Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Mühlheimer Theatertage im Netz: Am Schluss ein Tattoo auf der Brust
> Mit einem Porträt-Format im Netz weisen die Mülheimer Theatertage auf ihr
> ausgefallenes Festival „Stücke 2020“ über neue Dramatik hin.
Bild: Sivan Ben Yishai spricht über ihr Stück „LIEBE/Eine argumentative Üb…
Die Hände von [1][Ewald Palmetshofer] sind ständig in Bewegung. Sie drehen
sich und schrauben mit Nachdruck in der Luft, während er mit vorsichtigen
Sätzen von seinem Drama [2][„Die Verlorenen“] erzählt. [3][Caren Jeß] si…
im Schneidersitz und mit Sonnenbrille im trockenen Gras, hinter sich die
Elbe, und erzählt, wie das Wort „Dreckspfau“ eines Tages in ihrer Küche
stand. Und dann nach und nach zu einem Protagonisten wurde, der um das
Recht auf Veränderung in ihrem Drama „Bookpink“ kämpft.
Sivan Ben Yishai erläutert am Ende des Beitrags, der um ihr Drama
[4][„Liebe – eine argumentative Übung“] kreist, wie das Tattoo, das als
schmale Linie ihre Brust kreuzt und den Hals bis zum Kinn hochläuft, mit
dem Abschluss des Dramas zusammenhängt; eine körperliche Verbindung zu dem
Text, der sich immer tiefer in den Körper hineinschraubt.
Seit dem 16. Mai haben die [5][Mülheimer Theatertage] „Stücke 2020“, die
zurzeit nicht stattfinden können, jeden Tag ein filmisches (Selbst-)Porträt
der acht nominierten Dramatiker:innen ins Netz gestellt. Auch deren Texte
kann man dort lesen (noch bis zum 6. Juni). So ist ein kleines und
informatives Format entstanden, das einen guten Blick auf die Sprache der
Dramatiker:innen erlaubt und dabei staunen lässt über das Kunstvolle,
Fantastische, Absurde und Mäandernde in ihren Gebäuden aus Sprache.
## Inszenierungen sind nicht zu sehen
Und weil man die Inszenierungen nicht sehen kann – bis auf winzige
Ausschnitte –, wird der Spielraum, den diese Gebäude den Schauspieler:innen
und Regisseur:innen eröffnen, greifbarer. Zumal beteiligte Künstler:innen
erzählen, wie die Sätze sie triggern, fordern und in ihnen arbeiten.
Normalerweise werden die von einer Jury ausgewählten Stücke als Gastspiele
zu einem Wettbewerb nach Mülheim eingeladen und wird am Ende ein Preis
verliehen, diesmal mit 15.000 Euro dotiert. Dieses Jahr erhält jede/r der
nominierten Autor:innen 3.000 Euro.
„ANGST ANGST ANGST“. Über mehrere Seiten zieht sich das Wort, in
Großbuchstaben geschrieben, in Bonn Parks Horrorstück „Das Deutschland“. …
habe keine Lust gehabt, schon wieder Nazis auf die Bühne zu stellen,
erzählt er, und doch geht es in dem Stück um Prozesse der Ausgrenzung
beziehungsweise Angleichung. Bei einer Vater-Mutter-Sohn-Familie ist ein
Mädchen zu Besuch, das neu „formatiert“ werden soll. Park legt Prozesse von
Normierung frei, wo man sich der eigenen Liberalität sicher war.
## Von Verlusten gezeichnet
Mit Ewald Palmetshofers Stück „Die Verlorenen“ hatte das Residenztheater
München die Spielzeit eröffnet. Die Sprache seiner Figuren erscheint selbst
wie durch eine Mangel gedreht, unter Druck geraten, Verschiebungen
ausgesetzt, zerrissen, von Verlusten getroffen. Und doch, so erzählen die
Schauspieler:innen, entfalten die oft ins Nichts führenden Sätze einen
Rhythmus und eine Musikalität, die zu einem Halt für Schauspieler und Figur
werden.
Die Theater waren schon geschlossen, als die Idee zu diesen filmischen
Porträts, 15 bis 25 Minuten kurz, entstand. Deshalb sind sie meist draußen
zu sehen, in einem Park, unter freiem Himmel; Frühling leuchtet durch die
Härten, die die Stücke durchaus haben. Dass der „Dreckspfau“ in Caren Je�…
Stück „Bookpink“ entstand, als sie eine Zeit lang im Knast gearbeitet
hatte, merkt man ihm durchaus an.
„Dann würd’ ich noch sagen, ich bin auf jeden Fall nicht kriminell, egal,
was die anderen sagen. Korrekter Typ, ja. Ich saß schon dreimal hinter
Gittern, aber die haben mich immer wieder freigelassen, weil ich keine Eier
leg. Halt Pech. Die gehen davon aus, dass ich kriminell bin, hab halt
Raubmord begangen, aber, ey, die verfickte Sau, die mich nicht aus ihrem
Trog fressen lassen wollte, hab ich halt plattgemacht, weil sie ’n
scheißegoistisches Mistvieh war.“ Fast 20 Vögel und mehrere Pflanzen
tauchen in ihrem „dramatischen Kompendium“ auf und doch beschreiben sie
Wirklichkeit.
## Das Ritual der Übergabe
Sivan Ben Yishai, die aus Israel nach Deutschland kam, stellt sich auf
Englisch vor. Mit ihrer Übersetzerin redet sie darüber, wie die Übersetzung
ihrer Texte ins Deutsche ein weiterer produktiver Schritt ist. In
Spiralbewegungen kreist sie ein Thema ein. Vor einer Premiere, bekennt sie,
würde sie den Text am liebsten einmal allein im leeren Theater sprechen als
ein Ritual der Übergabe.
Und sie zitiert aus „Liebe – eine argumentative Übung“ unter freiem Himm…
Olivia, die Freundin von Popeye: „Sie würd’s jetzt nicht zugeben, aber auf
eine Art spürte sie, dass es keine Zeit für Feminismus gibt, wenn jemand
dir eine Liebesgeste schenkt – kämpf für Feminismus, wenn keiner dich
umarmt, aber wenn, zum Beispiel nach dem Sex, dein Partner seine Arme
öffnet und sagt, „komm her, Kleine“, ist das nicht der Moment, ihm eine
Lektion in Gleichberechtigung und Genderrollen zu erteilen“, und da ahnt
man schon, mit welchen Diskursen sie sich in ihrem Stück anlegt.
Neugierig, die Stücke der acht noch bis Sonntag präsentierten
Dramatiker:innen dann auch in Inszenierungen zu sehen, in den Theatern,
macht diese Form auf jeden Fall. Zu Hause, am Bildschirm, das ist nur ein
kleiner Happen, der aber gut für die neue Dramatik wirbt.
26 May 2020
## LINKS
[1] /Neuer-Intendant-Residenztheater-Muenchen/!5638843
[2] https://vimeo.com/420611173
[3] https://vimeo.com/420610625
[4] https://vimeo.com/419858839
[5] /Theater-beginnt-online-neu/!5680104
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Theater
Theatertage Mülheim
Porträtfilm
Schwerpunkt Rassismus
taz.gazete
Theater
Theater
Theater
Theater Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Carmen Jeß' Stück „Klang des Regens“: Der Fisch auf dem Kopf
Zwei Frauen ringen vor der Folie rassistisch motivierter Verbrechen um
generationenübergreifende Verständigung. Eine Theaterpremiere in Augsburg.
Porträt der Dramatikerin Caren Jeß: Im Abflug erwischt
Durch die Stücke der Dramatikerin Caren Jeß wuseln Vögel, eine Katze und
Ferkel. Sie helfen, den Menschen auszuhalten.
Dramatiker Bonn Park: Ein Star, der jung bleiben muss
Bonn Park gewinnt seit Jahren mit seinen Stücken Preise und wird doch immer
noch als Nachwuchs gehandelt. Aus dieser Schublade muss er raus.
Theaterfestival im Netz: Die Stimme zurückerhalten
Das Kölner Sommerblut-Festival findet dieses Jahr online statt. Mit
berührenden Begegnungen mit Seniorinnen und Recherchen über rechte
Netzwerke.
Online-Eröffnungsrede der Wiener Festwochen: Dieser Wahnsinn muss aufhören
Wir dokumentieren die Rede von Kay Sara, notiert von Milo Rau, mit der die
Wiener Festwochen starten. Wegen Corona gibt es das Kunstfestival nur im
Netz.
Berliner Bühnen in der Corona-Krise: Arbeit hinter geschlossenen Türen
An Vorstellungen, was inhaltlich notwendig ist, mangelt es den Theatern in
der Corona-Schließzeit nicht. Wie sich drei Häuser in Berlin positionieren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.