| # taz.de -- „Gaia googelt nicht“ am Deutschen Theater: Sie schöpft und sch… | |
| > Nele Stuhler erzählt am Deutschen Theater mit „Gaia googelt nicht“ den | |
| > Schöpfungsmythos nach. Überladen ist es nicht, nur bisweilen überdreht. | |
| Bild: Gaia (Maren Eggert) hätte lieber alleiniges Schöpfungsrecht behalten | |
| Am Anfang war das Nichts. Und dann – war da was. Wie genau der Ursprung der | |
| Welt zustande kam, das weiß in „Gaia googelt nicht“, das am Mittwoch im | |
| Deutschen Theater uraufgeführt wurde, niemand mehr. Fest steht nur, wer | |
| verantwortlich ist für Himmel, Meer und Patriarchat: Gaia – Mutter, Erde, | |
| Schöpferin –, die als selbstbewusste Urgöttin von Maren Eggert gespielt | |
| wird. | |
| Nach der Schaffung von Tag und Nacht schöpft Gaia immer weiter, Hilfe | |
| braucht und will sie keine. Sie schöpft und schöpft, manchmal sogar aus | |
| Versehen, und die Welt ist eine friedliche, bis eines Tages etwas Seltsames | |
| passiert: Gaia schöpft die Scham. Denn mit Urana, der Himmel (alle Dinge | |
| und Wesen sind in Nele Stuhlers Ursprungsgeschichte weiblich dekliniert), | |
| geht eine Veränderung durch. Ihr wächst ein Phallus, aus Urana wird Uranos. | |
| Obwohl Gaia und ihre Gehilfen, Sonne und Mond, der entsetzten Urana | |
| versichern, dass dieser kleine Unterschied nichts verändere, sind alle | |
| sichtlich verstört. Gaia entscheidet: Von nun an teilt sich die Welt in Er | |
| und Sie. | |
| Den Gottheiten der ersten Stunde haftet etwas sehr Kindliches an, im | |
| Gegensatz zum abgehalfterten Erzähler (Harald Baumgartner), der meist vom | |
| Rand der Bühne aus das Geschehen kommentiert. Wer dieser Erzähler | |
| eigentlich ist, ist nicht ganz klar, er kommt zunächst Diogenes-gleich aus | |
| einer Tonne gekrochen, stellt sich später aber als der Mythos selbst vor. | |
| ## Faszination für antike Mythen | |
| Stuhler hat ein Faible für antike Stoffe, mit dem Gaia-Mythos befasste sie | |
| sich schon mehrfach. [1][Auch ihr Debütroman „Keine Ahnung“, der in diesem | |
| Jahr erschienen ist, dreht sich um Kassandra, die antike Seherin.] Die | |
| Sprache ist dabei im Buch wie auf der Bühne dieselbe; laufende | |
| Wiederholungen, Albernheiten bis fast zum Klamauk. | |
| Höhepunkt der zuweilen etwas abgedrehten Story ist der Wutausbruch des | |
| Uranus’, der, mittlerweile als Gaias Mann, den Haushalt schmeißt und sich | |
| um die Kinder kümmert – und der Titanen sind es immerhin zwölf. „Madame | |
| schöpft und schöpft und schöpft“, schimpft er, seine Care-Arbeit erhalte | |
| dabei keinerlei Anerkennung. Männlichkeit, so scheint es zumindest am | |
| Anfang der Welt, ist eher ein Witz. | |
| „Ich weiß immer noch nicht, ob das eine gute Idee war mit der Karyogamie“, | |
| seufzt Gaia, denn mit der geschlechtlichen Fortpflanzung hat sie ihre | |
| Schöpfungshoheit abgegeben. Problematisch wird es allerdings erst, wenn der | |
| selbstherrliche Zeus auftaucht. | |
| Sein Titanenvater Kronos hatte auch schon Probleme mit der Männlichkeit und | |
| wollte den inzestuösen „Beischlaf mit der Mutti“ ohnehin eigentlich nicht. | |
| Da macht es nichts, dass gemäß der Überlieferung Zeus doch eigentlich nicht | |
| Gaia, sondern Kronos’ Schwester Rhea zur Mutter hat. Ist ja ohnehin alles | |
| ein Mythos. | |
| ## Femininer Machtverlust | |
| „Gaia googelt nicht“ ist eine Komödie und nebenbei als leichtfüßige Krit… | |
| am Geschlechtersystem zu verstehen, thematisiert sie doch letztlich den | |
| femininen Machtverlust. Die Geschichte einer überarbeiteten Schöpfermutter | |
| wirkt dabei auch nicht unglaubwürdiger als die Mär einer mal eben in sieben | |
| Tagen entstandenen Welt. | |
| Doch warum hat Gaia das Patriarchat geschaffen?, fragen Sonne und Mond. | |
| „Weil ich alles geschaffen habe“, sagt Gaia. Einen göttlichen Grund für d… | |
| Herrschaftsordnung gibt es nämlich nicht. Am Anfang war Chaos – und unter | |
| dessen vielen Nachkommen ist eben auch Tyche, die Zufallsgöttin. Zeus, der | |
| Gaia irgendwie vom Thron stößt, überzeugt durch gar keine besonderen | |
| Fähigkeiten. Eigentlich ist er einfach nur überheblich. | |
| Lose Stränge gibt es, doch die große Gesellschaftskritik fehlt in Stuhlers | |
| Stück, was das Schauvergnügen nicht mindert und „Gaia googelt nicht“ in | |
| angenehmen Gegensatz zu Werken wie dem ebenfalls gerade im DT laufenden | |
| „When There’s Nothing Left To Burn You Have To Set Yourself On Fire“ (Chr… | |
| Michalski) stellt, das so ziemlich alle Probleme der Menschheit zu | |
| verhandeln sucht. | |
| Überladen ist Stuhlers Stück nicht, nur zuweilen überdreht. Das muss man | |
| mögen. Wer „Gaia googelt nicht“ genießen will, muss Spaß an Unsinn haben. | |
| 11 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julia Hubernagel | |
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