| # taz.de -- Assad-Regime in Deutschland vor Gericht: „Wie Gerechtigkeit gemac… | |
| > In Koblenz stehen mutmaßliche Folterer des Assad-Regimes vor Gericht. | |
| > Rechtsprofessorin Stefanie Bock fordert, dass der Prozess aufgezeichnet | |
| > wird. | |
| Bild: In Koblenz findet der erste Prozess weltweit statt, in dem sich Mitarbeit… | |
| taz: Frau Bock, Sie haben beantragt, dass der sogenannte Al-Khatib-Prozess, | |
| bei dem sich derzeit zwei mutmaßliche Folterer des Assad-Regimes vor dem | |
| Oberlandesgericht in Koblenz wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit | |
| verantworten müssen, aufgezeichnet wird. Warum? | |
| Stefanie Bock: Für das Internationale Forschungs- und Dokumentationszentrum | |
| Kriegsverbrecherprozesse an der Uni Marburg hätte eine Tonaufzeichnung | |
| wissenschaftlich einen großen Wert. Noch besser wäre es natürlich, die | |
| Aufzeichnung nicht nur zur wissenschaftlichen Analyse des Prozesses zu | |
| nutzen, sondern sie auch der betroffenen Gesellschaft, also den Syrern, zur | |
| Verfügung zu stellen. Aber beantragt haben wir eine Aufzeichnung zu | |
| wissenschaftlichen Zwecken. Alles andere ist derzeit in Deutschland auch | |
| gar nicht möglich. | |
| Das Gericht hat die Aufzeichnung aber untersagt. Mit welcher Begründung? | |
| Das deutsche Recht ist sehr zurückhaltend, was die Aufzeichnung von | |
| Strafverfahren angeht. Voraussetzung ist, dass es sich um ein Verfahren von | |
| herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik | |
| handelt. Umstritten ist aber, ob das in Koblenz der Fall ist. Es geht hier | |
| um Straftaten, die von [1][Syrern an Syrern in Syrien] begangenen worden | |
| sind. Da kann man argumentieren, dass der Bezug zu Deutschland gering ist. | |
| Sie sehen das offensichtlich anders. | |
| Absolut. Entscheidend ist aus meiner Sicht die Bedeutung für die | |
| Justizgeschichte. Dieser Prozess ist ein Meilenstein: Erstmals weltweit | |
| müssen sich Angehörige des Assad-Regimes vor Gericht verantworten. Dieses | |
| Verfahren zeigt – quasi als eine Art Erbe von Nürnberg –, wie Deutschland | |
| seinen Platz in der internationalen Strafjustiz gefunden hat. | |
| Und was ist das für ein Platz? | |
| Die erste Erfahrung, die Deutschland mit dem Völkerstrafrecht gemacht hat, | |
| waren die Nürnberger Prozesse. Dort haben die Alliierten nach dem Zweiten | |
| Weltkrieg einige der Hauptverbrecher Deutschlands zur Verantwortung | |
| gezogen. Aus der besonderen Verantwortung, die Deutschland wegen seiner | |
| Geschichte hat, erklärt sich auch sein besonderes Engagement im | |
| Völkerstrafrecht. Das Koblenzer Verfahren ist ein Beispiel dafür. | |
| Und das Gericht in Koblenz sieht die besondere Verantwortung und die | |
| historische Bedeutung des Prozesses nicht? | |
| Es hat Zweifel geäußert. Hinzu kommt der Opfer- und Zeugenschutz, den das | |
| Gericht nicht gewährleistet sah. Aber deshalb hätte man ja nicht die | |
| Aufzeichnung ganz verweigern müssen – man hätte bei einzelnen Aussagen von | |
| der Aufzeichnung absehen können. Aber das wollte das Gericht nicht. Stellen | |
| Sie sich mal vor, wir hätten die Aufzeichnung der Auschwitz-Prozesse nicht | |
| oder keine Dokumente aus Nürnberg. Da wäre für die Geschichts- und die | |
| Rechtsforschung so viel verloren. | |
| Wird es also gar keine Dokumentation des Al-Khatib-Prozesses geben? | |
| Nicht von staatlicher Seite. Das Verfahren wird jetzt nur von | |
| Nichtregierungsorganisationen dokumentiert, wir arbeiten dabei mit dem | |
| Syria Justice and Accountability Center zusammen. Vom SJAC sitzt an jedem | |
| Prozesstag ein Beobachter im Saal, der Berichte schreibt. Die ordnen wir | |
| dann rechtlich ein und sind so auf dem Laufenden. | |
| Der Prozessbeobachter des SJAC ist selbst Syrer. Damit er dem Verfahren | |
| besser folgen kann, hat er versucht, einen Zugang zu der Übersetzung ins | |
| Arabische einzuklagen, die es im Prozess ja für Angeklagte, Nebenkläger und | |
| Zeugen ohnehin gibt. | |
| Ja, aber er hatte damit nur teilweise Erfolg und profitiert selbst nicht | |
| davon. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar reingegrätscht und | |
| entschieden, dass das Gericht zumindest akkreditierten Pressevertreten mit | |
| besonderem Bezug zu Syrien die Übersetzung zugänglich machen muss … | |
| Was bislang nur ein- oder zweimal passiert ist, weil es solche Journalisten | |
| kaum gibt. | |
| Genau. Auch Hassan Kansou ist kein akkreditierter Journalist. Trotzdem wäre | |
| die Übersetzung für seine Arbeit eine große Hilfe. Und was spricht | |
| ernsthaft dagegen, wenn es eine Übersetzung für die Angeklagten gibt und | |
| Geräte zudem ungenutzt im Saal liegen, diese zur Verfügung zu stellen – und | |
| zwar nicht nur Journalisten, sondern auch Opfern? Es gibt Opfer, die sitzen | |
| stundenlang im Zuschauerraum und verstehen nichts. | |
| Warum, glauben Sie, ist das Gericht so restriktiv? Verkennt es wirklich die | |
| historische Dimension des Prozesses? | |
| Prozessintern ist es sinnvoll, dass sich das Gericht davon nicht | |
| beeindrucken lässt. Die einzige Frage, die das Gericht zu beantworten hat, | |
| ist ja, ob die beiden Angeklagten für die angeklagten Taten schuldig zu | |
| sprechen sind. Da hat die historische Dimension des Prozesses nichts mit zu | |
| tun. Womit sie aber etwas zu tun hat, ist die Frage: Wie kommuniziere ich | |
| mit der Öffentlichkeit – und das heißt hier möglicherweise auch mit der | |
| internationalen Öffentlichkeit. Welchen Sinn hat dieser Strafprozess, wenn | |
| er in Syrien nicht sichtbar wird? Und ist es nicht auch Aufgabe der Justiz, | |
| Outreach zu betreiben, wie es auf internationaler Ebene heißt? Also zu | |
| vermarkten, was wir hier tun? Gerechtigkeit, über die keiner spricht, | |
| funktioniert im Völkerstrafrecht nicht. | |
| Was müsste also geschehen? | |
| Das Verfahren müsste aufgezeichnet werden – und es müsste sich auch | |
| grundsätzlich etwas ändern. Bislang ist es ja so, dass Tonaufzeichnungen | |
| mit Genehmigung zu wissenschaftlichen Zwecken erlaubt sind, aber die gehen | |
| dann erst mal ins Archiv, möglicherweise mit einer Sperrfrist von 30 | |
| Jahren. Es sei denn, jemand beantragt mit berechtigtem Interesse, dass man | |
| da vorher ranmuss. Ich finde, wir müssen überlegen, ob wir der betroffenen | |
| Gesellschaft den Prozess nicht auch in einem anderen Rahmen zugänglich | |
| machen können und müssen. Wir zeichnen das Verfahren auf, synchronisieren | |
| es und geben den Syrern die Möglichkeit zu sehen, wie Gerechtigkeit gemacht | |
| wird. Dann können wir ernsthaft hoffen, dass dieser Prozess irgendeinen | |
| Impact für Syrien hat. | |
| 6 Jan 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Syrisches-Folteropfer-ueber-Prozess/!5703338 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| Justiz | |
| Syrischer Bürgerkrieg | |
| Folterlager | |
| Folterlager | |
| Baschar al-Assad | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| Schwerpunkt Syrische Demokratische Kräfte (SDF) | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Prozess zu Verbrechen in Syrien: Beihilfe zur Staatsfolter | |
| Ein Mitarbeiter des Assad-Regimes wird wegen Verbrechen gegen die | |
| Menschlichkeit verurteilt: Eyad A. muss für Jahre in Haft. Das gab es so | |
| noch nie. | |
| Urteil im Prozess zu Folter in Syrien: Viereinhalb Jahre Haft für Eyad A. | |
| Historisches Urteil: Ein Koblenzer Gericht verurteilt einen Mann, der in | |
| Syrien beim Foltern half. Gegen einen anderen Angeklagten wird weiter | |
| verhandelt. | |
| Gerichtsprozess zu Verbrechen in Syrien: Das Rädchen im Foltergetriebe | |
| Eyad A. soll dem syrischen Geheimdienst beim Foltern geholfen haben. Seit | |
| April steht er in Koblenz vor Gericht, jetzt endeten die Pladoyers. | |
| Koblenzer Prozess zu Folter in Syrien: Caesars Geheimnis | |
| Ein Mann musste Tausende Leichen fotografieren. Ihm gelang es zu fliehen | |
| und die Bilder außer Landes zu bringen. Nun sind sie Beweismittel. | |
| Spektakulärer Syrien-Prozess in Koblenz: Das Rätsel um Anwar R. | |
| Als Geheimdienstler in Syrien hat er mutmaßlich gefoltert. Wegen Verbrechen | |
| gegen die Menschlichkeit wird Anwar R. in Deutschland der Prozess gemacht. | |
| Syrisches Folteropfer über Prozess: „Es war wie in Schwerelosigkeit“ | |
| Wassim Mukdad sagte am 19. August in Koblenz gegen seinen mutmaßlichen | |
| Folterer im syrischen Gefängnis aus. Er ist Zeuge dieses bisher einmaligen | |
| Prozesses. |