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# taz.de -- Musik aus dem Notwist-Umfeld: Loop-Jazz für einen Vergessenen
> Die Notwist-Gebrüder Acher widmen sich US-Beatpoet Bob Kaufman und
> veröffentlichen ein Album der Tokioter Band Tenniscoats.
Bild: Zum Wegdriften mit Einhorn: Saya (Melodika) und Takashi Ueno (Gitarre) vo…
Zwei Kollaborationen über die Kontinente hinweg. The Plastik Beatniks sind
eine zum Zweck der Würdigung des eher am Rande der Szene agierenden
afroamerikanischen Dichters [1][Bob Kaufman] (1925–1986), der in seinen
Texten alles, was an der Literatur der Beatniks zugleich wunderbar und
nervtötend ist, in seinen Gedichten auf engem Raum zusammenbringt.
Pathos und eine etwas willkürlich anmutende Metaphorik auf der einen Seite:
„Remember not to forget the dying colors of yesterday / As you inhale
tomorrow’s hot dream, blown from frozen lips / Remember, you naked agent of
every nothing“ – es waren andere Zeiten und Kontexte damals. Auf der
anderen Seite sind Kaufmans Zeilen stets von einem sehr hübschen
Sprachduktus getragen, der sich dem Flow des Jazz anverwandelt hat.
Markus und Micha Acher, beide von [2][The Notwist], spannen sich für das
Album „All Those Streets I Must Find Cities For“ mit dem Hörspielautor
Andreas Ammer und dem Loop-Bauer Leo Hopfinger zusammen, um Musik zur
Erinnerung an den weitgehend vergessenen US-Autor zu fabrizieren.
Entstanden sind spröde Jazz-Elektronik-Collagen, die klingen wie
hingewürfelt, beim zweiten Hinhören dann aber doch sehr durchdacht sind.
## Interview zerlegt und neu zusammengesetzt
Jazz und Breakbeats, oft an der Grenze zum Hörspiel: Zu hören sind Lesungen
von Kaufman selbst und ein zerlegtes und neu zusammengesetztes Interview,
das der Beat-Generation-Historiker Raymond Foye mit Allen Ginsberg geführt
hat. Das Zentrum dieses mit Ideen prallen Albums aber bilden die
Rezitationen.
Die Idee, Texte Kaufmans von Sängerinnen vortragen zu lassen, ist eine
gute. Auf „All Those Streets I Must Find Cities For“ arbeiten die
kollaborationsfreudigen Acher-Brüder mit Angel Bat Dawid, Moor Mother und
Patti Smith zusammen. Dawid gehört momentan zu den interessantesten
Jazzerinnen und spielt auf „Westcoast Sound 1956“ erst einmal schön
verrauchte Klarinettenlinien über irritierende Störgeräusche und ein
stolperndes Schlagzeug.
Auf vier der Tracks entwickelt Dawid gemeinsam mit der Band eine
Jazz-meets-Lyrik-Variante, bei der man sich nicht mehr fremdschämt: Denn
die Musik muss nicht als Verstärker von Bedeutsamkeit herhalten, sondern
die Stimme wird als ein weiteres Instrument genutzt.
## Zehnjähriges Schweigegelübde
Im Falle von [3][Moor Mother], die Kaufmans „War Memoir“ vorträgt, ist
dieses Instrument ein perkussives: „Suddenly they were too busy to hear a
simple sound / They were busy shoving mud in men’s mouths / Who were busy
dying on the living ground / Busy earning medals, for killing children on
deserted street corners.“ Kaufman soll nach der Ermordung von US-Präsident
John F. Kennedy, 1963, ein zehnjähriges Schweigegelübde abgelegt haben.
Patti Smith schließlich trägt „Ginsberg (for Allen)“ vor, aus Kaufmans
bekanntester Gedichtsammlung „Solitudes Crowded with Loneliness“, über
einer minimalistisch-melancholischen Gitarrenmelodie, die zunehmend
elektronisch verfremdet und überlagert wird. Ein zärtliches Stück,
exemplarisch für ein sehr schönes Album, das Kaufmans Beat-Literatur
würdigt und vom Antiquarischen befreit, ohne dass die Plastik Beatniks
deswegen so tun würden, als seien dies Texte zur Gegenwart.
Neben ihren engen Verbindungen in die USA haben Markus und Micha Acher
zuletzt auch Musik aus Japan nach Deutschland geholt, die man ansonsten
nicht ohne Weiteres gefunden hätte. 2020 ist bereits ein Sampler
herausgekommen, „Minna Miteru“, der maximal niedlichen Kawaii-Lo-Fi-Pop und
japanische Indietronics versammelt.
## Versponnener Psychedelik-Folkpop
In der Band Spirit Fest spielen die Gebrüder Acher auch gemeinsam mit der
japanischen Band Tenniscoats, einem Duo, das seit über 20 Jahren
versponnenen, sanft psychedelischen Folkpop fabriziert, von dem aus dann in
andere Genres ausgestrahlt wird.
Und mit dem Label Alien Transistor kümmert man sich von München aus um die
Verbreitung der Musik von Tenniscoats in Europa. Teile des umfangreichen
Werks der Band sind auf bislang fünf Alben veröffentlicht. Jetzt erscheint
dort mit „Papa’s Ear“ ein Longplayer erstmals auf Vinyl, den Tenniscoats
2012 gemeinsam mit der schwedischen Postrockband Tape aufgenommen haben.
Das zweite Album der beiden Bands, „Tan-Tan Therapy“ (2007), wird ebenfalls
wieder aufgelegt.
Der Beitrag von Tape scheint vor allem in weichen Bläserarrangement und
Streichelschlagzeug zu bestehen, im Zentrum stehen Gitarre und Stimme von
Saya Ueno. Die Songs auf „Papa’s Ear“ erinnern an Kinderlieder, die von
Erwachsenen für Erwachsene geschrieben worden sind, schon weil sie für
Kinder zu melancholisch geraten sind.
Uenos Stimme ist frei von jeglicher Aggression, scheinbar passiv, wie kurz
vor dem Verschwinden. In ihrer Sanftheit ist diese Musik sehr
trostspendend, alles klingt fragil und skizzenhaft. „Papa’s Ear“ ist zehn
Jahre nach Erscheinen der reine Eskapismus; schöne, einlullende Regression,
Frieden auf Erden, ein [4][Einhorn] in gedeckten Farben fliegt vorbei und
winkt.
22 Apr 2022
## LINKS
[1] http://www.planetlyrik.de/bob-kaufman-solituden/2010/02/
[2] /Vertigo-Days-von-The-Notwist/!5746887
[3] /Alben-von-Moor-Mother-und-Loraine-James/!5799635
[4] /Monster-in-der-Kunst/!5829676
## AUTOREN
Benjamin Moldenhauer
## TAGS
Pop
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The Notwist
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