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# taz.de -- Lehren aus der EM: Fahrstuhl der Menschlichkeit!
> Ob Ungarn oder Nordmazedonien, die Vielfalt des Fußballturniers zeigt die
> Zerrissenheit Europas. Und sie lehrt, dass wir hinfahren sollten.
Bild: Begegnungsangebot in der Budapester Innenstadt
Es ist Halbzeit im Turnier, zumindest Pi mal Daumen. Und mit jedem Tag wird
es um mich herum weniger fremd. Ich verlasse Budapest und fliege bald nach
Rom, und da werde ich sicher eines: in Ruhe gelassen. Die Reise von Ost
nach West, von armer Bevölkerung zu reicher, ist auch eine von
Gastfreundschaft zu Gleichgültigkeit.
In Baku konnte ich keine drei Schritte gehen, ohne in ein Gespräch
verwickelt oder eingeladen zu werden. In Nordmazedonien war diese spontane
Freundschaft der Straße verschwunden, aber alle Interviewpartner luden
großzügig ein. In Budapest war ich einfach Touristin. Ich finde diesen
Fahrstuhl der Menschlichkeit erhellend. Es ist die Spur des Geldes.
Baku und Budapest, das waren auch die Städte, wo viele am liebsten gar
nicht gespielt hätten. Wegen Menschenrechten, Demokratie. Eine wohlmeinende
Debatte, die oft naiv und überheblich geführt wird. Alle AktivistInnen, mit
denen ich sprach, wollten eines nicht: einen Boykott. Sie wussten genau,
was die Aufmerksamkeit durch das Turnier für sie wert war.
Das gilt nicht in jedem Fall, der Boykott der Eishockey-WM in Belarus aus
Solidarität mit der Bevölkerung war wichtig. Aber sonst? Nicht in Katar,
nicht in China spielen, nicht in Russland, nicht in Brasilien, Indien,
nicht in weiten Teilen des Nahen Ostens, Zentralasiens und Afrikas, Teilen
Osteuropas und Südamerikas? Schon realpolitisch wäre das Unsinn, sie würden
eben ihren eigenen Wettbewerb eröffnen. Vor allem aber übersieht es etwas.
Die Bösen sind fast samt und sonders eines: in der Breite ärmer als
Westeuropa. Denn ohne starke Mittelschicht gibt es niemanden, der sich
gegen Unterdrückung wehren kann. Wer aber ließ sie arm werden? Ihre Armut
folgt aus Europas Reichtum. Wir schaffen es ironiefrei, ihnen das Brot zu
nehmen, und sie dann für fehlende Schwulenrechte zu verabscheuen.
Autokratien sind grausam, niemand darf sie verharmlosen. Aber wie sehr
entsprechen Abschiebung, Armut, Ausbeutung, Klimaerhitzung eigentlich den
Menschenrechten, und wer treibt diese voran? Die Kriterien, die als No-Go
empfunden werden, sind, je nun, sehr selektiv. Nachher werden die
Boykott-FreundInnen wieder höhnen: Seht ihr, es hat sich ja mal wieder
nichts geändert mit euren zivilgesellschaftlichen Brücken. Aber was für
einen Effekt erwarten sie? Dass Alijew abdankt?
Effekte sind oft subtil, und über die Wurzeln der Probleme vor Ort wissen
die Deutschen wenig. Wenn sich wirklich mehr bewegen soll, wäre übrigens
eines extrem wichtig: vor der eigenen Haustür kehren. Fifa, Uefa und DFB
demokratisieren, von Gier lösen. Ein undemokratischer Fußball, der Profite
bringen soll, wird nie einer der Menschenrechte sein.
Bleibt also nicht weg, reist hin! Nicht ins Hotel, sondern unter Leute,
nicht in die besten Bezirke, sondern in die anderen. Wo man lernen,
diskutieren, Widersprüche aushalten muss. In Kontakt bleibt. Und dann
klüger kritisieren kann. Unsere Mitmenschen vor Ort haben es nicht
verdient, dass wir sie wegboykottieren.
29 Jun 2021
## AUTOREN
Alina Schwermer
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