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# taz.de -- Uni Hannover streicht Professur: Inklusion ausgebremst
> An der Universität Hannover wird die Professur für Inklusive
> Schulentwicklung gestrichen. Dabei sollte der Bereich eigentlich
> ausgebaut werden.
Bild: Inklusion braucht ausgebildetes Personal: Lehrkräfte an der Otfried-Preu…
Osnabrück taz | Wer forscht und lehrt, braucht Arbeitsruhe. Rolf Werning
forscht und lehrt. Aber mit der Ruhe ist es für ihn vorbei. Seine Professur
für Inklusive Schulentwicklung am [1][Institut für Sonderpädagogik (IFS)]
der Leibniz Universität Hannover ist seit Monaten Anlass harter Kämpfe.
Mit Werning selbst hat dieser Streit gar nichts zu tun. Es geht um
Haushaltsentscheidungen der Landesregierung: Viele Millionen Euro müssen
Niedersachsens Hochschulen pro Jahr einsparen, auch die Universität
Hannover ist betroffen. Eine der Folgen: Ende 2020 erfuhr das IFS, dass das
Präsidium der Universität mit Zustimmung des Senats die erst vier Jahre
alte Professur streicht, spätestens mit Wernings Dienstzeitende 2027. Geht
Werning früher, ist sie früher weg. 24 Professuren fallen in Hannover dem
Rotstift zum Opfer.
„Ich versuche, das nicht zu nah an mich rankommen zu lassen“, sagt Werning
der taz. „Aber demotivierend ist das natürlich schon.“ Vor allem, weil es
so widersinnig ist. Die „Entwicklungsplanung 2023“ der Universität sieht
nämlich das Gegenteil vor: eine Stärkung des Bereichs Inklusive Bildung und
Schulentwicklung als „zunehmend eigenständiges Forschungsprofil“ im Zuge
des „Ausbaus der Sonderpädagogik“. Jetzt aber fällt eine Professur weg, d…
es in ganz Niedersachsen mit diesem Schwerpunkt kein zweites Mal gibt.
„Da ist viel Geld reingeflossen“, sagt Werning konsterniert. „Wir sollten
den Bereich stark ausbauen, und das haben wir auch getan. Die
Studierendenzahl hat sich verdoppelt. Und jetzt so etwas – das ist doch
paradox.“ Was ihn besonders irritiert: „Schriftlich hat uns das Präsidium
dazu noch gar nichts Schlüssiges reingereicht. Und gesprochen hat mit uns
vorher auch keiner.“
Jetzt lastet viel Druck auf Werning. Druck, auf jeden Fall bis zur
Pensionierung zu bleiben. Druck, nicht zu wissen, wie lange noch
Doktoranden angenommen werden können, wie lange es noch Sinn hat,
Forschungsprojekte zu beginnen. Dass ihm die Arbeit trotzdem noch Spaß
macht, hat auch mit der breiten Solidarität zu tun, die er erfährt.
Die Einsparung sei „unter dem steigenden Bedarf nach sonder- und
inklusionspädagogischer Expertise in der Schulpraxis in keinem Fall
nachvollziehbar“, schreibt Petra Wontorra, Niedersachsens Landesbeauftragte
für Menschen mit Behinderungen, Anfang Februar in einem offenen Brief.
Adressaten sind nicht zuletzt Uni-Präsident Volker Epping, Kultusminister
Grant Hendrik Tonne (SPD) und Björn Thümler (CDU), Niedersachsens Minister
für Wissenschaft und Kultur.
Es gab Landtagsanfragen. Es gab Pressekonferenzen. Das Institut für
Sonderpädagogik der Universität Oldenburg hat sich solidarisiert, der
Landeselternrat Niedersachsen. Viele Bildungsverbände haben mit allem
Nachdruck protestiert, vom Grundschulverband, Landesgruppe Niedersachsen,
bis zum Verband Niedersächsischer Lehrkräfte. Das IFS sucht mit einer
[2][Widerstands-Onlinepräsenz] die Öffentlichkeit. Ein riesiges Banner der
Fachschaft hängt an der Fassade des IFS: „Lehrer*innenbildung braucht
Inklusion“.
Auch eine [3][Petition auf der Kampagnenplattform change. org] für den
Erhalt der Professur, aus dem Mittelbau des IFS an Thümler gerichtet,
entfaltet Wirkung: Tausende haben unterschrieben. „Die Aufgabe dieses für
Inklusion zentralen Fachgebiets wäre ein fatales bildungspolitisches
Signal“, heißt es darin.
Für Marc Thielen, Professor für Berufsorientierung in inklusiven Kontexten
am IFS, ist es schwer, ein Gegenüber in der Debatte zu finden: „Land und
Präsidium weisen sich gegenseitig die Schuld zu. Die Universität sagt: ,Das
Land zwingt uns dazu.' Das Land sagt: ,Wo die Universität spart, ist ihr
selbst überlassen.'“ Das mache die Sache „ungeheuer schwierig“.
Thielen ist Bitterkeit anzumerken: „,Inklusion ist toll', sagen immer alle.
Aber sobald sie etwas kostet, fliegt sie von der Agenda.“ Dabei ist
Inklusion nicht einfach eine Kann-Aufgabe. Sie ist im Grundgesetz
verankert. Und in Deutschland gilt die UN-Behindertenrechtskonvention. Sie
schließt das Recht auf inklusive Beschulung ein.
## Falsches Signal
„Der geplante Wegfall ist in jeder Hinsicht ein Fehler“, sagt Heidi
Reichinnek, Landesvorsitzende der niedersächsischen Linken. „Inklusion ist
ein Menschenrecht, doch Bund und Länder stehen hier immer noch auf der
Bremse.“ Der Wegfall der Professur schwäche den Bildungsstandort
Niedersachsen. „Welches Signal soll von so einer Entscheidung ausgehen? Der
Lehrstuhl muss vielmehr ausgebaut statt weggekürzt werden“, sagt
Reichinnek.
Eine Chance gibt es noch: Der Senat prüft die Streichliste einmal pro Jahr.
„Vielleicht beeinflusst das die Entscheidung ja noch“, hofft Rolf Werning.
„Aber dazu braucht es weiteren Druck der Öffentlichkeit.“
27 May 2021
## LINKS
[1] https://www.ifs.uni-hannover.de/de/abteilungen/allgemeine-behindertenpaedag…
[2] https://www.ifs.uni-hannover.de/de/erhaltung-professur-inklusive-schulentwi…
[3] https://www.change.org/p/nieders%C3%A4chsisches-ministerium-f%C3%BCr-wissen…
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Leibniz Universität Hannover
Inklusion
Schule
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