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# taz.de -- Hebamme und Bestatterin: „Sie gehen einen Weg“
> Die Oldenburgerin Ellen Matzdorf arbeitet als Hebamme und Bestatterin
> zugleich. Ein Gespräch über Begleitung, Leben und Tod, Wehen und
> Kindersärge.
Bild: Ellen Matzdorf: Hebamme und Bestatterin
taz am Wochenende: Gibt es Schwangere, die abgeschreckt sind davon, dass
Sie auch als Bestatterin arbeiten, Frau Matzdorf?
Ellen Matzdorf: Wenn sie auf dem Anrufbeantworter hören [1][„Stern
Bestattungen], Ellen Matzdorf“, legen sie erst einmal auf. Wenn ich
zurückrufe, kläre ich das auf, indem ich sage: „Sie sind richtig, wenn Sie
Hebammenbegleitung möchten, das geht beides über das gleiche Telefon.“
Dann gibt es ein kurzes „Aha“, ich sage: „Kann ich helfen, was brauchen
Sie?“, und dann legen sie los und wir sind im Gespräch. Aber es ist nicht
so, dass alle das gut finden, ich habe auch schon eine böse anonyme Karte
bekommen. So wie es auch nicht alle gut fanden, dass bei uns ein Kindersarg
im Fenster stand.
Warum nicht?
Es gab Leute, die sagten, dass das den Schulkindern nicht zumutbar sei,
deren Schulweg bei uns entlangführt. Ich glaube aber, dass sie da ihre
eigenen Ängste auf die Kinder projizieren. Es schrieb mir aber auch eine
Frau, deren Kind gestorben war, dass es schwer für sie sei, daran
vorbeizugehen.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Ich habe ihr geschrieben, dass ich mich freuen würde, wenn sie zu einem
Gespräch käme, und dass ich den Sarg erst einmal beiseitestelle. Sie hat
freundlich zurückgeschrieben, dass sie Bedenkzeit brauche, aber sie ist
nicht gekommen.
Steht der Kindersarg inzwischen wieder im Fenster?
Nein, wir wollen uns das Leben nicht schwerer machen, als es ohnehin ist.
Die Leute nehmen schon Anstoß daran, dass ein Erwachsenensarg im Fenster
steht. Eine Urne, das geht, ein Sarg nicht – der ist zu deutlich.
Was ist Ihnen gefühlsmäßig näher: die Bestattungen oder die Geburten?
Wahrscheinlich, weil ich gerade keine Geburtshilfe leiste, sind mir die
Bestattungsarbeit und die Menschen, die ich da kennenlerne, näher. Ich
mache im Moment Geburtsvorbereitung und Wochenbettbetreuung, aber keine
Geburtshilfe, weil ich neben meiner Arbeit meinen Bruder betreue, der
fortgeschritten an ALS erkrankt ist. Wir haben ein Pflegeteam, das sich
rund um die Uhr um ihn kümmert und das ich manage. Da kann immer mal was
sein, sodass ich kurzfristig einspringen muss. Deswegen kann ich im Moment
keine Geburtshilfe leisten, weil ich, wenn eine Erstgebärende ein Baby
bekommt, manchmal 20, 30 Stunden weg bin.
Das klingt fordernd.
Ich bin einmal gefragt worden, was ich als Ausgleich mache, und da musste
ich wirklich überlegen, ob ich den brauche. Natürlich höre ich gerne Musik,
gehe viel spazieren, mache Sport, aber das würde ich ja immer machen. In
meiner häuslichen Situation ist tatsächlich meine Arbeit der Ausgleich. Ich
gehe hier weg und bin stückweise nicht erreichbar, dann bin ich in der
Kirche oder in einem Raum, den wir vorbereiten und dekorieren. Dann bin ich
in meinem Flow.
Ist es mit der Geburt heute eigentlich so wie mit der Hochzeit: befrachtet
mit unglaublich großen Erwartungen, was für ein großartiges Erlebnis das
werden soll?
Wer mich als Hebamme wählt, der muss auch zu mir passen, wir müssen
zueinander passen. Da geht es immer wieder darum: Was brauchst du, wie
gehst du mit deiner Schwangerschaft um, welche Vorstellungen hast du von
der Geburt? Sie gehen einen Weg, den ich nur begleite, mit allem, was mich
ausmacht, aber ich nehme den Frauen nichts ab. Einmal hatten wir die
Situation, da sagte die Frau gleich im ersten Gespräch: „Ich möchte einen
Kaiserschnitt.“ Ich sagte: „Man sieht Ihren Bauch noch nicht, Sie sind noch
am Beginn der Schwangerschaft, vielleicht kümmern wir uns erst einmal
darum. Wenn Sie am Ende der Schwangerschaft immer noch einen Kaiserschnitt
wollen, dann kriegen Sie den, aber vielleicht kommt es auch ganz anders.“
Die Frau hat dann bei mir im Geburtshaus ihr Kind gekriegt und ganz
wunderbar geboren.
Ich las einmal ein Interview mit einem Gynäkologen, der sagte: Wer gut
gebären könne, könne auch gut sterben, weil es darum ginge, Kontrolle
abzugeben. Ich dachte, interessant, über die Parallelen nachzudenken, und
zugleich: Du Depp, du kennst beides nicht, was maßt du dir ein Urteil an.
Ich würde in erster Linie sagen, da ist etwas dran, das hat er gut gelernt.
Die Frauen, die es tatsächlich schaffen, ihrem Verstand nicht die Oberhand
zu lassen, die können gut gebären. Deswegen können oft sehr junge Frauen
gut gebären, die sich, ich sage es mal arrogant, um nichts einen Kopf
machen. Auch Menschen mit geistiger Beeinträchtigung können gut gebären,
sie lassen den Körper arbeiten, und das ist das, was in der
Geburtssituation gut ist. Das ist beim Sterben ähnlich.
Was haben Sie für Erfahrungen mit Sterbenden gemacht?
Mit ist wichtig, nicht erst in die Begleitung zu gehen, wenn der Tod
eingetreten ist, sondern auch schon vorher. Ich habe mittlerweile mehrere
Personen, mit denen schon besprochen ist, dass ich sie begleite, wenn es in
die Sterbephase geht, und anschließend auch die Bestattung organisiere. Wir
haben die Planung für den letzten Lebensabschnitt miteinander gemacht, wir
sehen uns auch regelmäßig.
Was sind das für Menschen?
Solche, die niemanden haben, der das, was sie sich wünschen, auch umsetzt.
Die keinen staatlichen Betreuer wollen und nach solchen Arrangements
gucken. Es ist nicht so, dass sie kurz vorm Sterben sind, es ist eine
Vorsorge, die sie treffen. Einmal hat sich eine Familie wegen einer
Bestattung an mich gewandt, deren einjähriger Sohn bald sterben würde. Der
Vater schrieb mir eine Mail und beschrieb sehr intensiv, was das mit ihnen
als Eltern macht. Es war sehr schwierig für sie, dass sie sich um diesen
Schritt kümmerten, während ihr Kind noch lebte. Aber zugleich wollten sie
nicht hinterher in diese Situation geworfen werden.
Wie ist es dann weitergegangen?
Wir haben uns getroffen und ich habe gefragt: Wie offen wollen wir über die
Situation sprechen? Ich musste da auch über meinen eigenen Schatten
springen, der lang genug ist. „Ganz offen“, haben sie gesagt. Eine wichtige
Frage für sie war, wie sich der Körper des Kindes nach dem Tod verändern
würde, weil sie ihn gern eine Weile bei sich behalten wollten. Es ist
unterschiedlich, wie tief die Leute einsteigen wollen – das ist in der
Geburtshilfe auch so. Und wenn ich ein Sterben begleite, gibt es eine
ähnliche Art der Fokussierung wie bei der Geburt: Es ist ein Da-Sein, ein
Aushalten, aber man wartet nicht auf Wehen, sondern auf Atemzüge, und bei
beidem wissen wir nicht, wann es die letzte Wehe und der letzte Atemzug
ist.
Wie erreichbar sind Gebärende und Sterbende – ist das ähnlich, pauschal
gefragt?
Ich glaube, dass beides ganz stark von meiner Empathie abhängt. Ich habe
erst mein Kind geboren und dann die Ausbildung als Hebamme gemacht. Für
mich war das ein großer Vorteil. Andererseits hatte ich eine relativ
einfache Geburt, und wenn ich dann sage, „Ich hatte so eine leichte Geburt,
wieso stellt sie sich so an?“, kann das ein Problem werden. Wenn man selber
gut geboren hat und dann Frauen begleitet, die nach 20, 30, 40 Stunden
immer noch keine vollständige Muttermundseröffnung haben, und wir alle
wissen, es ist nur der Kopf, der da immer noch eine Barriere baut.
Wie ist das bei Sterbenden?
Ich glaube, wenn ich mich in eine Situation voll einbringe und aufnehme,
was von meinem Gegenüber kommt, egal, ob es eine Gebär- oder
Sterbesituation ist, und ich das nicht beurteile, sondern annehme, wie es
ist, dann kann ich es gut begleiten. Deswegen glaube ich, dass viele
Hebammen, die noch nie geboren haben und auch niemals gebären werden, weil
sie keine Kinder kriegen wollen, trotzdem gute Hebammenarbeit und gute
Geburtsbegleitung leisten können. Ich kann ja nicht sagen: Du willst dich
hinsetzen, obwohl Laufen in der Situation besser wäre. Es ist für die Frau
in dieser Situation vielleicht immens wichtig, sich zu setzen, auch wenn
der Geburtsvorgang dann mal für einen Moment stoppt.
Schwangerschaft wird heute sehr sichtbar gemacht, mit enger Kleidung,
Ultraschallfotos, während der Tod immer unsichtbarer wird. Während der alte
Mensch, der stirbt, Vorkehrungen trifft, damit seine Beerdigung möglichst
niemandem zur Last fällt. Als seien es gegenläufige Kurven.
Die Geburt wird tatsächlich immer mehr zum Event. Früher war eine
Schwangerschaft für alle etwas ganz Normales. Heute wird es als etwas ganz
Besonderes empfunden – das tue ich auch, aber das Besondere gilt dem neuen
Leben. Wir machen ein Brimborium um etwas ganz Normales. Auf der anderen
Seite grenzen wir das Sterben, das auch etwas ganz Normales ist, das mit
der Zeugung schon gegenwärtig ist, komplett aus. Da geht es darum, ohne
Aufsehen und ohne viel Trara unter die Erde zu kommen. Ich würde mir da ein
bisschen mehr Gleichmäßigkeit wünschen: dass die Menschen erkennen, dass
Schwangerschaft und Geburt etwas Schönes, aber nichts Besonderes sind.
Was war Ihr erster beruflicher Kontakt mit dem Sterben?
Da war ich in den ersten Wochen meiner Ausbildung, kam auf die Station zu
meinem Dienst und mir wurde gesagt, du bist für Zimmer xy zuständig. Dann
kam ich da rein, und es war klar: Diese Frau wird ein totes Kind gebären.
Ich hatte von Hebammenarbeit noch gar keine Ahnung, aber ich konnte diese
Frau trotzdem gut begleiten. Das passierte während der Ausbildung immer mal
wieder und ich habe gemerkt, dass ich mit dem Tod anderer umgehen kann.
Wie kam es von dort dazu, dass Sie selbst Bestatterin wurden?
Es ist immer mal wieder so gewesen, dass, wenn die Kinder verstorben waren,
der Bestatter dazukam und ich merkte: Jetzt müssen die Eltern ganz schön
ackern, um ihre Wünsche berücksichtigt zu bekommen. Das Baby aus dem
Krankenhaus noch einmal nach Hause zu kriegen, um dort Abschied nehmen zu
können; eine Mutter sagte: „Ich will den Sarg selber machen“ – das ging
dann alles nicht. „Wir möchten, dass der kleine Junge bei der Oma
beigesetzt wird, und wir möchten den Sarg selber zu Grabe tragen und das
Loch zumachen“ – das ging auch wieder nicht. Ich habe gedacht: Das muss
doch leichter gehen. Und irgendwann war der Gedanke da: Warum machst du das
nicht selbst?
Hatten Sie, als Sie Bestatterin wurden, Scheu, die toten Körper zu
berühren?
Als ich mich entschieden habe, als Bestatterin zu arbeiten, wusste ich
nicht, ob es diese Furcht geben wird. Es gab nie die Furcht vor den toten
Kindern. Als der erste Anruf kam, ging mir ganz schön die Düse, als ich
tatsächlich einen erwachsenen Mann aus dem Krankenhaus abholen und dann
versorgen musste. Ich hatte noch gar nicht das Handling und das Equipment,
es war Learning by Doing. Das ist heute immer noch ein bisschen so.
Inwiefern?
Wenn mich eine Frau anruft und sagt: „Ich habe Wehen“, weiß ich ja auch
nicht genau, was mich erwartet. Dann komme ich und muss reagieren. Meine
erste Priorität ist: Was ist mit der Frau und dem Baby, okay, das Umfeld:
Was ist mit dem Mann, steht er noch auf zwei Beinen, sind noch Kinder da,
wer braucht was? Das wird angeguckt und sortiert, dann wird das Umfeld
hergerichtet und dann kann die Geburt laufen. Das ist bei einer
Sterbesituation auch so: Welche Räumlichkeiten sind da, welche Leute, auf
wen müssen wir eingehen, welche Vorsorge ist da, gibt es Gedanken, wie
alles laufen soll, brauchen sie Zeit, gehen wir erst einmal wieder?
Den Umgang mit den Toten haben die meisten von uns verlernt.
Ich erlebe es ganz oft: Wir kommen in eine Familie, wir sollen die Mutter
abholen, der Ehemann ist da, die Tochter, schon erwachsen, alle sind ganz
traurig, weil die Mutter gestorben ist. Wir kommen da hin, wir sehen sie,
wie sie in ihrem Bett liegt, vielleicht hat sie ein Nachthemd an, und dann
fragen wir, ob sie vielleicht etwas anderes anziehen soll. – „Ja, das wäre
ganz schön.“ Und dann frage ich: „Möchten Sie das mit uns zusammen machen…
– „Ich weiß gar nicht, darf ich das denn?“ – „Natürlich dürfen Sie…
„Ich weiß gar nicht, ob ich das kann.“ – „Wir fangen mal an und dann s…
wir, ob Sie das können.“ Dann entkleiden wir die Frau, wir waschen sie,
vielleicht tragen wir eine Körperlotion auf, was auch immer für die Frau
wichtig war, weil sie es zeitlebens gemacht hat, oder was für die Tochter
als Ritual noch schön sein kann, um ihre Mama zu versorgen. Und dann merke
ich im Handeln, dass die Menschen merken: Wie schön, dass ich das noch tun
darf.
Aber die meisten tun es nicht?
Wenn ich das nicht anspreche, dann denken die Leute, sie dürfen das nicht.
Ich werde gefragt: „Darf ich meinen Mann noch anfassen?“ Das fragen sie
mich! Und da wird mir klar, wo das hingeführt hat, was wir die letzten 40
Jahre erlebt haben, wenn es um Bestattung geht. Der Verstorbene gehört auf
einmal dem Bestatter. Bis zum Moment, wo er gestorben ist, haben sie seine
Hand gehalten. Menschen sind 50 Jahre verheiratet, dann muss er loslassen.
Und dann kommen sie noch einmal ins Bestattungshaus und fragen mich, ob sie
ihn anfassen dürfen. Mir fehlen da manchmal die Worte. Wir versuchen schon
im Vorfeld klar zu machen: Ihr dürft alles, wir begleiten nur. Die Urne
tragen, den Sarg tragen – dürft ihr alles tun. Erst mal ist das alles euer
Job. Ihr seid eigentlich verpflichtet, das zu machen, und was ihr nicht
könnt, das machen wir für euch. Aber das müssen viele erst lernen.
Wie ist es damals mit der Familie weitergegangen, deren Sohn Sie beerdigen
sollten?
Sie haben den Sarg selbst für ihn bemalt. Und als der Sohn starb, haben sie
ihn gewaschen und in den Sarg gelegt. Die Mutter war damals wieder
schwanger, und es war ein großer Konflikt für sie, dieses Wechselbad der
Gefühle. Sie hat mich gefragt, ob ich ihre Hebamme sein würde, und ich habe
das mit großer Freude getan.
11 Jul 2021
## LINKS
[1] https://stern-bestattungen.de/
## AUTOREN
Friederike Gräff
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