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# taz.de -- Prozess wegen Staatsfolter in Syrien: Tonaufnahme dringend gefordert
> Der weltweit erste Prozess gegen einen Ex-Mitarbeiter des syrischen
> Geheimdienstes ist historisch. Eine offizielle Dokumentation fehlt –
> bisher.
Bild: Der Angeklagte Anwar R. im April 2020 vor Gericht in Koblenz
Berlin taz | Der Prozess zu [1][Staatsfolter in Syrien], der seit über
einem Jahr vor dem Oberlandesgericht in Koblenz läuft, ist der weltweit
erste – und hat schon deshalb historische Bedeutung. Dennoch gibt es
weiterhin keine offizielle Dokumentation des Verfahrens. Das will ein
Zusammenschluss von deutschen und internationalen
Wissenschaftler:innen und Menschenrechtsorganisationen jetzt ändern.
Am Donnerstag haben sie einen Antrag an das Gericht geschickt, zumindest
die Schlussphase der Hauptverhandlung des so genannten Al Kahtib-Verfahrens
aufzuzeichnen. Dazu würden die Plädoyers gehören sowie ein mögliches
letztes Wort des Angeklagten und die Urteilsverkündung. Das Ziel solcher
Aufzeichnungen: Das Verfahren für die Nachwelt zugänglich zu machen.
In dem Prozess steht seit April 2020 Anwar R. vor Gericht, ein ehemaliger
Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes. Er war unter anderem für „Al
Khatib“ verantwortlich, ein berüchtigtes Foltergefängnis in Damaskus. R.
ist deshalb wegen 58-fachen Mordes und Folter in mindestens 4.000 Fällen,
wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung angeklagt. Anwar R. ist der
Hauptangeklagte, ein Mitangeklagter ist bereits im Februar verurteilt
worden – als erster Mitarbeiter des Assad-Regimes weltweit.
In Prozessen vor deutschen Gerichten gibt es in der Regel weder Ton- oder
Bildaufnahmen noch Wortlautprotokolle. Bei Verfahren von herausragender
Bedeutung und öffentlichem Interesse können Gerichte jedoch anordnen, sie
zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken aufzuzeichnen. Diese
Tonaufnahmen werden dann archiviert und unter bestimmten Bedingungen
zugänglich gemacht.
## Mögliche Schlüsselfunktion bei der Aufarbeitung
Das Koblenzer Oberlandesgericht hat dies bereits zweimal abgelehnt.
Umstritten ist zum einen, ob es sich bei dem Verfahren um eines mit
herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für Deutschland handelt. Zudem
befürchtet das Gericht Auswirkungen auf die Zeugenaussagen. Aus Sicht der
Antragsteller:innen aber rechtfertigt das keine vollständige Ablehnung
der Tonaufzeichnung.
„Der Auschwitz-Prozess, der Stammheim-Prozess und zahllose internationale
Strafverfahren zeigen, dass die Dokumentation historischer Strafprozesse,
auch durch Originalaufnahmen, einen wertvollen Beitrag zur
außergerichtlichen Aufarbeitung, in der Bildungsarbeit und nicht zuletzt
für die Forschung leisten können“, sagt Florian Jeßberger, Professor für
Strafrecht und Juristische Zeitgeschichte an der Berliner
Humboldt-Universität und einer der 23 Antragsteller. „Diese wichtige
Funktion können auch die Tonaufnahmen des Syrien-Prozesses haben. “
„Der Al-Khatib-Prozess ist zweifellos ein Meilenstein der internationalen
Strafrechtsgeschichte – der Auftakt der Aufarbeitung der Verbrechen in
Syrien“, sagt Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for
Constitutional and Human Rights (ECCHR). „Erstmals werden das staatliche
Systemunrecht in Syrien und die Verbrechen der Assad-Regierung, die die
internationale Staatengemeinschaft seit langem beschäftigen, vor Gericht
verhandelt.“
Weil es keine offizielle Dokumentation gibt, berichten derzeit
Mitarbeiter:innen von NGOs wie dem ECCHR und dem Syria Justice and
Accountability Center (SJAC) von jedem Prozesstag. Doch ihre Darstellung
ist weder neutral noch vollständig. Tonaufnahmen aber, so die Argumentation
der Antragsteller:innen, würden es erlauben, das Prozessgeschehen im
Original, objektiv und vollständig zu erfassen. Der Dokumentation von
Strafverfahren könne eine Schlüsselfunktion in der gesamtgesellschaftlichen
Aufarbeitung von Systemunrecht zukommen, heißt es weiter.
„Insbesondere für uns als Syrerinnen und Syrer ist es wichtig, dass dieser
Prozess für die Nachwelt bewahrt wird. Das Verfahren in Deutschland kann
die Basis werden für die weitere Aufklärung der Verbrechen in Syrien, für
zukünftige Generationen und für unsere Erinnerungskultur“, sagt Mansour
Omari, syrischer Journalist und Menschenrechtsverteidiger, der den Antrag
ebenfalls unterzeichnet hat.
Internationale Strafgerichte zeichnen ihre Verhandlungen auf. 2017 erklärte
die UNESCO die Tonaufnahmen der ersten Frankfurter Auschwitzprozesse zum
Weltdokumentenerbe.
1 Jul 2021
## LINKS
[1] /Assad-Regime-in-Deutschland-vor-Gericht/!5738111
## AUTOREN
Sabine am Orde
## TAGS
Gerichtsverfahren
Menschenrechtsverletzungen
Syrischer Bürgerkrieg
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