# taz.de -- Vatikan gegen Antidiskriminierungsgesetz: Der Anti-Anti-Papst | |
> Ein neues Gesetz gegen homo- und transfeindliche Hassrede in Italien? | |
> Nicht mit dem Papst. Der greift doch glatt in die laufende Gesetzgebung | |
> ein. | |
Bild: Bei der Arbeit: der linksdemokratische Abgeordnete Alessandro Zan, der da… | |
Eigentlich sollte der Dienstag ein wunderschöner Tag für [1][Italiens | |
Ministerpräsident Mario Draghi] werden. Schließlich war | |
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Rom gereist, um das | |
grüne Licht der Union für Italiens Wiederaufbauplan in Höhe von 191 | |
Milliarden Euro zu verkünden. | |
Doch stahlen andere Draghi und von der Leyen die Schau: die Prälaten des | |
Vatikans. Sie stellten am selben Tag die Ampel für Italiens Regierung auf | |
Rot, weil sie erbost sind über das neue Antidiskriminierungsgesetz, das | |
gerade im Senat verhandelt wird. Zumindest einen Erfolg errang der Vatikan | |
sofort: Am Mittwoch beschäftigten sich alle Zeitungen oft seitenlang mit | |
der Attacke der Kurie. | |
Die reichte – das hat es noch nie gegeben – [2][formalen Protest bei der | |
Regierung ein], eine „Verbalnote“ ans Außenministerium. Angeblich sei das | |
Konkordat zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl verletzt, dessen letzte | |
Version von 1984 stammt. Dort, so die Protestnote, sei die Freiheit der | |
Kirche in ihrer Verkündigung ebenso geschützt wie die Lehrfreiheit an den | |
katholischen Schulen des Landes. | |
Diese Freiheit sei nun durch das gerade im Parlament beratene Gesetz in | |
Gefahr. Es sieht vor, jene strafverschärfenden Normen, die bisher bei | |
Hasstiraden oder gewalttätigen Angriffen aus religiösen oder auch | |
ethnischen Motiven greifen, auch auf verbale oder physische Angriffe auf | |
Schwule, Lesben, Transsexuelle und Menschen mit Behinderung auszudehnen. | |
Zudem soll mit dem Gesetzesvorschlag der 17. Mai zum Festtag gegen die | |
Homo- und Transphobie erhoben werden, der auch an den Schulen begangen | |
werden soll. | |
## Die Franziskus-Ruhe ist vorbei | |
Dass das dem traditionellen Flügel der katholischen Kirche nicht schmeckt, | |
liegt auf der Hand. Trotzdem rieben sich viele in Italien angesichts des | |
offiziellen Vatikanprotests die Augen. Einen solchen, nie da gewesenen | |
Schritt hätten sie nicht erwartet, [3][nicht unter Papst Franziskus]. Hatte | |
der nicht bis dahin ungekannt versöhnliche Töne gegenüber Homosexuellen | |
angeschlagen? Hatte er nicht explizit verkündet, auch sie hätten „das | |
Recht, in einer Familie zu leben“, und wegen seiner sexuellen Orientierung | |
dürfe niemand aus der Kirche „hinausgeworfen oder unglücklich gemacht | |
werden“? | |
In der Tat schienen gerade in Italien neue Zeiten eingekehrt, mit einer | |
Kirche, die auf die alte Militanz gegen unliebsame Reformen verzichtete. In | |
den Jahren 1974 und 1981 hatte sie Referenden gegen die Einführung der | |
Ehescheidung und die Liberalisierung der Abtreibung angestrengt (die sie | |
krachend verlor). Und noch 2007 hatte der Klerus auch mit | |
Massendemonstrationen zum Beispiel gegen das damals geplante Gesetz für | |
eingetragene Lebenspartnerschaften getrommelt, hatte den es verfechtenden | |
Politiker*innen Höllenstrafen angedroht, mit Erfolg: Das Gesetz kam | |
erst 2016. | |
Doch seit Franziskus am Ruder war, herrschte erst mal Ruhe. Die | |
italienische Bischofskonferenz verzichtete darauf, mit lauten Tönen | |
Einfluss ausüben zu wollen. Jetzt ist es gleich der Vatikan selbst, der in | |
ein laufendes italienisches Gesetzgebungsverfahren eingreift, mit dem | |
Antrag an die Regierung, sie solle gefälligst für eine „Modulierung“ des | |
Gesetzentwurfs im Sinne der Kirche sorgen – auch wenn die Regierung keine | |
Weisungsvollmacht gegenüber dem Parlament hat. | |
Dennoch befindet die Zeitung Il Fatto Quotidiano, angesichts dieser | |
Grätsche „mit gestrecktem Bein“ sei das Antidiskriminierungsgesetz | |
„klinisch tot“: Auch in der gemäßigt linken Partito Democratico und bei d… | |
Fünf Sternen dürften jetzt die Bauchschmerzen zu groß werden. | |
Oder ist es doch anders? Die Tageszeitung La Repubblica vermutet, der Papst | |
habe die Verbalnote angeordnet, um die heikle Frage zur Chefsache zu machen | |
und radikalere Stimmen in der Kirche zu bremsen, Bischöfe zum Beispiel, die | |
italienischen Politiker*innen bei Zustimmung zu dem Gesetz mit der | |
Exkommunizierung drohen könnten. | |
Am Ende werde der Gesetzentwurf im Parlament „zum Totem“ werden und noch | |
mehr Zustimmung als bisher erhalten, spekuliert La Repubblica. Am Ende, so | |
hofft die Zeitung, werde die Protestnote des Vatikans nicht für „effektive | |
Einmischung“, sondern für „effektive Impotenz“ stehen. | |
23 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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