| # taz.de -- Laschet und sein Wahlprogramm: Lächeln reicht nicht | |
| > CDU-Chef Armin Laschet ist dauerfreundlich in alle Richtungen, will aber | |
| > nur die Reichen beglücken. Politisch ist das erstaunlich dürftig. | |
| Bild: Ohne genügend Zapfsäulen keine Elektroautos und umgekehrt | |
| CDU-Chef Armin Laschet könnte genauso gut in der FDP sein. Zwischen den | |
| Wahlprogrammen der Liberalen und der Union ist kaum ein Unterschied | |
| auszumachen; Differenzen finden sich höchstens in so unwesentlichen Details | |
| wie beim künftigen Luftverkehr: Die Union will „Flugtaxis“ fördern, währ… | |
| die Liberalen von einem europäischen Weltraumbahnhof träumen, auf dem dann | |
| „kleine Trägerraketen“ der „New-Space-Unternehmen“ abheben können. | |
| Laschet gilt als ideologiefreier Moderator – genau deswegen ist die Union | |
| jetzt im Lager der FDP gelandet. Laschet muss der Basis zeigen, dass auch | |
| er konservativ sein kann. Die [1][CDU] ist tief gespalten, wie die | |
| jahrelange Suche nach einer Merkel-Nachfolge gezeigt hat. Am Ende hat sich | |
| der moderate Flügel zwar durchgesetzt, mit Laschet an der Spitze, aber die | |
| Konsequenz ist, dass die Konservativen nun permanent befriedet werden | |
| müssen. Schließlich ist ihr Anführer, Friedrich Merz, mit beachtlichen 47 | |
| Prozent gescheitert. Der Riss geht genau durch die Mitte der CDU. | |
| „Konservativ“ heißt bei der CDU schon lange nicht mehr, gläubiges | |
| Kirchenmitglied zu sein – sondern die Welt ausschließlich aus der Warte der | |
| Reichen und der Unternehmer zu betrachten. Merz klang schon immer wie die | |
| FDP, nun ist auch der Laschet-Flügel dort angekommen. | |
| Die Union verstand sich eigentlich immer als Volkspartei, doch das jetzige | |
| Wahlprogramm ist radikal: Es ist reine Klientelpolitik für die | |
| Wohlhabenden. Damit die unteren Schichten dies nicht so deutlich merken, | |
| wurden 140 Seiten verfasst, die meist vage bleiben. Doch inmitten dieser | |
| endlosen Floskelprosa finden sich einige knallharte Aussagen. So will die | |
| Union den „Solidaritätszuschlag für alle“ abschaffen. Das klingt zwar | |
| gerecht, doch wird nicht erwähnt, dass nur noch die obersten 5 Prozent der | |
| Erwerbstätigen den „Soli“ zahlen, der 5,5 Prozent von der Einkommensteuer | |
| beträgt. Wird der Soli ganz gestrichen, profitieren also nur die | |
| Wohlhabenden: Sie bekämen 10 Milliarden Euro im Jahr geschenkt. | |
| Diese Großzügigkeit haben die Reichen gar nicht nötig, denn sie wurden | |
| schon äußerst üppig bedient. Ein paar Beispiele: In den vergangenen zwanzig | |
| Jahren wurde der Spitzensatz bei der Einkommensteuer von 53 auf 42 Prozent | |
| gesenkt; die Körperschaftsteuer für Unternehmen fiel auf 15 Prozent; auf | |
| Zinsen und Dividenden muss nur noch eine Abgeltungsteuer von 25 Prozent | |
| gezahlt werden; und die Erbschaftsteuer wurde so reformiert, dass | |
| Firmenerben meist gar nichts abführen müssen, selbst wenn sie | |
| milliardenschwere Unternehmen übernehmen. | |
| Die Reichen wurden umfangreich bedacht – obwohl sie sowieso ständig reicher | |
| werden. Vom Wachstum der vergangenen zwanzig Jahre haben vor allem die | |
| Wohlhabenden profitiert. Seit der Jahrtausendwende sind die realen | |
| Einkommen des reichsten Zehntels um 25 Prozent gestiegen, während die | |
| Durchschnittsverdiener nur auf ein Plus von etwa 12 Prozent kamen. Das | |
| ärmste Zehntel hat sogar verloren: Sie erhalten jetzt 2 Prozent weniger als | |
| vor zwanzig Jahren. | |
| Doch obwohl es den deutschen Reichen bestens geht, soll nicht nur der Soli | |
| abgeschafft werden – auch die Unternehmensteuern sollen noch weiter fallen | |
| und zwar gleich um 5 Prozentpunkte. Die Details sind zu kompliziert, um sie | |
| hier näher auszuführen, aber die wahrscheinlichste Variante dürfte sein, | |
| dass die Körperschaftsteuer von derzeit 15 auf lächerliche 10 Prozent | |
| sinken soll. Kapitaleigner bekämen damit weitere 17 Milliarden Euro | |
| geschenkt, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) | |
| ausgerechnet hat. | |
| Das ist absurd. Der internationale Trend geht genau in die andere Richtung: | |
| Die [2][G7-Staaten] haben erst kürzlich eine globale Mindeststeuer für | |
| Konzerne von 15 Prozent beschlossen, und US-Präsident Joe Biden will die | |
| Unternehmensteuern in seinem Land noch deutlich stärker anheben. | |
| Während die Union also genau darlegt, wie sie die Reichen beglücken will, | |
| wird der große Rest der Bevölkerung mit vagen Ankündigungen abgespeist. | |
| Wolkig heißt es, dass auch „kleinere und mittlere Einkommen“ bei der Steuer | |
| entlastet würden. Was immer das heißen soll: Viele Beschäftige könnten | |
| schon deswegen nicht profitieren, weil sie kaum Einkommensteuern zahlen – | |
| sie verdienen zu wenig. | |
| Damit nicht auffällt, dass sich die Union nur um die Reichen kümmert, fährt | |
| die Partei eine „Grüne Socken“-Kampagne: Sie spielt sich als Schutzmacht | |
| des „kleinen Mannes“ auf, den sie gegen die Zumutungen des Klimaschutzes | |
| bewahrt. Nur mit der Union, so der Subtext, kann man weiter nach Mallorca | |
| fliegen und ungebremst Fleisch essen – als ob die anderen Parteien das | |
| verbieten wollten. | |
| Die Union offeriert also eine Mogelpackung: Man macht auf Volkspartei, | |
| bedenkt aber nur eine reiche Minderheit. Das ist nur scheinbar ein Paradox, | |
| denn die Union bedient einen altbekannten Reflex der Unter- und | |
| Mittelschichten: Sie neigen zum Selbstbetrug. Niemand will sich | |
| eingestehen, bestenfalls zu den Durchschnittsverdienern zu gehören – | |
| stattdessen sehen sich fast alle als Teil der Elite. Man ist vielleicht | |
| nicht reich, fühlt sich dem Reichtum aber nah. Der Traum vom Aufstieg ist | |
| zu schön, um ihn aufzugeben, und also nimmt man willig hin, dass vor allem | |
| die Wohlhabenden entlastet werden. So erstaunlich es scheint: In den | |
| unteren Schichten holt ausgerechnet die CDU die meisten Stimmen. Die Union | |
| ist die eigentliche Arbeiterpartei in Deutschland, nicht die SPD oder die | |
| Linke. | |
| Einziger Trost: Die Union führt zwar in den Umfragen, ist aber von einer | |
| eigenen Mehrheit weit entfernt. Zudem müssen Steuerreformen nicht nur den | |
| Bundestag passieren, sondern auch vom Bundesrat abgesegnet werden. In der | |
| Länderkammer haben Grüne, Linke und SPD jedoch eine sehr solide Vetomacht. | |
| Daher dokumentiert das Unionsprogramm vor allem zweierlei: Der Merz-Flügel | |
| hat das Sagen, und ansonsten hält man die eigenen Wähler für ziemlich doof. | |
| Laschet selbst scheint sowieso zu glauben, dass es reicht, über alle | |
| Widersprüche hinweg zu lächeln. Doch diese Wohlfühlstrategie könnte daran | |
| scheitern, dass die Widersprüche allzu offensichtlich sind. Selbst die | |
| Union kann den Klimawandel nicht mehr leugnen – aber Klimaschutz kostet | |
| Geld. Daher bleibt ein Rätsel, wie Laschet gleichzeitig die Steuern für die | |
| Reichen senken, die „schwarze Null“ einhalten und ein | |
| „Modernisierungsjahrzehnt“ ausrufen will. Wachstum allein wird jedenfalls | |
| nicht reichen, um die nötigen Milliarden für dieses „Laschet-Programm“ zu | |
| beschaffen. | |
| Sogar konservative Ökonomen melden Zweifel an, ob Laschet rechnen kann. | |
| Gabriel Felbermayr vom Kieler Institut für Weltwirtschaft ließ wissen, dass | |
| es derzeit „nicht vorrangig“ sei, die Unternehmensteuern zu senken oder den | |
| Soli abzuschaffen. Auch Kanzlerin Merkel fiel ihrem CDU-Chef indirekt in | |
| den Rücken, als sie kürzlich auf dem Industrietag vor den versammelten | |
| Firmenbossen sagte, für den Klimaschutz müsse man „in den nächsten Jahren | |
| gigantische Summen ausgeben“. | |
| Klimaschutz als Henne-Ei-Problem | |
| Genau dieser Meinung sind auch viele Unternehmen. Klimaschutz ist für sie | |
| keine ferne Möglichkeit mehr, sondern knallharte Realität. Audi steigt ja | |
| nicht komplett auf E-Antriebe um, weil man schon immer vom Elektroauto | |
| geträumt hat – sondern weil sich Verbrennermotoren in China oder | |
| Kalifornien demnächst nicht mehr verkaufen lassen. | |
| Doch vom Export allein können die deutschen Autokonzerne nicht leben – also | |
| muss auch der heimische Markt für E-Fahrzeuge geeignet sein. Elektroautos | |
| werden in Deutschland aber nur boomen, wenn sich die Gefährte schnell und | |
| überall laden lassen. Ladesäulen lohnen sich jedoch häufig gar nicht, weil | |
| es noch zu wenige E-Autos gibt. Klimaschutz ist oft ein | |
| Henne-oder-Ei-Problem: Es muss alles gleichzeitig vorhanden sein, sonst tut | |
| sich gar nichts. | |
| „Marktlösungen“, bei der Union so beliebt, können daher nicht | |
| funktionieren. Private Anbieter werden die Ladesäulen nicht flächendeckend | |
| aufbauen, eben weil noch nicht genug E-Autos vorbeifahren. Also muss der | |
| Staat einspringen und die Infrastruktur vorfinanzieren. Mit dem | |
| „Laschet-Programm“ ist dies aber nicht möglich, weil es an der „schwarzen | |
| Null“ festhält. | |
| Zudem tragen E-Fahrzeuge nur zum [3][Klimaschutz] bei, wenn sie Ökostrom | |
| nutzen. Doch grüner Strom ist knapp – und wird immer knapper, je mehr | |
| Fabriken, Heizungen und Autos auf Strom umgestellt werden sollen. Wie | |
| SPD-Finanzminister Olaf Scholz kürzlich vorgerechnet hat, würde allein die | |
| Stahlindustrie zwischen 4 und 8,5 Gigawatt installierte Leistung | |
| benötigen, wenn sie mit Strom läuft. Das ist in etwa so viel, wie die | |
| Offshore-Windparks derzeit liefern. Noch energieintensiver ist die | |
| Chemieindustrie: Wenn sie klimaneutral produzieren soll, würde sich der | |
| heutige Strombedarf Deutschlands glatt verdoppeln. | |
| Fördermittel im Promillebereich abgerufen | |
| Es sind also noch sehr viele Windräder aufzubauen und Solarpaneele zu | |
| installieren. Allerdings muss der Strom nicht nur produziert werden – | |
| sondern auch abfließen. An Leitungen fehlt es aber auch: Die Netze müssten | |
| mindestens 8.000 Kilometer umfassen, doch derzeit gibt es noch nicht einmal | |
| 2.000 Kilometer. Das Wort „Herausforderung“ ist da noch ein Euphemismus. | |
| Zudem wird es nicht reichen, wenn der Staat einfach nur Geld zur Verfügung | |
| stellt und die Subventionsgießkanne auspackt. Er muss auch aktiv planen und | |
| eingreifen. Ein gutes Beispiel ist die „nationale Wasserstoffstrategie“: 9 | |
| Milliarden Euro hat die Bundesregierung bereitgestellt, um diesen | |
| Energieträger der Zukunft zu fördern. Doch das Geld fließt einfach nicht | |
| ab. Bisher sind nur Fördermittel im Promillebereich abgerufen worden. | |
| Wieder einmal zeigt sich, dass die „Marktlösung“ nicht funktioniert; mit | |
| Subventionen allein kommt man nicht weiter. | |
| Der Handlungsdruck ist also enorm – wird aber von der Union ignoriert. Dort | |
| hat man sich entschieden, auf einen Kandidaten zu setzen, der immer lächelt | |
| und angeblich ein Teamplayer ist. Es beginnt also ein interessantes | |
| Experiment: Die nächsten drei Monate bis zur Bundestagswahl werden zeigen, | |
| ob permanentes Lächeln reicht, um Kanzler zu werden. | |
| 26 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
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