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# taz.de -- PiS-Partei und ihre Skandale: Der Polen liebste Schurken
> Die Regierungspartei PiS inszeniert sich als Vertreterin der „wahren
> Polen“. Deshalb können ihr haarsträubendste Skandale nichts anhaben.
Bild: Skandale ohne Folgen? Daniel Obajtek, Chef des staatlich kontrollierten M…
Warschau taz | Polens [1][nationalpopulistischer Regierungspartei Recht und
Gerechtigkeit (PiS)] scheint das Wasser bis zum Hals zu stehen: ein Skandal
jagt den anderen – Korruption, Vetternwirtschaft, Betrug.
Nun kommt auch noch ein Abhörskandal im Zusammenhang mit Daniel Obajtek
hinzu, dem Chef des staatlich kontrollierten Mineralölkonzerns Orlen. Auch
tauchen ständig neue Vorwürfe gegen ihn auf: So soll er als Dorfschulze in
den Jahren 2006 bis 2015 nicht nur nebenbei (und illegal) eine große Firma
gemanagt und mit dem Chef einer Gruppe organisierter Kriminalität
gemeinsame Sache gemacht haben, sondern auch ein Vermögen in Millionenhöhe
angehäuft haben.
Borys Budka aber, der Chef der oppositionellen Bürgerkoalition (PO), zuckt
nur hilflos mit den Achseln. In einem Interview mit der linksliberalen
Tageszeitung Gazeta Wyborcza stotterte der Politiker vor Kurzem: „Ja, was
können wir tun? Wie können wir daraus Nutzen ziehen?“ Viele Beobachter der
politischen Szene fragen sich: „Wieso machen die vielen PiS-Skandale auf
die PiS-WählerInnen so gar keinen Eindruck? Wieso bleibt die
Zustimmungsrate auf dem hohen Niveau von 35 bis 40 Prozent?“
Die liberale Vorgängerregierung war wegen der „Kellner“-Affäre abgewählt
worden. Damals empörten sich alle über die ordinäre Ausdrucksweise der
PO-Politiker und Politikerinnen beim teuren Lunch auf Staatskosten.
## Tintenfisch statt Schweinekoteletts
Doch der Orlen-Chef flucht in den abgehörten Telefonaten dermaßen vulgär,
dass seine Verteidiger sich genötigt sahen, dafür das Tourettesyndrom
verantwortlich zu machen. Angeblich leide der Manager an einem „Tick“, der
ihn zwangsweise Flüche und Schimpfwörter ausstoßen lasse. Erstaunlich nur,
dass ein Mann, der in einem zweistündigen Telefonat 253 Mal „Hure“ und 55
Mal „Schwanz“ schimpft, der 42 Mal verbal „auf etwas,scheißen' und 36 Mal
„ficken“ muss, es bis in die Chefetage des größten Konzerns Polens
geschafft hat.
Vor Jahren galt es als Skandal, dass ein PO-Minister bei seiner
öffentlichen Vermögenserklärung „vergessen“ hatte, eine teure Uhr
anzugeben. Heute hingegen löst weder die beachtliche Vermögensanhäufung
eines ehemaligen Dorfschulzen mehr als ein Stirnrunzeln bei den PiS-Wählern
aus, noch auch dass Fallenlassen von Betrugs- und Bestechungsvorwürfen
seitens der (PiS-)Staatsanwaltschaft, nachdem Obajtek der PiS beigetreten
war.
Eine Erklärung für dieses Phänomen schlägt Jacek Kucharczyk vor, der Chef
des Warschauer Instituts für öffentliche Angelegenheiten. Der PiS sei es
über die Jahre gelungen, der eigenen Wählerschaft ein starkes „Wir, die
wahren Polen“-Gefühl zu vermitteln. Die meisten PiS-Wähler würden nicht
mehr darüber nachdenken, wem sie ihre Stimme geben sollten, da die Wahl der
PiS für sie so offensichtlich sei wie das Gefühl, ein Pole oder eine Polin
zu sein.
„Selbst wenn sie hören, dass der Liebling des PiS-Parteichefs […] betrügt,
die Staatskasse bestiehlt und obendrein noch flucht, können sie es
akzeptieren, da er ‚einer von uns‘ ist. So mag Obajtek ein Schurke sein,
aber er ist unser (PiS) Schurke.“
Bei der „Kellner-Abhör-Affäre“ 2015 hätten die PiS-Wähler dem damaligen
Außenminister Radoslaw Sikorski vor allem übelgenommen, „dass er
Tintenfisch aß und nicht Schweinekoteletts“. Dies zeigte, dass er nicht
„einer der unsrigen“ war. Statt nun aber als Opposition die vielen [2][von
der PiS als „Nicht-Wir“], „Kaste“ oder „Kommunisten“ diffamierte Po…
Polinnen um sich zu scharen und eine Gegenkraft aufzubauen, will der
PO-Parteichef die drei Jahre bis zu den nächsten Wahlen einfach nur
abwarten. Denn, so bekennt er offen: „Sorry, ich bin keine Revolutionär“.
18 May 2021
## LINKS
[1] /Demokratieabbau-in-Polen/!5769098
[2] /Abtreibungsverbot-in-Polen/!5743969
## AUTOREN
Gabriele Lesser
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Polen
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