| # taz.de -- Nazi-Verstrickungen der documenta 1955: Läuterung auf tönernen F�… | |
| > Wie verstrickt war das Personal der ersten documenta 1955 in die | |
| > Nazizeit? Ein prominent besetzter Workshop befasste sich in Kassel mit | |
| > dieser Frage. | |
| Bild: War in Italien an Folterungen beteiligt: Werner Haftmann (links), Lessing… | |
| 1953 schrieb der Kunsthistoriker Will Grohmann in einem Brief, er habe | |
| gehört, Werner Haftmann „hätte sich selbst im Suff wiederholt gerühmt, | |
| Resistanceleute erschossen zu haben“. 1955 ist Werner Haftmann im Team von | |
| Arnold Bode und gilt als der intellektuelle Kopf des Unternehmens | |
| documenta. Ihm vor allem wird es zugeschrieben, dass die Ausstellung als | |
| bundesrepublikanische Erfolgsgeschichte gesehen und als Aufbruch in eine | |
| demokratische, mit der ästhetischen Moderne versöhnten Gesellschaft | |
| verstanden wurde. | |
| Inzwischen ist belegt, dass Haftmann, der 1967 erster Direktor der | |
| [1][Neuen Nationalgalerie] in Berlin wurde – mit der er ein Jahr später in | |
| den Mies-van-der-Rohe-Bau zog –, als Partisanenjäger in Italien an | |
| Folterungen beteiligt war und an Erschießungen teilgenommen hatte. Dass | |
| frühen Kenntnissen darüber nie nachgegangen wurde, lag wohl nicht daran, | |
| dass man bei Bemerkungen wie Will Grohmanns von böswilligen Gerüchten | |
| ausging, sondern eher daran, dass man sie für wahr hielt und sie deshalb | |
| beschwieg. | |
| Es galt, die Institutionen zu schützen, also den Museums- und | |
| Ausstellungsbetrieb. Die Personen und ihre Verfehlungen fielen gegenüber | |
| den Institutionen nicht ins Gewicht. | |
| Höchste Zeit also, sich die Institutionen genauer anzuschauen, die offenbar | |
| auf doch wundersame Weise von der politischen und gesellschaftlichen | |
| Herkunft ihres Führungspersonals unberührt blieben und geblieben sein | |
| sollen. Tatsächlich eröffnet jetzt, wo ein indonesisches Künstlerkollektiv | |
| die d 15 im nächsten Jahr organisiert, im Deutschen Historischen Museum in | |
| Berlin eine Ausstellung, die auf den gesellschaftspolitischen Kontext der | |
| Geschichte der ersten bis zehnten documenta abhebt. | |
| ## Grund für Skepsis | |
| Und am Freitag fand, angestoßen von Studentinnen der Kunsthochschule Kassel | |
| und organisiert mit der Universität Kassel und dem documenta archiv, ein | |
| über Youtube ausgestrahlter Workshop statt, der „Thesen zur | |
| nationalsozialistischen Vergangenheit der Kuratoren der ersten documenta“ | |
| diskutierte. | |
| Prominent besetzt mit unter anderen Wolfgang Benz, Heinz Bude, Eckhard | |
| Gillen, Christian Fuhrmeister und Tessa Rosebrock, [2][ging es um | |
| NS-Mitgliedschaften,] um Kontinuitäten im Kunsthandel, bei Sammlern und in | |
| der Kulturpolitik und um das Verhältnis der ersten documenta-Macher zur | |
| modernen Kunst. | |
| Bei diesem Punkt vor allem hätte es früh Grund für Skepsis gegeben. Man | |
| denke an Haftmanns in seinem als Standardwerk gepriesenen Band „Malerei im | |
| 20. Jahrhundert“ (1954) veröffentlichten Verdikt, kein einziger deutscher | |
| moderner Maler sei Jude gewesen. Das war schlicht falsch und nur durch | |
| seine documenta „belegt“, auf der er keine jüdischen Künstler, geschweige | |
| Künstlerinnen, zeigte, mit Ausnahme von Marc Chagall. | |
| ## Jargon der Eigentlichkeit | |
| Die These, Ausschlüsse seien in der damaligen Situation vor allem | |
| pragmatisch motiviert gewesen, aufgrund mangelnder Kontakte, fehlender | |
| Ausleih- und Transportmöglichkeiten etc., ließ Alexia Pooth, | |
| wissenschaftliche Mitarbeiterin am DHM, aufgrund ihrer Recherchen für | |
| „documenta. Politik und Kunst“ an ihrem Haus nicht gelten. | |
| Als problematisch hätte schon damals Haftmanns Jargon der Eigentlichkeit | |
| auffallen können, sein Unverständnis der Moderne als Reflexivwerden all | |
| dessen, was er als ursprünglich begriff. Obwohl er also seine Rolle als | |
| Vermittler einer freien westlich demokratischen Kunst nicht wirklich | |
| ausfüllen konnte, wie das Plenum feststellte, kam zu wenig zur Sprache, wie | |
| es geschehen konnte, dass man sie ihm geradezu vehement zuschrieb. | |
| Entsprechend wurde auch kaum thematisiert, dass die beanspruchte | |
| Transformationsleistung der documenta, obwohl sie auf mehr als tönernen | |
| Füßen stand, am Ende doch gelang. Und zwar sogar im internationalen | |
| Kontext, wo sie ein vermeintlich geläutertes Deutschland kulturell | |
| anschlussfähig machte. | |
| Dass dieser Mythos einigermaßen stimmige Realität wurde, dafür waren | |
| freilich andere gesellschaftliche Kräfte relevant und nicht die der | |
| Kunstinstitutionen. Nicht anders als heute, betrachtet man die | |
| Auseinandersetzung um die Benin-Bronzen oder das Luf-Boot. Die Autoritäten | |
| des Kunstbetriebs scheinen zu selbstkritischen Befragung besonders unfähig | |
| zu sein. | |
| 14 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
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