# taz.de -- Pläne der Großen Koalition: Eine Bilanz des Scheiterns | |
> Am Freitag kommt der Bundestag zum letzten Mal in der Legislaturperiode | |
> zusammen. Es zeigt sich, welche Vorhaben die Koalition nicht umsetzen | |
> konnte. | |
Bild: Merkel am Mittwoch im Bundestag | |
BERLIN taz | Der Bundestag ist in seiner letzten Sitzungswoche und die | |
Legislaturperiode neigt sich dem Ende entgegen. Nun wird deutlich, welche | |
Pläne der Großen Koalition gescheitert sind, darunter auch einige zentrale | |
Projekte. | |
So zum Beispiel das eigentlich geplante „[1][Wehrhafte-Demokratie-Gesetz]“, | |
auch Demokratiefördergesetz genannt: Am Mittwoch erklärte die SPD es für | |
„endgültig gescheitert“. Nach dem Mord an Walter Lübcke und den Anschläg… | |
von Halle und Hanau galt das Wehrhafte-Demokratie-Gesetz als zentraler | |
Bestandteil eines Maßnahmenpakets gegen Rechtsextremismus. | |
Statt einer ständigen Neubewerbung um Gelder, sollten Initiativen gegen | |
Rechtsextremismus langfristig finanziell abgesichert und damit gestärkt | |
werden. Streitpunkt war jedoch vor allem eine Extremismusklausel, die das | |
Bekenntnis geförderter Initiativen zur freiheitlich-demokratischen | |
Grundordnung verlangte, der Union aber nicht weit genug ging. | |
Teil desselben Maßnahmenpakets war auch die Streichung des Wortes | |
[2][„Rasse“ aus dem Grundgesetz]. Zunächst einigten sich | |
SPD-Justizministerin Christine Lambrecht und CSU-Innenminister Horst | |
Seehofer darauf, den Begriff zu ersetzen. | |
Auch keine Kinderrechte im Grundgesetz | |
Anfang Juni jedoch verkündete der Justiziar der Unionsfraktion, Ansgar | |
Heveling, dass auch dieses Projekt nicht umgesetzt wird. Begründung: | |
verfassungsrechtliche Bedenken und fehlende Zeit. | |
Die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz habe | |
bestätigt, dass jede Änderung der Verfassung die Tür zu neuen Auslegungen | |
öffne. Deshalb seien auch beim Thema „Rasse“ sorgsame Überlegungen nötig, | |
sagte Heveling. Die SPD spricht von einer Verzögerungstaktik. | |
Im Juni wurde auch klar, dass Kinderrechte vorerst nicht im Grundgesetz | |
verankert werden. Das stand zwar im Koalitionsvertrag, konnte aber trotz | |
jahrelanger Diskussion nicht umgesetzt werden. Ziel war es, die [3][Rechte | |
von Kindern] zu stärken, mindestens symbolisch. | |
Dieses Vorhaben scheiterte am Ende nicht zuletzt an der Opposition, da für | |
die Grundgesetzänderung eine Zweidrittelmehrheit nötig gewesen wäre. Für | |
Linkspartei und Grüne war der Vorschlag von SPD und Union nicht weitgehend | |
genug. | |
Herzensangelegenheit der SPD gescheitert | |
Ekin Deligöz, Grünen-Fraktionssprecherin für Kinder- und Familienpolitik, | |
sprach von einem „faulen Kompromiss, der keinerlei Fortschritt für die | |
Kinderrechte in Deutschland bedeutet“. Hauptkritikpunkt: Die Formulierung, | |
dass Kinder „angemessene“ Berücksichtigung finden sollten, sei viel zu | |
schwach und bliebe hinter der UN-Kinderrechtskonvention zurück. | |
Obwohl Herzensangelegenheit der SPD und wichtiges Wahlkampfthema 2017, ist | |
auch das Vorhaben von Arbeitsminister Hubertus Heil zur [4][Beschränkung | |
der „sachgrundlosen Befristung“] versandet. Der Entwurf sah vor, befristete | |
Arbeitsverträge in Anzahl und Dauer deutlich zu reduzieren. | |
„Der Referentenentwurf ist so erkennbar spät ans Kanzleramt geschickt | |
worden, dass klar war, dass es um den Wahlkampf der SPD geht und nicht | |
darum, ein geregeltes Gesetzgebungsverfahren in Gang zu setzen“, | |
kritisierte Peter Weiß, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der | |
Unionsfraktion, auf Anfrage der taz. | |
Das Arbeitsministerium wiederum teilte mit, dass in der Pandemie andere | |
Themen wie die Stabilisierung des Arbeitsmarktes und die Abmilderung | |
sozialer Folgen im Fokus stünden. | |
Tierwohllabel? Auch nicht. | |
Ein SPD-Vorschlag zur Bekämpfung von Unternehmenskriminalität ist ebenfalls | |
gescheitert. Ein Entwurf von Justizministerin Lambrecht sah vor, dass | |
Unternehmen bei Straftaten wie Betrug oder Umweltzerstörung mit hohen | |
Geldstrafen belegt werden können – in Höhe von bis zu 10 Prozent des | |
Jahresumsatzes. Die Union machte einen Strich durch die Rechnung: angeblich | |
zu wirtschaftsfeindlich. | |
Und dann war da noch der von CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner | |
lange verfolgte Plan, ein [5][staatliches Tierwohllabel] einzuführen. Auch | |
hier konnten sich Union und SPD nicht rechtzeitig auf ein Gesetz einigen. | |
Das Label war für Anbieter*innen von Fleischprodukten gedacht. Bei | |
Einhaltung bestimmter Kriterien der Haltung, des Transports und der | |
Schlachtung hätte es auf Verpackungen gedruckt werden dürfen. Die SPD | |
kritisierte die fehlende Klarheit der Kriterien. Umstritten war auch die | |
Freiwilligkeit des Labels. | |
Am Ende blieb also einiges auf der Strecke, was sich CDU, CSU und SPD | |
ursprünglich auf die Fahnen geschrieben hatten. Ob davon nach der Wahl | |
wieder etwas auf der Agenda landet, ist offen. | |
Denn was in einer Legislaturperiode nicht rechtzeitig in Gesetze gegossen | |
und vom Bundestag verabschiedet werden kann, fällt der [6][sogenannten | |
Diskontinuität zum Opfer]. | |
Das bedeutet: Nicht umgesetzte Vorhaben sind mit dem Ende der | |
Legislaturperiode hinfällig. Nach September muss dementsprechend jedes | |
Gesetz neu in den Bundestag eingebracht und neu verhandelt werden. | |
24 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Julian Jestadt | |
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