# taz.de -- Carmen Jeß' Stück „Klang des Regens“: Der Fisch auf dem Kopf | |
> Zwei Frauen ringen vor der Folie rassistisch motivierter Verbrechen um | |
> generationenübergreifende Verständigung. Eine Theaterpremiere in | |
> Augsburg. | |
Bild: Umklammerter Sandhaufen: Szene aus Caren Jeß' „Klang des Regens“ mit… | |
Über den Fisch auf dem Kopf des Mannes zu lachen fällt den beiden Frauen | |
leicht. Die eine meint einen Heilbutt gesehen zu haben, die andere nur eine | |
ungewöhnliche Frisur. Aber weil jeder die Wahrnehmung der anderen ein wenig | |
verrückt vorkommt, treffen sie sich im Lachen. | |
Es ist die letzte, vom Rest scheinbar völlig losgelöste Szene in [1][Caren | |
Jeß’ Erinnerungsmosaik] „Klang des Regens“, das am Staatstheater Augsburg | |
als erste Nach-Lockdown-Premiere zur Uraufführung kam. Seine üppigen | |
sprachlichen Bilder und nur angerissenen Begegnungen sind Teil einer | |
Stückentwicklung, die bis ins Jahr 2013 zurückreicht, als die | |
Auseinandersetzung der Regisseurin Miriam Ibrahim mit der deutschen | |
Kolonialgeschichte begann. | |
Während des Erarbeitungsprozesses brachten auch die Schauspielerinnen ihre | |
Erfahrungen mit diesem Thema ein beziehungsweise „ihre persönliche | |
(Nicht)-Verarbeitung von Kolonialverbrechen“, wie es im Programmheft heißt. | |
Das Ergebnis ist ein seltsam tastender Abend, der den von Deutschland | |
gerade erst als solchen anerkannten Genozid an den Herero und Nama ein | |
paarmal erwähnt. | |
## Oma Elisabeth ist schon tot | |
Er ist aber eher das Grundrauschen unter den Kommunikationsproblemen, mit | |
denen eine weiße Deutsche und ihre schwarze Enkelin im Stück zu kämpfen | |
haben. Dieser Kampf wird gewissermaßen in der Möglichkeitsform | |
ausgefochten, denn Oma Elisabeth ist eigentlich schon tot und die Zeit für | |
Fragen abgelaufen. | |
Darum springt der Abend ins Imaginäre und durch die Zeiten, zurück zu | |
Situationen, in denen Mina ein Kind war und von der geliebten Oma hätte | |
erfahren können, ob und warum sie im „Dritten Reich“ Menschen wie sie | |
ausgeliefert oder ihnen nur nicht geholfen hat. Es gibt brennende und | |
schmerzhafte Fragen an diesem Abend, aber Antworten gibt es kaum. Weder für | |
Mina, noch für die Zuschauer: Ob die Verbindung zu Namibia über die | |
Tätergeneration der (Ur)-Großeltern oder über Minas nie erwähnten Vater | |
zustande kommt: Man erfährt es nicht. | |
Maya Alban-Zapata und Ute Fiedler spielen zwei Frauen, die einander | |
abtasten wie Caren Jeß’ Worte die schmalen Grenzlinien zwischen zarter | |
Poesie, blumig-nebulös und krassem Kitsch. Zwischen ihnen stehen das | |
Schweigen und die unverarbeiteten Traumata mehrere Generationen. Als hätte | |
man nicht an den eigenen schwer genug zu tragen! | |
## Wütend und klug | |
Die Berliner Schauspielerin Alban-Zapata, die als Kind einer | |
Frankoperuanerin und eines Afroamerikaners in Paris geboren wurde, hat im | |
April [2][anlässlich des Rassismusskandals] am Düsseldorfer Schauspielhaus | |
in der Berliner Zeitung über das Gefühl der Nichtzugehörigkeit gesprochen, | |
über tiefe Verletzungen und die Notwendigkeit, im Gespräch zu bleiben. | |
Wütend und klug war dieses Interview, und diese Wut lässt sie auch in | |
Augsburg aus der Rolle fahren. | |
Wenn es im Stück um die Relativierung von Rassismus oder weißen Privilegien | |
geht, überschlägt sich fast ihre Stimme. In der Rolle hat die Wut eine | |
andere Gestalt: Da reißt Mina den Mund auf zu einem stummen Schrei oder | |
schickt konvulsive Zuckungen durch ihren ganzen Körper. Ibrahims | |
Entscheidung fürs somatische Erzählen, das bei Fiedlers Elisabeth mehr nach | |
innen gekehrt und verkapselt, aber ebenso zwanghaft wirkt, ist inhaltlich | |
plausibel, wenn es um verdrängte Emotionen geht, ästhetisch aber ziemlich | |
manieriert. | |
Zu diesem Gesamteindruck tragen auch Licht und Musik ihren Teil bei. | |
Goldene Reflexe wandern über rostige Stelen, man hört Vogelstimmen und den | |
titelgebenden Regen, der aber ebenso wenig wie das mehrmals einsetzende | |
Gewitter die Atmosphäre klärt. | |
## „Es hilft ja alles nichts!“ | |
Zwischen rötlichen Sandhaufen, die vermutlich für die Wüste Namib stehen, | |
und herumliegenden Stühlen, hinter denen sich Elisabeth gelegentlich | |
verschanzt, passiert einiges, das davon ablenkt, dass im Herzen dieses | |
Abends die Sehnsucht nach Verständigung steht. Ideologie, Scham, Angst und | |
das Gefühl der Machtlosigkeit verhindern sie, was die Oma mit dem | |
resignativ vor sich hingemurmelten „Es hilft ja alles nichts!“ deckelt. | |
Caren Jeß lässt Mina von Gedanken sprechen, die „nicht rauskommen und dann | |
irgendwann, fast unbemerkt, in dir zu Staub verfallen und dann die Ritzen, | |
die Löcher und Fugen in dir verschließen“. Das ist der Ist-Zustand im Stück | |
– und die Sache mit dem Fisch ist die Utopie. | |
Es kennt ja vermutlich jede*r diese Situationen, in denen man partout | |
nicht zusammenfindet und plötzlich passiert etwas vollkommen | |
unvorhergesehenes Absurdes oder Schlimmes und der Bann ist gebrochen. Das | |
gemeinsame Lachen über den Heilbutt auf dem Kopf eines Mannes ist ein | |
solcher Moment. | |
Und dass das Lachen noch etwas verkrampft wirkt, liegt vielleicht an der | |
Verlegenheit der Lachenden, die beide wissen – ob lebendig oder tot –, dass | |
sie sich gerade auf einem Nebengleis ihrer Geschichte befinden und sich auf | |
der Hauptstrecke deshalb die Weichen noch nicht neu stellen. | |
15 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Sabine Leucht | |
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