# taz.de -- Johanna Adorján über Roman „Ciao“: „Die größte Umwälzung… | |
> In Johanna Adorjáns neuem Roman „Ciao“ geht es auch um den Niedergang des | |
> Journalismus. Der Berufsstand habe viel an Attraktivität verloren, sagt | |
> die Autorin. | |
Bild: Alltag mit dem Smartphone: Ohne, glauben wir, geht es nicht | |
taz: Frau Adorján, in Ihrem neuen Roman „Ciao“ geht es auch um den | |
Niedergang des Journalismus. Unser Berufsstand hat ganz schön an | |
Attraktivität verloren. | |
Johanna Adorján: Das stimmt. Als ich angefangen habe als Journalistin zu | |
arbeiten, da gab es das Internet sozusagen noch nicht. Heute wird man | |
öffentlich kommentiert in allem, was man macht. Ich weiß nicht, ob ich noch | |
mal Journalistin werden wollen würde. Wäre jetzt gar nicht mehr auf meiner | |
Liste, lieber gleich Anwalt. | |
Das geht wohl vielen so. | |
Wir haben einfach in einer anderen Zeit angefangen. Früher hat der | |
Freundeskreis Zeitung gelesen und man wurde darauf angesprochen, wenn man | |
was geschrieben hatte. Heute habe ich nicht mehr das Gefühl, dass noch so | |
viele Menschen regelmäßig Zeitung lesen, jedenfalls nicht in meinem Umfeld. | |
Ist das der Grund für Ihren Instagram Account? Das Gesehen und Gelesen | |
werden wollen. | |
Ich finde nicht, dass man Instagram romantisieren sollte. Das gehört zu | |
Facebook. Es ist ein Tool, Influencer nutzen es. Ich habe mich dort Anfang | |
2019 angemeldet, um Werbung für mein damals neues Buch zu machen. Es wird | |
ja heutzutage neoliberal von einem erwartet, dass man seine eigene PR | |
macht. Das ist nichts, was ich toll finde. Der Antrieb war meine damalige | |
Literaturagentin, die mich fragte: „Und, wie sieht es mit Social Media | |
aus?“ Ich hab dann einfach versucht, es möglichst so zu machen, dass ich | |
mich dafür nicht schämen muss. | |
Sie machen auf Instagram nicht nur Werbung, sondern haben sich unter | |
anderem eine Kultserie ausgedacht, in der sie Fotos teilen, in die unsere | |
heutige Sehgewohnheit ein Handy hineindichtet. | |
Ich hab mal eine Zeit nicht fürs Feuilleton geschrieben und konnte dann | |
nirgends so kleine, kurze Sachen unterbringen. Jetzt schreibe ich wieder | |
fürs Feuilleton und daher auch viel weniger für Instagram. Ich habe auch | |
eine neue Kolumne in der SZ, in der ich über alte Bücher schreiben kann. | |
„Nichts Neues“ heißt sie, erscheint dienstags. Ihre Idee? | |
Ja, meine Idee. | |
Ihr neuer Roman „Ciao“ ist eine Gesellschaftssatire. Gab es einen Auslöser? | |
Mir fiel irgendwann auf, dass viele Männer heute verunsichert sind. Und ich | |
meine jetzt keine bösen Sexisten oder Vergewaltiger, sondern ganz nette, | |
mittelalte Männer, die Feminismus gut finden, aber die plötzlich nicht mehr | |
wissen, ob sie einem eigentlich noch ein Kompliment machen dürfen oder ob | |
das neuerdings verpönt ist. Sie haben gemerkt, dass sich Dinge verändert | |
haben und sie Sachen falsch machen können, aber sie wissen gar nicht ganz | |
genau, was. Darüber nachzudenken, fand ich interessant. | |
Der heutige Zeitgeist bildet den Bodensatz des Romans, identitätspolitische | |
Diskurse, Feminismus, #MeToo. Der Roman wirft einen ironisch gelassenen | |
Blick auf die Gegenwart, wie genervt sind Sie wirklich von unserer | |
Debattenkultur? | |
Ich glaube, wir leben gerade in einer unglaublich wilden, spannenden, | |
interessanten Zeit. Wahrscheinlich erleben wir die größte gesellschaftliche | |
Umwälzung seit 1968. Es ist noch nicht klar, wie es ausgehen wird und für | |
wen es gut ausgehen wird. Es scheint aber so, als ob die Zeit, in der wir | |
groß geworden sind, verschwindet. Leider werden die Debatten oft sehr | |
schwarz-weiß geführt. Es gibt überhaupt kein Dazwischen mehr, keine Geduld | |
und Nachsicht. Der Tonfall ist immer sofort extrem empörungsbereit. Ich | |
habe versucht, mehr Heiterkeit und Leichtigkeit reinzubringen. | |
Im Mittelpunkt des Romans steht der Feuilletonist Hans Benedek, ein | |
mittelalter weißer Mann, der aus der Zeit gefallen scheint. | |
Er ist jemand, der eigentlich ganz sympathisch ist. Ein liebevoller Vater, | |
ein bisher sehr erfolgreicher Mann, der genauso ist, wie er immer war, aber | |
die Welt ist nicht mehr dieselbe. Diese Differenz versucht mein Buch | |
auszuloten. | |
Einmal seufzt Hans Benedek: „Meine Güte, was ist los mit den Menschen.“ Ist | |
das der Kernsatz des Romans? | |
Vielleicht kann man das sagen. Ja, ich finde das schön. | |
Noch einmal zum Digitalen. Über Hans heißt es im Roman, er spüre das | |
Verlangen, aufs Handy zu gucken, geradezu körperlich. Geht Ihnen das auch | |
so? | |
Ich habe das Handy schon auch meistens in der Hand auf der Straße. Ich | |
gucke nicht drauf, aber ich habe das Handy einfach in der Hand. Ich träume | |
davon, zum Nokia zurückzukehren, ohne Internet, nur sms. Das Problem ist, | |
dass ich Carsharing dann nicht machen könnte und auch kein Navigationsgerät | |
hätte. Ich finde es auch praktisch, immer einen Fotoapparat dabei zu haben. | |
Ich hasse mein iPhone und habe es immer dabei. | |
Mit was verbringen Sie die meiste Handyzeit? | |
Ich verbringe wahrscheinlich ein bisschen zu viel Zeit auf Instagram. Aber | |
meine Großmutter hat immer Patiencen gelegt. | |
Ähnlich zeitvertreibend. | |
Ja, das Gehirn ist weg, ich schau dafür kein Fernsehen. | |
Sie haben keinen Fernseher? | |
Doch, aber ich schaue nie. Kann eigentlich weg. | |
„Ciao“ ist Ihr zweiter Roman und Ihr fünftes Buch. Dazu kommen ein | |
Theaterstück und Teile eines Drehbuchs. Extrem unterschiedliche Texte. Wird | |
Ihnen schnell langweilig? | |
Ja! (lacht) Mir ist sehr schnell langweilig! | |
Deswegen auch der häufige Verlagswechsel? „Ciao“ erscheint bei Kiepenheuer | |
& Witsch. | |
Da wollte ich immer schon hin. Die meisten Leute, die ich kenne, die Bücher | |
geschrieben haben, sind dort. Die Verlagswechsel lagen nicht an mir. Ich | |
habe es bisher leider nicht kennengelernt, dass ein Verlag einem die Treue | |
hält. | |
Warum heißt der Roman eigentlich „Ciao“? | |
Weil die besten Zeiten von Hans Benedek vorbei sind. Es ist das ihm | |
freundlich nachgerufene „Ciao“. | |
Eines Ihrer Spezialgebiete als Journalistin sind Interviews. Vor Jahren | |
haben Sie angekündigt, dass sie keine mehr mit Schauspieler:innen | |
führen wollten. | |
Ich wusste einfach nicht mehr, was man Schauspieler fragen soll. Nicht | |
jeder Schauspieler kann gut über seine Herangehensweise sprechen, das ist | |
oft intuitiv. Irgendwann habe ich das dann aber wieder angefangen. | |
Was mögen Sie an Interviews? | |
Dass ich nicht vorne stehe. Ich stelle zwar die Fragen, aber es geht nicht | |
um mich. | |
Sind Sie noch nervös dabei? | |
Ich bin davor meistens wahnsinnig aufgeregt, weil ich nicht weiß, ob die | |
Interviewten Lust haben auf meine Fragen. Manchmal denke ich auch, wie | |
toll, dass ich den oder die treffen darf. Das ist ein unglaublicher Luxus, | |
zwar nur eine Stunde, aber immerhin. | |
Sie haben sich jüngst über die Qualität von Literatursendungen im Fernsehen | |
beklagt, vor allem über „Druckfrisch“ von Denis Scheck. Dessen ungeachtet, | |
ob Sie eingeladen würden oder ob Sie hingehen würden. Was wäre die ideale | |
Kulisse für ein Interview mit Ihnen und Ihrem Buch „Ciao“? | |
Wie wär’s mit einem Strandcafé in Griechenland? | |
Das „Ciao“ heißt? | |
Nee, einfach nur, weil ich Lust habe, nach Griechenland zu fahren. Ich | |
würde gern im Sitzen reden und nicht durchs Hochmoor stapfen. | |
Das ließe sich sicher machen. „All things must change or remain the same.“ | |
Was soll uns das Motto Ihres Romans sagen? | |
Es ist ja in Wahrheit ein Quatschmotto. Es sagt absolut gar nichts aus. | |
Aber erstens stimmt es trotzdem, und zweitens klingt es gut. Und im Roman | |
geht es ja um Veränderung und die Schwierigkeiten, die man damit haben | |
kann. Ich finde vorangestellte Mottos oft faul, weil man sich damit eine | |
Bedeutung aufpappt, die jemand anderes sich erarbeitet hat. | |
Ich würde gern mit einer Frage enden, die Interviewkönig Moritz von Uslar | |
für eine der besten hält: Worin besteht der Sinn des Lebens? | |
Oh, Gott. Die ist echt gut, die Frage. (denkt nach) Sich von den | |
Erwartungen anderer freimachen und sich selbst gemäß leben, und dabei | |
anderen möglichst nicht auf die Nerven gehen. Ungefähr so. | |
1 Aug 2021 | |
## AUTOREN | |
Shirin Sojitrawalla | |
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