussten Streckenabschnitte mehrerer Autobahnen gesperrt werden. Stark | |
beeinträchtigt ist weiterhin der Bahnverkehr. So waren am Freitag die | |
Strecke von Köln über Wuppertal und Hagen nach Dortmund als auch von Köln | |
über Bonn nach Koblenz unbefahrbar. Die Zugverbindung von Köln nach Brüssel | |
ist ebenso unterbrochen. „Aufgrund der Vielzahl an Störungen bitten wir | |
Sie, den Bereich NRW weiträumig zu umfahren“, teilte die Deutsche Bahn mit. | |
Auch Baden-Württemberg, die Schweiz, Belgien und die Niederlande | |
[3][kämpfen mit dem Hochwasser]. In einigen Regionen Baden-Württembergs | |
mussten Straßen gesperrt werden, im Allgäu stand ein Wohngebiet unter | |
Wasser. | |
In Belgien kamen durch die Unwetter bislang mindestens 20 Menschen ums | |
Leben. Nach Angaben des belgischen Innenministeriums gelten weitere 20 | |
Personen nach den Überschwemmungen im Osten des Landes als vermisst. | |
Aufgrund des Hochwassers der Maas wurden in den Niederlanden rund 10.000 | |
Menschen zum Verlassen ihrer Wohnungen aufgerufen. In Venlo wurde ein | |
Krankenhaus mit 200 Patient:innen evakuiert. | |
17 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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