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# taz.de -- Eine Nacht an der Donau: Wenn Orbán zur Fußnote verkommt
> Das alternative Budapest schert sich nicht um einen Autokraten. Warum?
> Unsere EM-Kolumnistin weiß es.
Bild: Das gute Budapest: Massenprotest von Radlern für mehr Zweiradfreundlichk…
Ich trinke in einer Bar in Budapest Wein mit James Dean. Mit diesem Satz
wollte ich immer schon mal eine Kolumne eröffnen. James Dean heißt
eigentlich Shams al-Din, ist ein in Frankreich lebender, aus Algerien
stammender Fan und wir waren im Bus ins Gespräch gekommen. Den phonetisch
einleuchtenden Spitznamen trägt er seit der Kindheit, sein arabischer Name
heiße „Sonne der Religion“ – wobei er findet, dass „Sonne“ deutlich …
zutrifft als „Religion“. [1][Weil Budapest einem das starke Gefühl gibt],
dass man Freitagnacht nicht zu Hause bleiben sollte, hatte ich mich mit
James Dean verabredet, was eine gute Entscheidung gewesen ist.
James ist, was man wohl einen Intellektuellen nennen würde, jemand, der von
Kolonialismus über Indie-Filme bis zu algerischer Politik zu allem was
Sinniges zu sagen weiß. Er arbeitet im Finanzwesen. Als ich ihn nach
allerhand kapitalismuskritischen Auslassungen belustigt auf den Widerspruch
anspreche, sagt er, es gebe „viele Widersprüche im Leben“.
Ich denke, wie international Kultur doch geworden ist, fast so, als wären
wir in der Nachbarschaft groß geworden. Gleichzeitig ist dieses Gespräch
nicht ortlos. Viele von James’ Positionen, ob zu Frankreich oder zur
Unterdrückung der PalästinenserInnen sind sehr spezifisch an eine Herkunft
gebunden. Manchmal habe ich das Gefühl, die europäischen Großmächte und
Israel sind bei ihm etwas zu sehr an allem schuld. Gleich sind wir nicht.
## Das Globale und das Spezifische
Auch Budapest ist eine Stadt, die etwas Globales und etwas Spezifisches an
sich hat. Sie erinnert mich unfassbar an Berlin, sie fühlt sich europäisch
an. Die pseudo-alternativen Cafés und die Tibet-Läden, die Hipster-Tattoos
und Jutebeutel, die Punkkneipen und Shops mit indisch inspiriertem Ramsch,
Regenbogenfahnen übrigens omnipräsent. Die Zwillingsstadt von Wien mag
unter die Fuchtel eines Autokraten geraten sein.
Und diese Auswirkungen sind nicht nichtig – Budapest ist ethnisch homogen,
und nach dem Ausscheiden feiern ungarische Fans hier mit ausgestrecktem
rechtem Arm sehr nachdrücklich die Nation. Aber Hunderte Jahre Geschichte,
und die wilde, progressive Dynamik, die in dieser Stadt überall ans Licht
quillt – all das kann Orbán nicht zerschlagen. Da ist er eine historische
Fußnote.
In einer dieser Bars, wo mehr Englisch als Ungarisch gesprochen wird,
erzählt James von seiner Familiengeschichte. Vom Vater, der in den
Neunzigern, den algerischen Jahren des Chaos, als einer der wenigen
demokratischen Kandidaten seinen Wahlkreis gegen einen Islamisten gewann.
Damals habe das als Vaterlandsverrat gegolten, auch die Tatsache, dass
seine Mutter Französisch unterrichtete.
Als Kind sei ihm eingeschärft worden, auf die Frage nach dem Beruf der
Eltern immer zu antworten, „Ich weiß es nicht“. Wir sinnieren darüber, wie
Herkunft uns geprägt hat, wie aber auch solche Nächte auf Reisen immer
unbemerkt Spuren hinterlassen. Und sicher muss ich auch über Budapest
sagen: seine liberale Kultur ist eine internationale, keine europäische.
27 Jun 2021
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=VHrLPs3_1Fs
## AUTOREN
Alina Schwermer
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