| # taz.de -- Geflüchtete in Jordanien: Emanzipation mit der Rohrzange | |
| > Wenn im Camp Jerash der Hahn tropft, darf kein Klempner vorbeischauen, | |
| > solange kein „Hausherr“ anwesend ist. Deshalb gibt es jetzt | |
| > Klempnerinnen. | |
| Eslam Abu Jamous klemmt den Befestigungsring am unteren Hals des | |
| Wasserhahns in eine Rohrzange und schließt mit ein paar Drehungen die | |
| Schlüsselaufnahme des Systems. Die Armatur an ihrem Waschbecken ist recht | |
| neu. Das ist eine Seltenheit hier. | |
| Abu Jamous lebt in einer Siedlung für palästinensische [1][Geflüchtete in | |
| Jordanien]. Die Einkommen der Menschen sind gering, die Infrastruktur | |
| veraltet. Regelmäßig tropfen die alten Hähne, Dichtungen verkalken, Rohre | |
| lecken. Deshalb hat Abu Jamous gelernt, wie sie Wasserhähne repariert, | |
| Siphons austauscht und Dichtungen reinigt. „Ich kann alles reparieren und | |
| muss nicht warten, bis meine Brüder von der Arbeit zurückkommen oder der | |
| Handwerker vorbeikommt“, sagt sie stolz. | |
| Damit spart sie Geld und Wasser – eine knappe Ressource, nicht nur im Camp | |
| in Jerash, in dem die 27-Jährige lebt, sondern in ganz Jordanien, ein | |
| Staat, dessen Fläche viel Wüste beinhaltet, in dessen Sommern es monatelang | |
| nicht regnet und der deshalb an Wasserarmut leidet. | |
| Jamous lebt mit zwei Brüdern, drei Schwestern und ihrer Mutter in einem | |
| kleinen zweistöckigen Haus. In der offenen Küche stapeln sich Töpfe und | |
| Pfannen neben der Spüle. Im Flur steht eine Waschmaschine, gefüllt mit | |
| Wolldecken, die darauf warten, im Schleudergang gereinigt zu werden. Die | |
| Frauen können nicht zu jeder Tageszeit waschen. Sie müssen warten, bis der | |
| städtische Wasserbetreiber die Leitungen aufdreht. Ansonsten müssten sie | |
| das kostbare Wasser aus ihrem Vorrat nehmen, das sie aufbewahren, um zu | |
| duschen oder die Toilette zu spülen. | |
| Weil [2][Jordanien an akutem Wassermangel leidet], dreht der Staat die | |
| Hähne nur ein paar Tage in der Woche auf. Dann fließt städtisches Wasser | |
| zunächst auf die Hausdächer – auf jedem Dach in Jordanien gibt es | |
| mindestens einen großen Plastikbehälter. In diesen Sammelbehältern | |
| verbleibt das Wasser, damit es zur Verfügung steht, wenn der | |
| Wasserversorger den Hahn wieder zudreht. Wer ansonsten Nachschub möchte, | |
| muss die teuren privaten Tanklaster bezahlen. | |
| ## Ein Werkzeugkasten als Geschenk | |
| In Jordaniens Hauptstadt Amman fließt das Wasser vergleichsweise lange: 24 | |
| Stunden in der Woche. In ländlichen Gebieten füllt das Wasser die Zisternen | |
| für 6 bis maximal 18 Stunden. In Camps für palästinensische oder syrische | |
| Geflüchtete sogar nur bis zu 10 Stunden in der Woche. Rund 80 bis 100 Liter | |
| Wasser stellen die Wasserversorger am Tag bereit, damit müssen die Menschen | |
| dann in der Woche auskommen. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der | |
| Verbrauch an Trinkwasser bei 120 Litern pro Person – täglich. | |
| Nicht die ganzen 100 Liter kommen an, denn rund 40 Prozent des Wassers in | |
| Jordanien gehen verloren, weil die Leitungen schlecht gewartet sind. Wenn | |
| ein Rohr leckt oder der Hahn tropft, müssen die Frauen warten. Denn der | |
| Klempner darf generell nur ins Haus, wenn auch ein Mann vor Ort ist – der | |
| ist zur Arbeit meist außer Haus, erklärt Juliana Turjman, | |
| Projektkoordinatorin bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit | |
| (GIZ) in Jordanien. „Wenn die Frau alleine zuhause ist, bleibt der Schaden | |
| so lange bestehen, bis ihr Ehemann nach Hause kommt und einen Klempner | |
| holt.“ So lange tropft der Wasserhahn. | |
| Einige Frauen in Jerash wollten das nicht länger hinnehmen. Einen Monat | |
| lang haben sie sich Basiswissen im Klempnern angeeignet: Welche | |
| Sanitärwerkzeuge es gibt oder wie sie Wasserlecks beseitigen. 30 Frauen hat | |
| die GIZ im Jerash Camp ausgebildet und ihnen einen eigenen Werkzeugkasten | |
| geschenkt. Mit Sechskantschlüssel, Schraubenschlüssel und Kneifzange helfen | |
| sie nun auch ihren Nachbarinnen bei Sanitärproblemen. „Die Frauen sind | |
| bekannt in ihrer Nachbarschaft und die Leute wissen, dass zum Beispiel | |
| diese Dame ein Leck reparieren kann“, freut sich Turjman. „Die Klempnerin | |
| kann dann direkt zu ihnen kommen, wenn der Schaden auftritt. Das spart | |
| Wasser sowie Geld und erhöht das Bewusstsein, Wasser zu sparen.“ | |
| Bei den Männern traf das auf viel Widerstand. Eslam Jamous lebt mit drei | |
| Schwestern und zwei Brüdern, 33 und 40 Jahre alt. Der Vater ist gestorben, | |
| daher haben die Brüder das Sagen bei wichtigen Entscheidungen. „Anfangs | |
| waren sie gegen die Idee und haben gesagt: Wie kommst du dazu, darüber | |
| nachzudenken [das Klempnern zu lernen]? Bist du verrückt? Du kannst nicht | |
| einfach Werkzeug nehmen und in die Häuser anderer Leute gehen“, erzählt die | |
| ältere Schwester Mayada Abu Jamous, die als erste in der Familie das | |
| Sanitärhandwerk lernen wollte. | |
| Sie erklärt: „Aufgrund der Traditionen, Normen und Gewohnheiten entscheiden | |
| die Männer. Sie denken, dass sie für die Frauen verantwortlich sind. Sie | |
| wollen nicht, dass wir Frauen zu anderen Männern in die Häuser gehen. Und | |
| sie dachten, dass Frauen nicht in der Lage sind, Installationsarbeiten zu | |
| verrichten – aufgrund ihrer physischen Gegebenheiten.“ | |
| Dabei sind die Frauen die Leidtragenden, wenn es im Haushalt keine | |
| funktionierende Wasserversorgung gibt. In den meisten ländlichen Gebieten | |
| sind sie für den Haushalt verantwortlich – aus Sicht der Männer ist es ihre | |
| Schuld, wenn Teller schmutzig bleiben oder der Boden nicht geputzt ist, | |
| erklärt Mayada Abu Jamous. „In unserer Gesellschaft machen Frauen die | |
| Hausarbeit. Sich Kindererziehung und die Hausarbeit teilen? Fehlanzeige! | |
| Frauen kochen, waschen die Kleidung, baden die Kinder und kümmern sich um | |
| alles, was Wasser benötigt. Sie sind für das Haus verantwortlich“ und ihre | |
| Schwester fügt hinzu: „Ein Haus ohne Wasser ist nichts.“ | |
| Die Frauen benötigen dringend Wasser zur Hygiene, wenn sie [3][ihre | |
| Monatsblutung haben] oder schwanger sind. „In den Sommermonaten ist es | |
| besonders schlimm, da bekommen wir manchmal nur einmal alle zwei Monate | |
| Wasser. Das ist eine große Herausforderung für die Körperpflege“, sagt die | |
| 27-jährige Eslam Abu Jamous. | |
| Die Männer verlassen das Haus und gehen zur Arbeit, während Frauen zu Hause | |
| bleiben, um unbezahlte Hausarbeit zu verrichten. Diese Trennung von | |
| öffentlichem und privatem Raum wollten die Männer beibehalten. Sie | |
| fürchteten, dass klempnernde Frauen außerhalb des „geschützten“ Bereiches | |
| des Camps arbeiten gehen. | |
| Die Siedlung in Jerash entstand im Jahr 1968 als Notunterkunft für | |
| palästinensische Geflüchtete. Mittlerweile leben auf engstem Raum | |
| schätzungsweise 30.000 Menschen nebeneinander. Grünflächen gibt es keine. | |
| Viele der meist zweistöckigen Gebäude sind unverputzt, sie haben Dächer aus | |
| Wellblech, die nur mit Backsteinen beschwert auf den Hauswänden liegen. Aus | |
| manchen tragenden Hausgerüsten ragen noch Stahlstreben in den Himmel. | |
| ## Frauen schließen eine Lücke | |
| An einer Straßenecke vor einer braunen Stahltür stapeln sich auf | |
| Plastikkisten Äpfel und Orangen. Von der Decke hängen Bananen. Neben einem | |
| Pappkarton mit grünen Bohnen, Bündeln von Petersilie und Spinat steht der | |
| 42-jährige Jafar Abdelkarim Jafari. „Die Wassersituation ist schlecht“, | |
| beschwert sich der Gemüsehändler. Sein Laden ist zwar gefliest, vor ihm auf | |
| der Straße aber mischt sich Sand mit Abwasser. Ein Ablauf für Schmutzwasser | |
| vor dem Laden ist provisorisch mit Holzbrettern abgedeckt – sie sind | |
| durchnässt, Schlamm zieht seine Schlieren auf ihnen. | |
| „Alles Wasser, das du hier siehst, ist Abwasser.“ Die Abflüsse verstopfen | |
| regelmäßig und dann überschwemmt das Schmutzwasser die Straßen. „Wir | |
| bekommen nur einmal in der Woche Wasser, und das meiste läuft über die | |
| Straßen ab. Wenn das Wasser von der Stadt kommt, verschmutzt es die ganze | |
| Nachbarschaft. Die Umgebung ist immer nass und schmutzig. Dadurch ist die | |
| Infrastruktur im Camp zerstört.“ | |
| Tatsächlich war es ein Wasserschaden im öffentlichen Raum, der die Abu | |
| Jamous-Brüder schließlich zum Umdenken bewegt hat. „Als die Leute gefragt | |
| haben: Wer behebt das jetzt? Und die Idee aufkam, dass ich es reparieren | |
| kann, da haben sie ihre Meinung geändert“, erinnert sich Mayada Abu Jamous. | |
| Die Brüder sahen, dass das Wissen ihrer Schwestern hilfreich ist für die | |
| Gesellschaft – und dass die Frauen eine wichtige Lücke schließen. | |
| Auch andere Frauen gaben nicht auf, gingen zu den Workshops und bewiesen | |
| ihr Können, erzählt die Koordinatorin der Klempnerinnen in Jerash, Fawzyeh | |
| Al-Moghrabi. „Mit der Zeit, als die Männer sahen, dass die Frauen das | |
| Wissen und die Werkzeuge haben und praktisch anpacken, haben sie es | |
| akzeptiert.“ | |
| Die 30 Installateurinnen beherrschen nicht nur das Grundhandwerk, sondern | |
| wissen auch, wie sie im Haushalt Wasser sparen können. Dieses Wissen tragen | |
| sie weiter: Sie sensibilisieren Nachbar*innen und motivieren sie, ihren | |
| Wasserverbrauch zu reduzieren, sagt GIZ-Koordinatorin Turjman. „Die Frauen | |
| werden zu Botschafterinnen. Sie bringen ihr Wissen über das Wassersparen | |
| und die Wiederverwendung von Abwasser in andere Haushalte und öffentliche | |
| Einrichtungen wie Schulen.“ | |
| Al-Moghrabi berichtet, dass einige ihrer Teilnehmerinnen nun mit | |
| Regenwasser Pflanzen bewässern. „Sie gehen nach Hause und wenden ihr Wissen | |
| praktisch an. Zum Beispiel wissen sie nun, dass eine Dichtung nur einen | |
| halben Dinar kostet. Sonst verlangen die Handwerker zwei, drei Dinar. Nun | |
| können die Frauen die Teile selbst kaufen und einbauen und sparen Geld.“ | |
| Die Frauen bekommen ein Trinkgeld, ein vollständiges Einkommen bringt die | |
| Tätigkeit nicht. Denn dass sie vollberuflich als Klempnerinnen arbeiten, | |
| ist nicht möglich. Die gesellschaftliche Ablehnung ist zu groß. „Viele | |
| Männer sind noch immer störrisch“, gibt Workshopleiterin Al-Moghrabi zu. | |
| Die Männer freuen sich zwar über die zusätzlichen Einnahmen. Doch der | |
| [4][Haushalt bleibt weiterhin die Sache der Frau]. Die haben zusätzlich zu | |
| der Arbeit im Haushalt also noch die weitere Arbeit als „Wasserweise“. Dass | |
| Männer sich im Haushalt betätigen, ist noch in weiter Ferne. Eslam Abu | |
| Jamous denkt trotzdem darüber nach, vollberuflich als Klempnerin tätig zu | |
| sein. Noch studiert sie Mathematik. Doch sollte sie keine Arbeit finden, | |
| möchte sie als Installateurin arbeiten. | |
| Schon 2007 begann die GIZ mit ihren Partnern, Trainings für Geflüchtete und | |
| Jordanierinnen anzubieten. Inzwischen sind in 13 Regionen über 500 Frauen | |
| geschult. Für einige Jordanierinnen hat sich tatsächlich eine | |
| Berufsperspektive als Klempnerinnen ergeben. | |
| ## Gendersensibel und partizipativ | |
| 2012 haben sich ehemalige Trainees zu einer Kooperative | |
| zusammengeschlossen. Die „Water Wise Women Plumbers“ ist juristisch in | |
| Jordanien registriert und bietet Frauen, die in der Sanitärtechnik tätig | |
| sind, eine Rechtsgrundlage für ihre Arbeit. Sechs Frauen sitzen im | |
| Verwaltungsauschuss und sind im Austausch mit den staatlichen | |
| Wasseranbietern. | |
| Sie schulen Frauen im Sanitärbereich, bieten Sanitärdienstleistungen für | |
| private Haushalte und öffentliche Einrichtungen wie Schulen oder Moscheen | |
| an. Kund*innen können online den Wartungsservice beantragen. Dann | |
| installieren die „Wasserweisen“ die in Jordanien beliebten Po-Duschen | |
| („Schattaf“), schließen Waschmaschinen an, warten den Siphon, reinigen | |
| Warmwassererhitzer und Wassertanks auf den Dächern. | |
| Mittlerweile gilt das Projekt als „Best Practice“ in der | |
| Entwicklungszusammenarbeit, weil es gendersensibel und partizipativ ein | |
| grundlegendes globales Problem angeht und zugleich Geflüchteten | |
| Jobperspektiven bietet. Mit dem Programm hat die GIZ einen Nerv getroffen: | |
| Deutsche Journalist*innen berichten über „Powerfrauen mit Rohrzange“ | |
| und jubeln über vollverschleierte Frauen, die Wasserleitungen überprüfen | |
| und in einer Männerdomäne aus Geschlechterrollen ausbrechen. | |
| Die Koordinatorin in Jerash, Fawzyeh Al-Moghrabi, versteht diesen Hype | |
| nicht so ganz. „Die Leute glauben, es gäbe Berufe speziell für Männer, wie | |
| Automechaniker, Landwirt oder eben Sanitärfachkraft. Und wenn Frauen an | |
| Autos schrauben, Felder bestellen oder Rohre reparieren, werden sie als | |
| Ausnahmen dargestellt. Sie kommen damit in die Medien oder Nachrichten und | |
| werden dafür gefeiert“, merkt sie kritisch an. Dabei haben historisch | |
| Frauen die Felder bestellt, erst durch die industrielle Revolution wurden | |
| sie in die private Sphäre gedrängt. | |
| Doch abseits aller Klischees von Frauen, die emanzipiert sind, weil sie | |
| Arbeiten verrichten, die Männern zugeschrieben werden, ist die | |
| Kurzausbildung in Jerash erfolgreich. Sie hat nicht nur den Frauen, sondern | |
| auch den Männern einiges gebracht: Sie sparen Wartungskosten, weil sie | |
| nicht bei jedem tropfenden Hahn einen Klempner rufen müssen. Sie beseitigen | |
| Wasserlecke schneller, weil die Frauen nicht erst auf einen Mann warten | |
| müssen. Sie sparen durch die schnelle Reparatur etwas Geld bei der | |
| monatlichen Wasserrechnung. Sie verschwenden weniger Wasser. Ihre | |
| Hygiene-Situation hat sich etwas verbessert. | |
| Ausgebrochen aus dem Patriarchat sind die Klempnerinnen in Jerash dennoch | |
| nicht. Sie arbeiten nur ab und an, wenn Not an der Frau ist. Sie verdienen | |
| etwas hinzu, finanzielle Unabhängigkeit garantiert der Minijob aber nicht. | |
| Die Männer erwarten weiterhin, dass die Frauen im Haushalt arbeiten, die | |
| Wäsche waschen, putzen, den Abwasch machen, sich um Kinder kümmern. | |
| Dichtungen austauschen oder Wasserhähne montieren bleibt eine Art | |
| Freizeitbeschäftigung. Wenn es eine Frau macht. | |
| 10 Jun 2021 | |
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| Julia Neumann | |
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