| # taz.de -- EM-Tourismus gegen den Strom: Weg vom Zentrum und rein ins Leben | |
| > Alle Wege führen nach Rom in die Innenstadt, weil es nur da etwas zu | |
| > sehen gibt? Wer eine Stadt wirklich kennenlernen will, sollte ausscheren. | |
| Bild: Der Klassiker beim Rom-Besuch: Touristen drängen sich vor dem Trevi-Brun… | |
| Warum eigentlich gehen wir in fremden Städten immer ins Zentrum? Ich denke | |
| darüber nach, während ich auf dem Balkon in Rom sitze, vor Palmen und | |
| Häuserfassaden in mildem Orange, makellos, im Zentrum. „Lass uns ins | |
| Zentrum gehen“, das ist wahrscheinlich der am meisten geäußerte Satz von | |
| TouristInnen weltweit. Ich habe noch nie jemanden vorschlagen gehört, in | |
| die Außenbezirke zu gehen. Ich tue das, zugegeben, auch nicht oft. | |
| Aber jedes Mal, wenn ich es tue, bin ich überwältigt, und jedes Mal denke | |
| ich, wie verrückt es ist, dass alle dahin drängen, wo auch die meisten | |
| AnwohnerInnen nur zu Gast sind. TouristInnen wollen keine Stadt sehen. Sie | |
| wollen ein exotisches Paradies und nicht daran erinnert werden, dass es ein | |
| paar Meter entfernt Armut, Kriminalität und Graffiti, Spießerwohnungen, | |
| Vorgärten, Spielplätze gibt. Wie daheim. „Hier gibt es jetzt nichts mehr zu | |
| sehen“, das ist die größte Lüge des Tourismus, die einzig ihn selbst | |
| straft. | |
| Auch ich bin ins Zentrum gegangen. Ich habe den Trevi-Brunnen und das Forum | |
| Romanum und das Kolosseum gesehen, weil ich denke, das muss so. Und ja, | |
| wahrscheinlich auch, weil es sich bekannt anfühlte. In der Masse fühlt man | |
| sich nicht fremd, denn wer fühlt sich schon gerne wirklich fremd auf | |
| Reisen? Es ist nicht hässlich, aber es sind eben nur schöne Steine. Fremd | |
| ist erst, wer die Stadt sieht. Mein Vorwand dafür ist ein Covidtest vor dem | |
| Viertelfinale, im Tennisstadion am anderen Ende von Rom. 14 Kilometer | |
| Fußweg insgesamt, was ich in der Hitze nur ein bisschen bereue. | |
| Ich gehe durch die Bahnhofsgegend, die Straßenzüge der afrikanischen | |
| MigrantInnen. Die Häuser sind verfallen, vor Billigläden versuchen mich | |
| junge Männer anzusprechen; es herrscht ernste Geschäftigkeit und zwei | |
| Mädchen machen ein Selfie. Und überall sind Menschen in Gespräche vertieft. | |
| Dann die indisch geprägten Straßenzüge, voller winziger Restaurants, die | |
| alle dieselben Gerichte aus Indien oder Sri Lanka anbieten. Dieselben | |
| Gerüche. Im Park machen Frauen so was wie Tai Chi. | |
| Der Übergang in die wohlhabenden Gegenden ist erkennbar an restaurierten | |
| Fassaden und daran, dass es jetzt E-Roller gibt. Das Stadtzentrum, das ich | |
| durchquere, ist voller Menschenmassen und tot zugleich. TouristInnen, | |
| Straßenkünstler und gelangweilte Kellner. | |
| Ich wechsle auf das andere Ufer des Tiber, in eine wohlhabende Gegend mit | |
| Einkaufsstraßen, kleinen Cafés und Kiosken, sehr still. Und am Flussufer | |
| entlang, wo Menschen auf der Straße leben. Quer durch Rom fällt mir die | |
| Obdachlosigkeit auf, die sozialen Gegensätze sind groß. | |
| Irgendwann ist da das Tennisstadion. Ich bin fix und fertig, ich habe | |
| vergessen, Wasser einzupacken. Ein Volunteer schenkt mir eine Flasche, und | |
| seine Bitte, niemandem davon zu erzählen, ist so dringlich, dass ich | |
| überlege, was ihm droht, wenn er Geschenke verteilt. Nach dem Test gehe ich | |
| durch die malerischen Gassen des Zentrums zurück. Rom ohne den | |
| Trevi-Brunnen wäre nicht richtig. Aber Rom nur mit Trevi-Brunnen ist nicht | |
| das Leben. | |
| 6 Jul 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
| Rom | |
| Tourismus | |
| Fußball | |
| Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
| Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
| Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Nach dem letzten EM-Spiel in München: Wer räumt hier eigentlich auf? | |
| In der deutschen EM-Stadt München wird Bilanz gezogen. Bei den | |
| Aufräumarbeiten in der Stadt mischen rot-weiß bemützte Ultras mit. | |
| Public Viewing in Rom: Um halb elf macht das Kloster zu | |
| Italien schaut man am besten draußen, heißt es. Die Stimmung ist gut, man | |
| muss nur den Rückweg ins Hotel kennen. | |
| Geschenkeparadies der Uefa: Die lieben blauen Wichtel | |
| Bei der Männer-EM lässt der Verband richtig was springen: Essen, Rucksäcke, | |
| außergewöhnliche Ventilatoren. Doch auch diese Gaben haben ihren Preis. |