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# taz.de -- Buchdebüt von Johanna Adorján: Gemeinsamer Selbstmord aus Liebe
> In dem Essay "Eine exklusive Liebe" erzählt die Journalistin Johanna
> Adorján die verwickelte Lebensgeschichte ihrer Großeltern. Sie nahmen
> sich gemeinsam das Leben.
Bild: ...auch von der Autorin zu ihrer Großmutter.
Im vergangenen Jahr gab es ein Mädchenwunder. Mit gleich zwei Publikationen
machte der neue Feminismus auf sich aufmerksam. "Alphamädchen" und "Neue
deutsche Mädchen" - Standortbestimmungen und Liebesgeschichten von vier
Betroffenen um die dreißig. Die FAS-Redakteurin Johanna Adorján fand diese
Titel suspekt. Mädchen? "Man ahnt, wie schwer es den Autorinnen fallen
muss, eine Frau zu sein. Alleine das Wort, so scheint es, kommt ihnen
unheimlich vor."
Jetzt hat Johanna Adorján ein eigenes Buch geschrieben. Eines, das
vordergründig denkbar weit weg ist von der aktuellen Debatte um Frauenleben
und Gleichberechtigung. Adorján beschäftigt sich mit der Vergangenheit: In
"Eine exklusive Liebe" erzählt sie ihre Annäherung an das Leben ihrer
Großeltern. Vera und István Adorján waren ungarische Juden,
Holocaustüberlebende, die sich 1991 in Kopenhagen gemeinsam das Leben
nahmen.
In Gesprächen mit Familie und Freunden lässt sich die Enkelin das Leben
ihrer Großeltern erzählen. Wie funktionierte diese Liebe? Waren die
Großeltern einander treu? Wie überlebte der Großvater das KZ, die
Großmutter die lange Trennung und die Ungewissheit? Und warum haben sie nie
mit anderen über diese Dinge geredet? Die Erinnerungen verbindet Adorján
mit dem eigenen Erleben. Sie empfindet die Beziehung dieser beiden
zurückhaltenden Menschen nach - und denkt über Fragen nach, die sie sich
erst jetzt stellen kann, wo sie selber erwachsen ist und wo sie selber
darüber nachdenkt, was Liebe im Leben bedeutet.
Dabei stellt sich schnell heraus, dass die "exklusive Liebe" gar nicht
unbedingt nur die zwischen Vera und István ist. Eine andere Liebe wird zum
eigentlichen Thema der Erzählung. Es ist die Liebe, die Johanna Adorján für
die Frau empfindet, die ihre Großmutter war. Vom ersten Moment an wird
deutlich, wie sehr Adorján sie bewundert hat. Sie imaginiert Vera am Morgen
ihres letzten Lebenstages wie eine Diva: "Meine Großmutter trägt einen
Kimono aus Seide … sie trägt ihn locker in der Taille zusammengebunden …
schwere Lider verleihen ihrem Gesichtsausdruck eine leicht blasierte
Müdigkeit." Und die Großmutter raucht: Prince Denmark, extra stark. Eine
von der Werbung als "Männersache" deklarierte Zigarettenmarke, erinnert uns
der Text ausdrücklich. Geschlechtergrenzen, die die Großmutter durchbrochen
hat, ohne ihre Weiblichkeit einzubüßen. "Sie ist auch in ihrem letzten Tag
noch eine schöne Frau."
Später, so erfahren wir, hat die Autorin selbst angefangen zu rauchen. "Es
war vor allem ihrem Andenken geschuldet. Ich rauchte Kette." An Aufhören
war nicht zu denken, das wäre einem Verrat gleichgekommen. Nicht nur an der
Großmutter selbst, sondern vor allem, so scheint es, an deren Frauenideal.
Aber irgendwann lässt sie es doch. "Die Angst vor Falten war stärker."
Es sind diese Momente, in denen mit einem Ideal ganz beiläufig gebrochen
wird, die "Eine exklusive Liebe" so außergewöhnlich machen. Hier sucht eine
Enkelin am Vorbild der Großmutter nach Antworten auf die Frage nach der
eigenen Weiblichkeit. Was bedeutet es, eine Frau zu sein? Wie will ich
leben? Häufig imitiert Adorján die Großmutter, auch äußerlich, trägt
beispielsweise nach deren Tod eine ihrer Jacken auf - bis zur
Materialerschöpfung. Außerdem scheut sie sich nicht vor Bekenntnissen.
Ungeliebt und einsam habe sich die Großmutter gefühlt, erzählt ihre
Freundin Erzsi. Adorján kommt das wie ein Geschenk vor. Diese schöne
Arztgattin, die erfolgreiche Mutter, die elegante Gastgeberin, diese
interessante, gescheite, bisweilen arrogant auftretende Frau soll zutiefst
unsicher gewesen sein? Das erinnert die Autorin an jemanden: Unsicherheit
sei das tiefste Gefühl, das sie selber kenne. "Niemand liebt mich." Das sei
ihre größte Angst und zugleich ihre tiefste Überzeugung.
Vera Adorján, so kommt es einem vor, hat für die Außenwelt die Rolle der
schönen Unnahbaren gespielt. Die Enkelin lässt ihr diesen Auftritt. Sie
schildert die Brüche der Großmutter, ohne die Figur auseinandernehmen zu
müssen. Das ist die Erkenntnis dieses schmalen Buches: Man muss keine ganz
tolle Frau sein, eine, die Macherin, Mama und zugleich Model ist. Man kann
auch so glücklich sein, und man hat ebenso ein Recht darauf, unglücklich zu
sein. An vielen Stellen wünscht man sich nur noch, Adorján hätte ihr Recht
auf Unentschlossenheit, was Frauenbilder angeht, nicht ganz so radikal auf
ihre Erzählung übertragen.
Das Unentschlossene scheint aber das Prinzip dieser Autorin zu sein. In
ihrem Drehbuch zu dem Film "Schwesterherz" (2006) zeigte sie gemeinsam mit
der ehemaligen Mädchenikone Heike Makatsch die Verbitterung der
erfolgreichen Musikmanagerin Anne, die mit 33 Jahren feststellen muss, dass
sie doch noch jede Menge Mädchenblütenträume gehabt hätte. Adorján zeigte
eine Verzweifelte, ohne dass die Verzweiflung Anne zum Opfer machte. Das
Verkrampfte, das so oft Frauenkarrieren bestimmt, hat die 1971 Geborene
nicht mehr nötig. Sie gibt sich als Bürgerstochter und Popjournalistin, als
spätes Mädchen und als selbstbewusste Frau, sie muss nicht mehr
Authentizität beweisen.
Ähnlich wie die Neuen Mädchen weiß auch Johanna Adorján, dass es schwer
sein kann, eine Frau zu sein. Vielleicht sogar unheimlich. Und sie hat
keine Angst, das zu sagen.
12 Mar 2009
## AUTOREN
Judith Luig
## TAGS
Journalismus
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