# taz.de -- Ein Denkmal für Gustav Mesmer: Bayerischer Eigensinn | |
> In Erinnerung an den bayerischen Querkopf und Erfinder Gustav Mesmer: | |
> Maxi Pongratz' und Micha Achers Album „Musik für Flugräder“. | |
Bild: Gustav Messmer auf seinem Flugfahrrad | |
Wie der Micha den Maxi so anschaut und dann sagt: „Bei dem Cover, wo der | |
Maxi auf dem Rad sitzt, da musste ich auch wieder an Gustav Mesmer denken | |
und dachte mir: Ein Flugrad wäre doch genau das richtige | |
Fortbewegungsmittel für den Maxi“, und der Maxi sitzt nebendran und lächelt | |
ein bisschen, als wäre das Quatsch, aber was soll er sagen – da kommt es | |
einem fast so vor, als ob da ein bisschen viel projiziert wird, vielleicht, | |
vom Micha, vom Gustav auf den Maxi. | |
Der Maxi, das ist Maxi Pongratz, früher Kopf und Akkordeonist der [1][Band | |
Kofelgschroa], Oberammergauer Dada-Groove-Folkloristen, deren zweites | |
Albumcover ihn beim Radeln zeigt. Micha Acher ist als Bassist der | |
[2][Gruppe The Notwist] weltbekannt. Und Gustav Mesmer ist der Mann, dem | |
die beiden nun mit kammermusikalischer Verstärkung ein Denkmal gesetzt | |
haben: „Musik für Flugräder“. | |
Gustav Mesmer war bekannt als der „Ikarus vom Lautertal“. Automatisch denkt | |
man beim Blick auf die erhaltenen Fotos des Greises, wie er sich die | |
hölzernen Flügel um die Arme schnallt: Flugpionier. Dabei baute der 1903 | |
geborene Oberschwabe seine „Flugräder“, als Fliegen selbst für die | |
Mittelschicht längst Alltag war. In jungen Jahren ging er, als „Verdingbub“ | |
schon als Kind zu harter Arbeit gezwungen, ins Kloster, ehe er mit Ende 20 | |
wieder ins Leben trat. Wohl beeinflusst davon störte er 1929 den | |
Gottesdienst seines Heimatdorfes – es sei ein Schwindel, dass das Blut | |
Gottes ausgeteilt werde. | |
Das brachte ihm die Diagnose „Schizophrenie bei einem von Haus aus | |
vielleicht schon schwachsinnigen Menschen“ ein. Fast vier Jahrzehnte soll | |
er nun in Heilanstalten verbringen, mit Glück die Euthanasie der Nazis | |
überleben. Ab den 1930ern interessiert er sich für das Fliegen, aber erst | |
als eine Verwandte 1964 um seine Entlassung kämpft, erhält er die Chance, | |
seinem Erfindergeist nachzugehen, aus technische Skizzen werden Geräte und | |
selbstgebaute Instrumente. | |
Im Jahr 1992 wird eines seiner Flugräder bei der Weltausstellung in Sevilla | |
gezeigt. Für ihn wichtiger, kurz vor seinem Tod 1994, ist eine Ausstellung | |
in seinem Heimatdorf. | |
## New Weird Bavaria | |
Ist „Musik für Flugräder“ der Kurzschluss des New Weird Bavaria mit dem | |
alten, widerständigen, eigensinnigen Bayern? Das könnte man vermuten | |
angesichts der Beteiligten, neben Menschen von Notwist und Kofelgschroa | |
spielen auch Musiker*innen der bayrischen Bands G.Rag y los Hermanos | |
Patchekos und Aloa Input mit. | |
Die Musik ist postlokal: Gesungen wird nicht, und „Akkordeon gibt es doch | |
überall“, sagt Micha Acher. „Es geht nicht drum, wo der Gustav Mesmer | |
herkommt, sondern: Wie unterschiedlich funktionieren Leben, wo wird man | |
hineingeboren?“, ergänzt Maxi Pongratz. | |
Die Musik entstand eigentlich in anderen Zusammenhängen, ursprünglich aus | |
Material, das Acher als Begleitmusik für großes Ensemble zu den Solostücken | |
von Pongratz komponierte. Es ist für ihn die erste Arbeit mit Notation. | |
„Noten machen für so ein Ensemble Sinn“, sagt er, ein Ensemble, dessen | |
Musik „rumpelig, schräg und unperfekt“ ist, aber eben doch eigentlich | |
Kammermusik mit Akkordeon, Trompete, Bratsche, Fagott und Cello. | |
Erst als die Musik fertig war, sah Acher die Verbindung zu Gustav Mesmer. | |
[3][Mesmer wird in diesem Jahr mehrfach als Künstler gewürdigt], die „Musik | |
für Flugräder“ unterliegt dem Trailer zum üppig gestalteten Band „Gustav | |
Mesmer“, der demnächst bei der Edition Patrick Frey in Zürich neu aufgelegt | |
wird, außerdem arbeitet Acher gerade an einem Hörspiel. „Es ist unfassbar | |
rührend, wenn man sich Filme dieser Flugversuche anschaut, er hebt keinen | |
Millimeter ab, die ganze Konstruktion wackelt und wabert, es sieht | |
gefährlich aus. Aber blickt man in sein Gesicht, glaubt man, er würde | |
gerade fliegen.“ | |
Die Kategorie „Outsider Art“ ist in Verruf geraten, weil sie die Kunst von | |
Menschen, die außerhalb der gesellschaftlichen Normen stehen oder gehalten | |
werden, eng an ihr Leben anbinden. Flugapparate werden nicht wegen ihrer | |
Gestaltung als bedeutende Kunstwerke gewertet, sondern weil sie von der | |
Resilienz eines Individuums zeugen. | |
Es bleibt also immer ein exotistischer Rest in jeder Würdigung. Genau wie | |
in den Blicken, die sich das ungleiche Duo zuwirft, in dem Micha Acher die | |
Rolle des Elder Statesman und Maxi Pongratz eben die des zurückhaltenden | |
Außenseiters angenommen hat. Ihre „Musik für Flugräder“ wird nicht legen… | |
wie ihre besten Alben, aber lässt mit melancholischem Witz die Legende des | |
Gustav Mesmer fliegen. Allerdings, ohne dessen größte Erfindung erklingen | |
zu lassen: die Trompetengitarre, die jede Notenvorgabe sprengt. | |
27 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Neue-Volksmusik-von-Kofelgschroa/!5354812 | |
[2] /Vertigo-Days-von-The-Notwist/!5746887 | |
[3] https://gustavmesmer.de/ | |
## AUTOREN | |
Steffen Greiner | |
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