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# taz.de -- Petition von Menschen mit Behinderung: Gegen den Prüfeifer der Kas…
> Menschen mit Behinderung bleiben nötige Hilfsmittel oft verwehrt.
> Aktivist*innen wollen das ändern – und wenden sich nun an den
> Bundestag.
Bild: Sind Menschen mit Behinderung tatsächlich gleichberechtigt? Die Aktivist…
Berlin taz | „Würde man die UN-Behindertenrechtskonvention ernst nehmen,
dürfte es die Probleme gar nicht mehr geben“, sagt Carmen Lechleuthner.
[1][Kinder mit schweren Behinderungen] würden selbstverständlich das
bekommen, was sie nach ärztlichem Attest benötigen: Rollstühle, spezielle
Betten oder Laufhilfen, Therapien – kurz, alles Nötige, „dass Kinder mit
Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern alle Menschenrechte und
Grundfreiheiten in vollem Umfang genießen sollen“. So heißt es in der
[2][UN-Konvention, die Berlin 2009 ratifiziert hat.]
Es ist aber nicht selbstverständlich. Und so fahren Carmen und Thomas
Lechleuthner am Mittwoch mit Unterstützern nach Berlin, um dem Bundestag
eine Petition zu übergeben. Überschrift: „Stoppt die Blockade der
Krankenkasse bei der Versorgung schwerstbehinderter Kinder/Erwachsener“.
Auf alten Rollstühlen sollen die über 54.000 Unterschriften, die seit
November zusammengekommen sind, dem Petitionsausschuss überreicht werden.
Dabei könnten die Lechleuthners aus Pfaffenhofen in Oberbayern auch gleich
die vierzig Gutachten präsentieren, die sie inzwischen über ihr viertes
Kind, Korbinian, abgeheftet haben. Gutachten, welche die Notwendigkeit der
Hilfsmittel immer wieder in Zweifel zogen, die Korbinian von seinen Ärzten
verschrieben bekam. Korbinian wurde 2017 mit schweren Hirnschäden geboren.
Doch anders als bei Rezepten müssen Verordnungen für Hilfsmittel – bei
Korbinian etwa für einen Autokindersitz, einen speziellen Stuhl für zu
Hause und einen für die Kita – von den Kassen genehmigt werden. Das ist
verbunden mit einer Prüfung, ob das schwerbehinderte Kind die Mittel
wirklich braucht.
## Unterstützung von Verbänden, Ärzten, Kliniken
Die Krankenkassen pochen dabei auf das „Wirtschaftlichkeitsgebot“, wonach
die Leistungen „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein“ müssen.
Die Kassen beauftragen auch Gutachter des medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung (MDK), um das zu prüfen. Die entscheiden oft nur nach
Aktenlage. Bei Korbinian hätten schon Allgemeinmediziner Hilfsmittel
abgelehnt, die Fachärzte für geboten hielten, erzählt Carmen Lechleuthner.
Die Lebensferne und Bürokratie, die aus solcher Praxis spricht, raubt
Eltern von Kindern mit Behinderung Zeit und Kraft. Die Lechleuthners selbst
schaffen das – in Widerspruch zu gehen oder einen Anwalt einzuschalten.
Andere Familien haben resigniert. „Unser Sohn ist schwer mehrfachbehindert,
14 Jahre alt“, erzählt eine Mutter, die die Petition unterstützt.
Widersprüche? Klageverfahren? „Das können wir nicht mehr durchstehen.“
„Es ist ein systemisches Problem“, konstatiert Carmen Lechleuthner. Die
Gesetzgebung müsse sich ändern. „Natürlich würde das tiefgreifende
Einschnitte ins Sozialgesetzbuch bedeuten.“ Aber was ist heute daran
wirtschaftlich, wenn über Monate Ärzte, Sachbearbeiter, Gutachter,
Sozialrichter und Anwälte mit der Frage beschäftigt werden, ob ein Kind
einen Therapiestuhl braucht oder nicht?
Unterstützung bekommen die Lechleuthners von Behindertenverbänden, Ärzten,
Kliniken. Und von der Politik? Corinna Rüffer von den Grünen hat im
Dezember 2020 in den Bundestag einen Antrag der Fraktion eingebracht, den
Zugang zur Teilhabe besser zu regeln.
Die SPD-Patientenbeauftragte im Bundestag unterstützt die Initiative ebenso
wie Mitglieder der FDP-Fraktion. Vonseiten der Union sei die Zustimmung
verhaltener, räumt Carmen Lechleuthner ein. Doch auch dort setzt sie auf
Einsicht. „Denn wir brauchen keine UN-Behindertenrechtskonvention, wenn sie
nicht umgesetzt wird.“
19 May 2021
## LINKS
[1] /Leben-mit-Behinderung/!t5032186
[2] /UN-Behindertenrechtskonvention/!5579449
## AUTOREN
Thomas Gerlach
## TAGS
Leben mit Behinderung
Petition
Krankenkassen
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