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# taz.de -- Merkels letzte Regierungserklärung: Als wäre alles wie immer
> Angela Merkel spricht ein letztes Mal im Bundestag – ganz ungerührt, so
> scheint es. Dann folgt ein Schaulaufen der drei KanzlerkandidatInnen.
Bild: Was tut sich hinter der Maske? Angela Merkel im Bundestag am Donnerstagmo…
Berlin taz | Bundeskanzlerin Angela Merkel, die bei der Bundestagswahl im
September bekanntlich nicht wieder antritt, absolviert derzeit einen
Letzte-Mal-Auftritt nach dem anderen. Am Donnerstagvormittag stand in
dieser Reihe ein ganz besonderer an: ihre wahrscheinlich letzte
Regierungserklärung im Bundestag. Für eine Frau, die 16 Jahre lang an der
[1][Spitze der deutschen Regierung] stand, könnte das ein bewegender Moment
werden.
Doch Merkel, die um kurz nach neun in einem Blazer in kräftigem Hellblau
ans Redepult tritt, bleibt ganz bei sich selbst. „Vorsichtig optimistisch“
könne man in Europa [2][in Sachen Corona] sein, beginnt die Kanzlerin, denn
überall in Europa gingen die Infektionszahlen zurück und überall steige die
Anzahl der Geimpften. Und dann fügt sie gleich mahnend hinzu: „Vorbei ist
die Pandemie nicht.“ Wachsamkeit und Augenmaß seien weiterhin notwendig.
Nüchtern und sachlich spricht sie über den Europäischen Gipfel, der am
Nachmittag beginnen wird – und arbeitet dann gewissermaßen dessen
Tagesordnung ab. Sie erwähnt das digitale Covid-Zertifikat, das ab dem 1.
Juli gelten soll, verteidigt die gemeinsame Beschaffung der Impfstoffe,
deren Patentschutz und mahnt eine Stärkung der Handlungsfähigkeit der EU
an.
Sie sagt, im ersten Schock der Coronapandemie hätten nationale
Anstrengungen das Handeln bestimmt, bevor europäisch abgestimmt vorgegangen
worden sei. „Wir wissen heute, dass wir das besser können und das auch in
Zukunft besser machen werden.“ Dann fordert Merkel von der EU neue
Milliarden-Hilfen für die Türkei zur Versorgung von Flüchtlingen und
direkte Gespräche mit Russlands Präsident Putin.
## Flammende Plädoyers für Europa
Es ist eine Regierungserklärung vor einem solchen Gipfel, wie Merkel schon
viele zuvor abgeben hat. Länger als gewöhnlich ist der Applaus, der auf die
Rede folgt. Rührt die Kanzlerin das? Das ist schwer zu sagen, weil ihr
Gesicht längst wieder hinter ihrer Maske verschwunden ist.
Wie besonders der Moment ist, aber zeigt die Liste der Redner:innen, die
jetzt folgen. Neben den Fraktionschef:innen der Opposition treten
erstmals alle drei Bewerber:innen um Merkels Nachfolge nacheinander ans
Redepult – fast so, als wollten sie sich für künftige Regierungserklärungen
schon einmal warmlaufen:die Kanzlerkandidat:innen Olaf Scholz
(SPD), Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Grüne). Schon Scholz'
Auftritt, der als Finanzminister für die SPD auf die Regierungserklärung
der Kanzlerin antwortet, ist dabei ungewöhnlich – Laschet aber sitzt gar
nicht im Bundestag.
Alle drei liefern flammende Plädoyers für Europa ab – mit unterschiedlicher
Stoßrichtung. Laschet, der nach 23 Jahren zum ersten Mal wieder im
Bundestag spricht, betont die europäische Idee, die das eigentliche Herz
der EU sei. „Es ist eine Lebenseinstellung: Weder von einem tödlichen Virus
noch von antieuropäischer Häme und Skepsis und erst recht nicht von
Populisten und Nationalisten lassen wir uns dieses Europa kaputtmachen“,
ruft NRWs Ministerpräsident in den Saal.
Dann kritisiert er die Grenzschließungen während der Pandemie als „alte,
nationalstaatliche Reflexe“ und betont, die Grenzen in NRW zu den
Niederlanden und Belgien seien die ganze Zeit offen gewesen. Den
leidenschaftlichen Europäer geben, das kann Laschet.
## Dank und Respekt für die Kanzlerin
Olaf Scholz spricht frei und betont, dass die gemeinsame europäische
Reaktion auf die Coronakrise die Grundlage für eine zügige wirtschaftliche
Erholung sei. „Alles, was dabei rausgekommen ist, ist ein Aufschwung, der
wahrscheinlich größer sein wird, als wir ihn heute vorausberechnen können“,
sagt Scholz und nennt die erste gemeinsame Kreditaufnahme der EU, mit der
die Aufbauprogramme der Mitgliedstaaten finanziert werden, einen
„Erkenntnisfortschritt“. In einer Welt von bald zehn Milliarden
Einwohner:innen und mit vielen starken wirtschaftlichen Mächten könne
nicht jedes europäische Land für sich alleine zurechtkommen.
Annalena Baerbock, die zuletzt auf dem Parteitag der Grünen [3][ihre Rede
sehr gebremst gehalten hatte], plädiert dieses Mal leidenschaftlich für
einen neuen Aufbruch in Europa. „Erneuern wir das Versprechen in die
Zukunft Europas, machen wir es besser.“ In diesem Jahrzehnt gehe es darum,
„einen klimagerechten Wohlstand in Europa zu schaffen“.
Europa müsse so modernisiert werden, „dass wir auf den Märkten der Zukunft
klimaneutral eine Chance haben“. Dies sei die Grundlage dafür, die Stärke
Europas, das soziale Versprechen, die Daseinsvorsorge für alle im 21.
Jahrhundert zu sichern. Es sei zudem der „soziale Kitt“, der Europa
zusammenhalte – gerade im Wettstreit mit autoritären Regimen.
Europa habe mit dem „Green Deal“ zwar den richtigen Plan vorgelegt, sagt
Barbock. Aber ihm fehle „der pulsierende Herzschlag“, weil Deutschland dies
blockiere. „Mit Pathos und Analyse allein erneuern wir Europas Versprechen
nicht.“ Wie in den USA müsse nun entschlossen investiert werden.
Auch die anderen Oppositionsparteien sparen mit Kritik nicht – doch mit
Ausnahme der AfD haben alle auch Dank und Respekt für die Kanzlerin dabei.
Scholz bedankt sich für die „gute Zusammenarbeit in der Europapolitik“,
Baerbock – gleich im Namen „sehr, sehr vieler Menschen in diesem Land“ –
dafür, dass Merkel „in Krisensituationen in den letzten 16 Jahren dieses
Europa zusammengehalten“ habe.
FDP-Chef Christian Lindner sagt, Merkel habe sich „stets uneigennützig in
den Dienst Deutschlands und Europas“ gestellt. Auch Dietmar Bartsch,
Fraktionschef der Linken, gesteht ihr zu: „Sie haben vielfach Schlimmeres
verhindert.“
Ob Merkel das freut, bleibt hinter der Maske ihr Geheimnis. Als
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble den nächsten Tagungsordungspunkt
aufruft, ist die Kanzlerin längst verschwunden.
24 Jun 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Sabine am Orde
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