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# taz.de -- Sitzungsmarathon im Bundestag: Mietspiegel, Klimaschutz, Raubkunst
> In einer 17-stündigen Sitzung hat der Bundestag eine Flut von Gesetzen
> beschlossen. Das sind die wichtigsten Beschlüsse.
Bild: Marathonsitzung im Bundestag am 24. Juni
Berlin dpa | Erst nach mehr als 17 Stunden hat der Bundestag um 02.30 Uhr
in der Nacht zum Freitag seine Sitzung beendet. Sie war damit 18 Minuten
länger als die bis dahin längste Sitzung dieser Legislaturperiode im Juni
2019. Wichtige Beschlüsse.
## Verschärfter Klimaschutz
Das neue Klimaschutzgesetz sieht schärfere Regelungen vor: So ist das neue
nationale Ziel verankert, bis 2045 treibhausgasneutral zu werden – also nur
noch so viele Treibhausgase auszustoßen wie wieder gebunden werden können.
Ursprünglich hatte man sich das erst bis 2050 vorgenommen. „Wir wollen 2045
treibhausgasneutral wohnen, wir wollen treibhausgasneutral wirtschaften und
mobil sein“, sagte Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Der Ausbau
erneuerbarer Energien müsse Vorrang bekommen, Infrastruktur modernisiert
werden.
Das Gesetz schraubt auch das Emissionsziel bis 2030 hoch. Deutschland soll
nun bis dahin seine Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um
mindestens 65 Prozent senken. Das bislang geltende Gesetz sah mindestens 55
Prozent vor. Auch neue Ziele über 2030 hinaus legt das geänderte Gesetz
fest. Demnach soll 2040 bereits ein Rückgang des klimaschädlichen Ausstoßes
um 88 Prozent erreicht sein.
Nötig wurde die Gesetzesänderung durch ein Urteil des
Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte das bislang geltende Recht Ende
April für teilweise verfassungswidrig erklärt. Die Richter trugen der
Bundesregierung auf, die Emissionsziele nach 2030 näher zu definieren, um
die Freiheit künftiger Generationen nicht durch klimabedingte
Einschränkungen zu gefährden.
## Mietspiegel-Pflicht in größeren Städten
Städte und Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern müssen künftig einen
Mietspiegel erstellen. Damit sollen Mieter besser vor überzogenen
Mieterhöhungen geschützt werden. In mehr als 80 der 200 größten deutschen
Städte gebe es derzeit keinen gültigen Mietspiegel, sagte der
rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Johannes Fechner. Ohne
Mietspiegel sei die Mietpreisbremse aber „faktisch unwirksam“.
Mietspiegel werden genutzt, um die ortsübliche Vergleichsmiete zu
ermitteln. Damit werden Mieterhöhungen begründet und bei einem Umzug in ein
Gebiet mit Mietpreisbremse zulässige Höchstmieten errechnet. Fehlt jedoch
ein Mietspiegel, steht die Bestimmung der maximal erlaubten Miethöhe
rechtlich auf wackeligen Füßen.
## Strengere Regeln gegen Extremismus, Missbrauch und Zwangsprostitution
Fahnen der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas werden in
Deutschland ebenso verboten wie sogenannte Feindeslisten mit Namen und
Daten politischer Gegner. Bislang musste ein Vereinsverbot vorliegen, um
die Verwendung von Kennzeichen einer bestimmten Organisation unter Strafe
zu stellen. Jetzt reicht es, dass die Organisation auf der EU-Terrorliste
steht – wie etwa die Hamas oder die kurdische PKK.
Ausdrücklich verboten ist in Zukunft auch das Verbreiten von
„Feindeslisten“, wie sie vor allem in rechts- und linksextremen Kreisen
kursieren. Wer personenbezogene Daten verbreitet und die Betroffenen damit
in Gefahr bringt, muss bis zu drei Jahre in Haft.
Härter bestraft werden darüber hinaus verhetzende Beleidigungen gegen Juden
und Muslime sowie gegen Homosexuelle und Behinderte. Herabwürdigende Briefe
oder Mails gelten bislang nicht als Volksverhetzung, weil sie nicht
öffentlich verbreitet werden – diese Lücke im Strafrecht wurde nun
geschlossen.
Ferner wurden Verbreitung und Besitz von Anleitungen zum sexuellen
Kindesmissbrauch zur Straftat gemacht. Wer solche Texte aus dem Internet
oder geschlossenen Chatgruppen runterlädt, muss mit Haft bis zu zwei Jahren
rechnen, für deren Verbreitung drohen sogar drei Jahre. Zur Bekämpfung der
Zwangsprostitution wird darüber hinaus die „Freier-Strafbarkeit“
ausgeweitet: Künftig machen sich Freier strafbar, wenn sie offensichtliche
Anzeichen für die Zwangslage einer Prostituierten – etwa Verletzungen –
ignorieren.
## Verschärftes Anti-Stalking-Gesetz
Wer einer anderen Person regelmäßig auflauert oder sie wiederholt
belästigt, soll künftig schneller vor Gericht landen. Um das sogenannte
Stalking konsequenter verfolgen zu können, hat der Bundestag die
Strafbarkeitsschwelle gesenkt. Bisher musste Tätern „beharrliches“
Nachstellungsverhalten nachgewiesen werden, das das Leben des Opfers
„schwerwiegend“ beeinträchtigt. In Zukunft reicht es schon aus, jemanden
„wiederholt“ zu belästigen und dessen Leben damit „nicht unerheblich“ …
beeinträchtigen.
Verschärft wird das Strafmaß: Konnten bisher wegen Stalkings höchstens drei
Jahre Gefängnis verhängt werden, sind nun in besonders schweren Fällen bis
zu fünf Jahre möglich. Darüber hinaus steht nun auch „Cyberstalking“
ausdrücklich unter Strafe – etwa wenn jemand durch spezielle Apps auf
Social-Media-Konten oder Bewegungsdaten seines Opfers zugreift.
## Mehr Schutz für Insekten
Zum Schutz von Insekten soll der Pestizid-Einsatz in der Landwirtschaft
weiter eingedämmt werden. Mehr Gebiete wie Wiesen mit verstreut stehenden
Obstbäumen oder artenreiche Weiden können unter besonderen Schutz gestellt
werden. In vielen Schutzgebieten soll der Einsatz insektenschädlicher
Chemikalien wie Holzschutzmittel eingeschränkt werden. Weitere Vorgaben
sollen verhindern, dass nachtaktive Insekten von Beleuchtung angelockt
werden und sterben.
Zu dem Paket gehört auch eine Verordnung von Agrarministerin Julia Klöckner
(CDU), die ein Verbot des besonders umstrittenen Unkrautvernichters
Glyphosat regelt. Als Ausgleich für Mehraufwand durch weniger
Pflanzenschutzmittel will der Bund zusätzlich 65 Millionen Euro für
betroffene Höfe zur Verfügung stellen.
## Zweiter Prozess bei schwersten Straftaten wie Mord oder Völkermord
Bei schwersten Straftaten wie Mord, Völkermord oder Kriegsverbrechen kann
Verdächtigen künftig ein zweites Mal der Prozess gemacht werden, wenn neue
Beweise auftauchen – eine Änderung der Strafprozessordnung. Wegen des
Verbots der sogenannten Doppelbestrafung darf eigentlich niemand für
dieselbe Tat mehrfach zur Verantwortung gezogen werden. Davon konnte
bislang nur in eng begrenzten Ausnahmen abgewichen werden – etwa bei einem
späteren Geständnis.
Die Liste der „Wiederaufnahmegründe“ wird nun um schwere Straftaten
erweitert, die nicht verjähren: Mord, Völkermord, Verbrechen gegen die
Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen eine Person.
## Neuer Straftatbestand gegen illegale Internet-Geschäfte
Der Internethandel mit Waffen, Drogen und Kinderpornografie soll
konsequenter bestraft werden. Betreibern einer kriminellen Handelsplattform
droht künftig bis zu zehn Jahre Gefängnis. Schon bisher machten sich
Betreiber grundsätzlich der Beihilfe schuldig, wenn ihre Online-Marktplätze
für illegale Geschäfte genutzt wurden. Wenn ihnen aber keine Kenntnis von
den konkret gehandelten Waren nachgewiesen werden konnte, blieben sie in
der Regel unbehelligt.
## Bundeswehreinsätze auf dem Balkan und im Mittelmeer
Die Bundeswehr bleibt weiter im Kosovo und vor der libanesischen Küste
stationiert. Der Bundestag verlängerte die Mandate für die beiden
Auslandseinsätze. Im Rahmen der Nato-Mission KFOR können unverändert bis zu
400 deutsche Einsatzkräfte in den Kosovo geschickt werden. Sie sollen die
öffentliche Ordnung sichern und den Aufbau einer zivilen Friedensordnung
unterstützen.
Bei der UNIFIL-Mission der Vereinten Nationen sollen bis zu 300 deutsche
Soldatinnen und Soldaten den Waffenschmuggel in den Libanon unterbinden.
Die Bundeswehr ist derzeit unter anderem mit einer Korvette vertreten. Der
Verband wird von einem deutschen Admiral geführt.
## Einbürgerung von NS-Verfolgten und Nachfahren
Verfolgte des Nazi-Regimes und deren Nachkommen haben künftig einen
gesetzlichen Anspruch auf einen deutschen Pass. Das Parlament
verabschiedete dazu eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Nachfahren
von NS-Opfern, die ins Ausland geflüchtet waren, bekommen ohne Auflagen die
deutsche Staatsbürgerschaft.
Entsprechende Erlasse des Innenministeriums von 2019 werden damit auf eine
gesetzliche Grundlage gestellt und großzügiger ausgestaltet. So war eine
erleichterte Einbürgerung bisher nur möglich, wenn mindestens ein
Elternteil vor dem 1. Januar 2000 geboren war. Diese Einschränkung fällt
weg.
Der Antrag auf Einbürgerung ist kostenlos, andere Staatsangehörigkeiten
darf man behalten. Betroffene müssen lediglich nachweisen, dass ihre
Vorfahren zwischen 1933 und 1945 in Deutschland verfolgt wurden oder zu
Gruppen gehörten, die verfolgt wurden. Das gilt für Nachfahren von Juden,
Sinti und Roma ebenso wie von psychisch Kranken oder politisch Verfolgten.
## Update-Pflicht für digitale Geräte
Bei Geräten mit digitalen Elementen wie Tablets oder Smartwatches gilt
künftig eine Update-Pflicht. Ein neues Gesetz verpflichtet den Verkäufer
zur regelmäßigen Aktualisierung seines Produkts. Damit sollen
Funktionsfähigkeit und IT-Sicherheit gewährleistet bleiben.
Für welchen Zeitraum die Update-Pflicht gilt, ist allerdings nicht
ausdrücklich festgeschrieben. Im Gesetz ist nur von einem Zeitraum die
Rede, den der Kunde „aufgrund der Art und des Zwecks“ des erworbenen Geräts
erwarten könne.
Rechtlich besser gestellt werden Verbraucher ferner im Fall eines
beschädigten Produkts. Bislang lag ein Gewährleistungsfall nur in den
ersten sechs Monaten nach dem Kauf vor. In Zukunft gilt hingegen zwölf
Monate lang grundsätzlich die Vermutung, dass der Mangel bereits beim Kauf
vorlag.
## Neuer Rechtsrahmen für Personengesellschaften
Eine grundlegende Reform des Gesellschaftsrechts soll den teilweise mehr
als 100 Jahre alten Rechtsrahmen für Personengesellschaften zeitgemäß
machen. Das gesetzliche Leitbild der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)
orientiert sich nun eher am Start-up-Unternehmen als – wie bisher – an
einer Tippgemeinschaft.
Der nicht rechtsfähigen GbR wird deshalb als Variante die rechtsfähige GbR
an die Seite gestellt. Diese verfügt über ein eigenes Gesellschaftsvermögen
und kann selbst Trägerin von Rechten und Pflichten sein. Eine
Personengesellschaft besteht aus mindestens zwei Gesellschaftern, die in
der Regel mit ihrem persönlichen Vermögen für das Unternehmen haften.
Mit der Reform wird auch ein öffentliches Gesellschaftsregister eingeführt,
in dem wesentliche Eckdaten der GbR festgehalten werden. Die Eintragung in
dieses Register ist allerdings freiwillig.
## Zusätzliche Coronahilfe für den Nahverkehr
Wegen fehlender Fahrgäste in der Coronakrise gibt es eine weitere
staatliche Finanzspritze für Busse und Bahnen. Der Bundestag beschloss, dem
öffentlichen Personennahverkehr erneut eine Milliarde Euro zukommen zu
lassen. Schon im vergangenen Jahr hatte der Bund 2,5 Milliarden Euro
zusätzlich für den Nahverkehr bereitgestellt – über die jährlichen
Regionalisierungsmittel hinaus, die in diesem Jahr ohnehin auf knapp 9,3
Milliarden Euro steigen. Die Länder, die dem Gesetz im Bundesrat noch
zustimmen müssen, sollen Finanzhilfen in gleicher Höhe wie der Bund
bereitstellen.
## Neues Gesetz gegen lange Vertragslaufzeiten
Die Vertragslaufzeiten für Handytarife, Streamingdienste oder
Fitnessstudios werden gesetzlich beschränkt, um den Wechsel zu einem
anderen Anbieter zu erleichtern. Die neue Regelung soll Verbrauchern auch
die Kündigung ihrer Verträge erleichtern. „Lange Vertragslaufzeiten und
lange Kündigungsfristen beschränken die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen
und Verbraucher und hindern sie an einem Wechsel zu attraktiveren und
preisgünstigeren Angeboten“, erklärte Justizministerin Christine Lambrecht
(SPD).
Künftig dürfen Verträge in der Regel nur noch ein Jahr lang laufen. Längere
Laufzeiten von bis zu zwei Jahren sind nur noch erlaubt, wenn der Kunde
gleichzeitig auch ein Angebot über einen Ein-Jahres-Vertrag bekommt, der im
Monatsdurchschnitt maximal 25 Prozent teurer ist. Wenn ein Unternehmen
Verträge um mehr als drei Monate automatisch verlängern will, muss es von
sich aus auf die Kündigungsmöglichkeit hinweisen. Die Kündigungsfrist wird
grundsätzlich von drei Monaten auf einen Monat verkürzt. Im Internet muss
es künftig außerdem einen „Kündigungsbutton“ geben, damit Verträge dort
genauso einfach beendet werden können wie sie geschlossen wurden.
## Reisebeschränkungen auch ohne Pandemie-Lage
Coronabedingte Einreisebeschränkungen können weiter greifen, auch wenn die
Pandemie-Lage nationaler Tragweite ausläuft. Eine entsprechende Änderung
des Infektionsschutzgesetzes hat der Bundestag ebenfalls beschlossen. Am
25. März 2020 hatten die Abgeordneten erstmals eine „epidemische Lage“
festgestellt und diese zuletzt bis maximal Ende September verlängert. Sie
gibt dem Bund das Recht, direkt ohne Zustimmung des Bundesrates
Verordnungen zu erlassen – etwa zu Tests, zu Impfungen, zum Arbeitsschutz
oder zur Einreise. Bei der nun beschlossenen Regelung geht es aber nur um
Einreisebeschränkungen, die auch ohne diese rechtliche Grundlage weiter
gelten können sollen – wenn auch nur maximal für ein Jahr nach Aufhebung
der Lage.
Bei AfD, FDP und Linken stieß dies allerdings auf Ablehnung. Eine derart
massive Einschränkung von Grundrechten sei nicht hinnehmbar, wenn keine
epidemische Lage mehr vorliege.
## Neues Stiftungsrecht vereinfacht Rückgabe von Raubkunst
Die mehr als 23.000 Stiftungen in Deutschland bekommen einen neuen
Rechtsrahmen. Wenn der Bundesrat ebenfalls zustimmt, werden die teils
unterschiedlichen Regelungen der Bundesländer vereinheitlicht und im
Bürgerlichen Gesetzbuch zusammengeführt. Damit soll auch die Restitution
von NS-Raubkunst und Kolonialobjekten aus Stiftungsbesitz vereinfacht
werden. Mit der Reform wird nämlich klargestellt, dass Stiftungen an der
Rückgabe ihres Kulturguts nicht dadurch gehindert werden, dass es ein Teil
des zu erhaltenden Stiftungsvermögens ist.
## Coronaregeln für den Bundestag verlängert
Trotz sinkender Infektionszahlen bleibt der Bundestag vorsichtshalber im
Corona-Modus. Das Parlament verlängerte die Regelung, wonach das Parlament
bereits mit mehr als einem Viertel seiner Abgeordneten beschlussfähig ist.
Normalerweise muss dafür die Hälfte der Abgeordneten anwesend sein – doch
wegen der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen hatte der Bundestag diese
Marke im Frühjahr des vergangenen Jahres abgesenkt und die Sonderregelung
seitdem mehrmals verlängert.
25 Jun 2021
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