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# taz.de -- Für eine neue Mobilität: Deutschland bremst aus
> Die EU will den Schienenverkehr ausbauen. Doch Defizite gibt es nicht nur
> bei den Verbindungen nach Osten, auch andere Projekte stagnieren.
Bild: Fahrradmitnahme in Hochgeschwindigkeitszügen ist lediglich bei ICE-4-Zü…
Die Tourismusbranche in der EU beschäftigt etwa 12 Millionen Menschen und
erwirtschaftet mehr als 12 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Bis auf
wenige Ausnahmen ist das ein mittelständischer Wirtschaftszweig, der
Arbeitsplätze und Einkommen vor Ort schafft. Während der Pandemie war das
für [1][viele Länder und Regionen in Europa ein großes Problem].
Verkehr und Tourismus stehen in einem engen Zusammenhang, wobei der
nachhaltige Tourismus sehr wichtig ist. Naturerbe und Biodiversität müssen
wir als Kapital und nicht als störend für den Tourismus begreifen. Denn wir
wissen, dass der Tourismus auch zerstören kann. Auch deshalb muss er
nachhaltiger und grenzüberschreitend sein. [2][Statt Auto und Flugzeug]
lieber mit der Bahn, weshalb wir europaweit attraktive Verbindungen auch
mit Nachtzügen brauchen. Aber viele Korridore werden in Deutschland
ausgebremst.
Die 1996 vereinbarte Strecke von Nürnberg nach Prag wurde 2002 in
Tschechien saniert und elektrifiziert, in Deutschland 2007 durch einen Bus
ersetzt. Der Korridor von Hamburg über Breslau nach Krakau hat eine Lücke
von 50 Kilometern. Deren Schließung würde lediglich 100 Millionen Euro
kosten, aber die Fahrzeit um 2,5 Stunden verkürzen. Anstatt diese Anbindung
nach Breslau zur Kulturhauptstadt Europas 2016 zu verbessern, wurde sie
wenige Monate vorher stillgelegt. Ähnlich ist es beim Brenner- und beim
Gotthardtunnel, deren Zuläufe frühestens 2040 fertig sein werden.
Diese Defizite gibt es nicht nur bei den Verbindungen nach Osten. Ein
krasses Versäumnis ist auch der Wiederaufbau der in den letzten
Kriegstagen zerstörten Rheinbrücke für die Schienenverbindung von Freiburg
nach Colmar. Wäre es eine Straßenverbindung, sie wäre schon längst
realisiert. Deshalb muss die vordringlichste Aufgabe in Deutschland die
Fertigstellung dieser Projekte sein und nicht der Traum von einer
vierstündigen Zugfahrt von Berlin nach Wien.
## Ohne veränderte Mobilität kein Stopp des Klimawandels
Der Verkehr ist nämlich in der EU für ein Viertel der CO2-Emissionen
verantwortlich. Das ist schon schlimm. Noch schlimmer ist aber die
Entwicklung seit 1990. In der Industrie ist es gelungen, den CO2-Anteil um
32 Prozent zu senken, im Verkehr ist er im selben Zeitraum um 28 Prozent
gestiegen. Der Verkehr frisst also all das doppelt und dreifach auf, was in
anderen Sektoren mit Milliarden unserer Steuergelder erreicht wurde.
Deshalb werden wir ohne eine Veränderung der Mobilität den Klimawandel
nicht stoppen können.
Immer wichtiger wird der Fahrradtourismus, der in Europa seit über zwei
Jahrzehnten mit einer jährlichen Steigerung von mehr als 20 Prozent wächst.
Nach einer Untersuchung der Schweiz gibt ein Radtourist ohne Übernachtung
35 Euro pro Tag aus, ein Autotourist 10 Euro.
Die Badesaison an der Küste dauert vielleicht zwei oder drei Monate, die
[3][Radelsaison dagegen ist drei- bis viermal so lang]. In Finnland,
Schweden, der Schweiz und in Österreich werden die Routen im Winter als
Skilanglauf-Loipen genutzt und im Sommer als Radwege. Die vorhandene
Infrastruktur muss deshalb nicht mehr monatelang geschlossen werden. In
Serbien waren 2008 auf dem Donauradweg insgesamt 500 Radtouristen
unterwegs. Um das zu ändern, schilderte Serbien die Route aus und konnte
nach nur vier Jahren 13.000 Radelnde zählen.
In der [4][EU gibt es 16 EuroVeloRouten], die auf einer Länge von knapp
100.000 Kilometern durch alle Mitgliedstaaten verlaufen. Der 10.000
Kilometer lange Europa-Radweg Eiserner Vorhang, die EuroVeloRoute 13,
verläuft entlang der Westgrenze der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten von
der Barentssee bis zum Schwarzen Meer durch 20 Länder. Das Projekt „Iron
Curtain Trail“ wurde mit großer Mehrheit aus allen Ländern und allen
Fraktionen im Europäischen Parlament beschlossen und ist die einzige
EuroVeloRoute, die 2019 vom Europarat als „Cultural Route“ zertifiziert
wurde. Die Ausschilderung und der fahrradfreundliche Ausbau werden – anders
als in Deutschland – von der EU seit Jahren finanziell unterstützt. Auch
ökonomisch ist das Radeln interessant: In der EU arbeiten in der
Fahrradindustrie etwa eine Million Menschen, das sind mehr als im Bergbau
oder in der Stahlindustrie.
## Von allen Fraktionen im EU-Parlament beschlossen
Der [5][jährliche Umsatz des Fahrradtourismus] liegt bei 44 Milliarden Euro
und ist damit genauso hoch wie der Umsatz der Kreuzfahrtschifffahrt, deren
Schiff nach Berechnung des Nabu täglich aber so viel Schwefeldioxid
ausstößt wie 376 Millionen Autos. Und es gibt einen weiteren Unterschied:
Wenn die Kreuzschifffahrt eine Milliarde für die Erweiterung eines Hafens
braucht, bekommt sie es nahezu problemlos. Aber wenn 10 Millionen Euro für
die Verbesserung oder die Ausschilderung von Radrouten benötigt werden, ist
das meistens ein großes Problem!
Wichtig ist auch die Fahrradmitnahme in allen Zügen, auch in
Hochgeschwindigkeitszügen. Das hatte das Europaparlament mit großer
Mehrheit schon 2008 beschlossen – der Bundesrat sogar einstimmig – aber die
DB wollte das nicht. Anders als Flixbus negiert sie einen boomenden
Kundenstamm.
Obwohl die neuen ICE-4-Züge 8 Fahrradstellplätze haben, werden sie bei der
gegenwärtigen Grundsanierung der ICE-3-Züge nicht berücksichtigt. Deshalb
wird in den nächsten 30 Jahren in 40 Prozent der ICE-Züge keine
Fahrradmitnahme möglich sein. In der Schweiz ist das längst möglich und
auch in Österreich kann man in allen Zügen das Rad mitnehmen.
Mit dem Rad ist man schnell genug, um viel zu sehen, und langsam genug, um
sich das anzuschauen. Zudem kann man Geschichte, Politik, Natur und Kultur
im wahrsten Sinne des Wortes erfahren.
8 Jun 2021
## LINKS
[1] /Aktionswoche-fuer-Verkehrswende/!5776419
[2] /Umfrage-zum-Bau-von-Autobahnen/!5773058
[3] /Statistik-zur-Raddiebstaehlen-in-Berlin/!5771587
[4] /Fahrradfahren-in-Estland/!5767281
[5] /Boom-der-Fahrradwirtschaft/!5746815
## AUTOREN
Michael Cramer
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