# taz.de -- Geduldete Geflüchtete in Hannover: Wohlwollen im Amt | |
> Ein Projekt in Hannover hat im vergangenen Jahr 139 Geflüchteten mit | |
> Duldung ein Bleiberecht verschafft. Voraussetzung war auch der Wille der | |
> Behörde. | |
Bild: Auf Hannovers Weißekreuzplatz haben Sudanesen monatelang für ein Bleibe… | |
BREMEN taz | Wer in Deutschland nur geduldet ist, lebe in dauerhafter | |
Unsicherheit, sagt Sascha Schießl vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. Und in | |
der Angst vor Abschiebung. „Das macht was mit einem“, sagt Schießl. Vor | |
allem mit betroffenen Kindern: „Wie sollen die sich in der Schule | |
konzentrieren, wenn nachts vielleicht die Polizei kommt?“ Oft sei es für | |
Betroffene auch schwer einzuschätzen, wie akut die Sorge wirklich sein | |
muss. Neben dem permanenten Druck kommen noch ganz alltägliche | |
Einschränkungen dazu, so Schießl: Ins Ausland reisen, umziehen, Verwandte | |
in anderen Bundesländern besuchen – all das gehe nicht einfach so. | |
Eine Duldung haben Menschen, die keinen anderen Titel erhalten, gegen deren | |
Abschiebung aber aktuell Gründe sprechen – familiäre oder gesundheitliche | |
zum Beispiel. Meist gilt sie ein paar Monate, kann aber verlängert werden. | |
Viele dürfen in der Zeit nicht arbeiten. Um mehr Menschen [1][aus dem | |
prekären Status] der Duldung heraus zu helfen, gibt es das Projekt „Wege | |
ins Bleiberecht“ (WIB). | |
Finanziert wird es seit Mitte 2019 vom Sozialministerium des Landes, seit | |
gut einem Jahr ist Hannover als erste Kommune dabei. In der | |
Landeshauptstadt lebten damals 1.207 geduldete Menschen – die Hälfte von | |
ihnen seit sechs oder mehr Jahren. 139 von ihnen haben nun im ersten Jahr | |
ein Bleiberecht erhalten. | |
„Teils durch die Prüfung von Bleiberechtsmöglichkeiten durch die | |
Landeshauptstadt Hannover, teils durch die Beratungen im Rahmen des | |
Projekts“, [2][teilte der Flüchtlingsrat am Montag mit], der die | |
Kooperation mit der Stadt initiiert hatte. Sein Ziel formulierte er schon | |
zu Projektbeginn: „Die Zahl der Langzeitgeduldeten in Niedersachsen um | |
mindestens 30 Prozent absenken“. Seit Mai dieses Jahres macht auch | |
Göttingen mit, sagt Schießl, Oldenburg folge bald. | |
Man wolle „nicht ganz viele Kommunen“ dazu holen, erklärt Schießl weiter, | |
sondern „modellhaft versuchen, übergeordnete Lösungswege zu erarbeiten“, | |
wie Menschen mit einer Duldung zu einem Bleiberecht kommen können. | |
Gemeinsam mit dem Sozial- und Innenministerium des Landes wolle man den | |
Ausländerbehörden die Ergebnisse an die Hand geben. | |
Konkret sah das Erfolgsrezept in Hannover so aus: Die Ausländerbehörde habe | |
die Akten der Menschen mit Duldung gesichtet und kategorisiert, sagt | |
Schießl. Nach und nach seien die Betroffenen angeschrieben und auf das | |
Beratungsangebot von verschiedenen Stellen hingewiesen worden. | |
Beratungsstelle und Betroffene*r hätten dann die Möglichkeiten | |
ausgelotet und den Fall der Behörde vorgestellt. Gemeinsam habe man | |
geschaut, ob und wie die Person zu einem sicheren Aufenthaltstitel kommen | |
könnte. | |
[3][Die Wege dahin sind vielfältig und kompliziert, die Hürden ebenso]. | |
„Zumal das Recht in den letzten Jahren immer wieder geändert wurde“, sagt | |
Schießl. Eine große Hürde sei für manche der Nachweis ihrer Identität. | |
Dafür braucht es einen Pass. „Doch einige Länder wie Liberia oder Sudan | |
haben die nächste Vertretung in Brüssel.“ Ausreisen dürften Menschen mit | |
Duldung aber nicht. Eine oftmals festgefahrene Situation. | |
Ausländerbehörde, Betroffene*r und Beratungsstelle hätten dann gemeinsam | |
geplant, auf welchem Wege der Pass am besten besorgt werden kann, was für | |
den Antrag alles vorliegen muss. „Dann muss man genau planen, wann die | |
Dokumente für die kurzfristige Ausreise der Person ausgestellt werden“, | |
erklärt Schießl. | |
Solche Prozesse seien vor dem Projekt oft liegen geblieben, sagt er. Die | |
Betroffenen wüssten zwar, dass sie ihre Identität nachweisen müssen, aber | |
oft eben nicht, wie. Schwierig werde es auch, wenn sie Vollzeit arbeiten | |
und ohnehin Schwierigkeiten haben beim Zugang zum bürokratischen System. | |
Das beschriebene Vorgehen erfordere auch von den Betroffenen großes | |
Vertrauen, sagt Schießl – denn ein Pass sei nicht nur Voraussetzung für | |
einen sicheren Aufenthaltstitel, sondern auch für eine Abschiebung. | |
Ein anderer Weg zum Bleiberecht ist ein fester Job. Auch hier habe die | |
Behörde Spielraum, um zu entscheiden, welche Arbeit für den Titel reicht. | |
Ebenso wie beim Nachweis sogenannter Integrationsleistungen. | |
Für Claire Deery, Vorsitzende des Flüchtlingsrats Niedersachsen, ist das | |
Besondere des Projektes unter anderem die „wohlwollende Haltung der | |
Ausländerbehörde“. Dieses Wohlwollen, so Schießl, meint erst einmal die | |
Haltung, möglichst vielen Menschen mit Duldung einen sicheren Titel geben | |
zu wollen. „Es gibt Behörden, die diese Absicht nicht haben.“ Weitergehend | |
meine das auch die Bereitschaft, die rechtlichen Handlungsspielräume zu | |
nutzen. Das passiere, sei aber nicht immer einfach. „Ringen und | |
diskutieren“ gehöre laut Schießl dazu. | |
Gerne würde der Füchtlingsrat das auch weiterhin machen. Derzeit sei er im | |
Gespräch mit dem Land darüber, das Projekt zu verstetigen, sagt Schießl. | |
Denn im nächsten Sommer läuft es bereits aus. „Über die Fortsetzung wird im | |
nächsten Jahr zu entscheiden sein“, sagt eine Sprecherin des Ministeriums. | |
Anfang des Jahres werde man daher „Gespräche mit den kommunalen | |
Spitzenverbänden führen“. | |
## Flüchtlingsrat will liberaleres Aufenthaltsrecht | |
Der Flüchtlingsrat versuche mit dem Projekt, so Schießl, innerhalb des | |
aktuellen Rechtsrahmens Betroffenen zu helfen, die seit Jahren unter der | |
prekären Situation leiden. Er bekämpft damit aber vor allem die Symptome | |
des aktuellen Aufenthaltsrechts. „Das Recht muss grundsätzlich anders | |
werden“, fordert Schießl daher. Einfacher, und vor allem liberaler. So | |
sollten zum Beispiel alle Menschen, die hier geboren werden, ein | |
voraussetzungsloses Bleiberecht haben; ebenso alle, die seit einem Jahr | |
hier leben. „Wenn das Recht liberaler wäre, wäre so ein Projekt | |
überflüssig.“ | |
Mit dem Wunsch ist der Flüchtlingsrat nicht allein. Die niedersächsische | |
Landtagskommission zu Fragen der Migration und Teilhabe hat im März ein | |
Papier beschlossen, in welchem sie die Landesregierung auffordert, sich auf | |
Bundesebene für eine Liberalisierung einzusetzen. [4][In dem Entwurf] | |
enthalten ist unter anderem ein Aufenthaltsrecht für alle, die seit fünf | |
Jahren in Niedersachsen leben, oder auch eine Senkung der Anforderungen an | |
Einkommen, Sprachkenntnisse und Identitätsnachweise. | |
Ein Bleiberecht ist das Ziel vieler Menschen mit Duldung. Doch selbst das | |
könne auch wieder entzogen werden, so Schießl. Zum Beispiel, wenn es dank | |
einer Arbeit erteilt wurde, die die Person – vielleicht sogar unverschuldet | |
– wieder verliert. „Man befindet sich weiterhin in einer Abhängigkeit. Aber | |
immerhin schützt es vor Abschiebung.“ | |
23 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.diakonie.de/wissen-kompakt/ausreisepflicht-duldung-bleiberecht | |
[2] https://www.nds-fluerat.org/49568/aktuelles/zwischenbilanz-gemeinsames-mode… | |
[3] /Aenderung-des-Asyl--und-Bleiberechts/!5017845 | |
[4] https://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2021/03/Beschluss-MiguTeilhK… | |
## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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