| # taz.de -- Public Viewing in Rom: Um halb elf macht das Kloster zu | |
| > Italien schaut man am besten draußen, heißt es. Die Stimmung ist gut, man | |
| > muss nur den Rückweg ins Hotel kennen. | |
| Bild: Kritisch, skeptisch und auch zum Jubeln bereit: Italienische Fans bei der… | |
| Yann Sommer ist hoch im Kurs bei meinem Nebenmann. Wir sind auf der Piazza | |
| del Popolo in Rom beim Public Viewing, gleich wird Italien gezeigt werden, | |
| aber mein Nachbar hat sich schon bei Schweiz gegen Spanien völlig für die | |
| Schweiz verausgabt. Die steht aus pragmatischen Gründen hoch im Kurs: | |
| „Spagna, Spagna, vaffanculo!“, schallt es. Die spanische | |
| Drei-Generationen-Familie, die sich mutig die Wangen bemalt hat, darf | |
| aber trotzdem ungestört jubeln. Fast hatte ich schon vergessen, dass es mal | |
| so was gab, [1][Public Viewing]. | |
| Die ItalienerInnen sind darin besser, als die Deutschen je waren. Bei | |
| lauwarmer Sommernacht auf der malerischen Piazza ergibt sich das aber auch | |
| fast von selbst. Statt Vuvuzelas gibt es Rauchtöpfe, da bekommt das | |
| Rudelgucken fast etwas Subversives. Von den migrantischen | |
| Bevölkerungsteilen ist allerdings auch hier wenig zu sehen. Vergessen hatte | |
| ich auch, dass man auf dieser Leinwand nie was sieht. Das ist mindestens | |
| eines der Ärgernisse dieses 2006er-Hypes, der hier nie verblüht ist. | |
| „Italien guckt man nicht zu Hause“, versichert mir einer später. | |
| Ich wohne fast um die Ecke und spottbillig für die Lage; so was hat immer | |
| Gründe. Die haben es aber mit Jesus hier, denke ich noch, als ich im | |
| stillen Gebäude an einem Lattenjupp nach dem anderen vorbeilaufe. Als ich | |
| dann an der Rezeption vor einer Nonne stehe, wird mir klar, dass ich ein | |
| Zimmer in einem Kloster gebucht habe. Auch gut, kann man mal machen. Mein | |
| Raum heißt Tiberiade, nebenan liegt Nazareth. Die Nonne allerdings ist aus | |
| Chennai in Indien. Auf meine Erzählung, dass ich zur EM hier bin, nickt sie | |
| völlig gleichgültig. Ich überlege, ob sie nicht weiß, wovon ich rede, oder | |
| einfach vom Sport entrückt ist. | |
| Der Klostergarten ist wunderschön, nur das mit dem Ausgang ist so eine | |
| Sache: um halb elf ist Torschluss. Als ich einwende, dass ich dann bei | |
| dieser EM bin, wird mir folgende Lösung präsentiert: vier Schlüssel in vier | |
| Farben für vier Türen. Damit soll ich mich durch Hintereingänge bahnen. | |
| Feierlich proben wir den Weg durch, sie schärft mir die Reihenfolge der | |
| Schlüssel ein. Ich sehe mich schon auf der Straße schlafen. | |
| Das Spiel von [2][Italien gegen Belgien] wird als eines der besten des | |
| Turniers gelten, aber ich bekomme nicht viel mit. Der Ausschnitt der | |
| Leinwand, den ich sehe, ist leider die rechte Außenbahn. Das | |
| Public-Viewing-Publikum tut ein Übriges, es hat die Aufmerksamkeitsspanne | |
| von jungen Hunden; es braucht regelmäßig Tore, rüde Fouls oder Elfmeter, | |
| sonst driftet es ab. | |
| Ich erinnere mich, dass man hierher ja nicht wegen Fußball geht. Ich mache | |
| mich noch während der Partie durch die sehr wache Stadt auf den Rückweg. | |
| Alle paar Meter dröhnt ein Fernseher von irgendwo. Ein fast romantisches | |
| Public Walking. Zwei Minuten vor Beginn der Ausgangssperre hetze ich durch | |
| den Haupteingang, ich will diese vier Schlüssel wirklich nicht | |
| ausprobieren. Dann bricht draußen die Hölle los. Autokorso, Trommeln, | |
| Hupkonzerte. Da liege ich schon gegenüber von Nazareth. | |
| 4 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
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