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# taz.de -- Rechtsstaatlichkeit in Polen: Abschreckung für Richter:innen
> Die polnische Disziplinarkammer verstößt gegen EU-Recht. Zu diesem
> Ergebnis kommt ein Gutachter des Europäischen Gerichtshofes.
Bild: Protest vor dem Obersten Gericht in Warschau gegen die Justizreform in Po…
Freiburg taz | Aufgaben und Zusammensetzung der Disziplinarkammer am
polnischen Obersten Gericht sind mit dem Prinzip einer unabhängigen Justiz
nicht vereinbar. Zu diesem Schluss ist der unabhängige Generalantwalt
Ewgeni Tanchew in einem Verfahren am Europäischen Gerichtshof (EuGH)
gekommen und hat die Verurteilung Polens empfohlen.
Seit 2015 regiert in Polen die nationalkonservative Partei PiS und
versucht, die bis dahin unabhängige Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen.
Eines der wichtigsten Instrumente ist die Disziplinarkammer am Obersten
Gericht, die 2017 eingerichtet wurde. Sie ist direkt zuständig für
Disziplinarverfahren gegen Richter:innen an diesem Gericht und als
Berufungsinstanz für Disziplinarverfahren gegen alle übrigen polnischen
Richter:innen.
Die EU-Kommission leitete im Oktober 2019 wegen dieser Disziplinarkammer
ein [1][Vertragsverletzungsverfahren] gegen Polen ein. Zum einen sei ihre
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet, da die
Richter:innen vom Landesjustizrat ausgewählt wurden, der seinerseits
unter Kontrolle der PiS-geführten Regierungsmehrheit steht. Außerdem sei es
auch bedenklich, dass der Inhalt der Rechtsprechung und die Vorlage einer
Sache zum EuGH ein Disziplinarverfahren gegen die Richter:innen auslösen
kann.
In diesem Verfahren nahm nun der unabhängige Generalanwalt Ewgeni Tanchew
Stellung und unterstützte die [2][EU-Kommission]. Schon allein die
Möglichkeit, dass Richter wegen des Inhalts ihrer Gerichtsentscheidungen
mit Disziplinarmaßnahmen überzogen werden könnten, habe zweifellos
abschreckende Wirkung und sei mit dem Grundsatz der richterlichen
Unabhängigkeit nicht vereinbar. Aus diesem und anderen Gründen empfahl
Tanchew daher eine Verurteilung Polens. Der EuGH wird in einigen Wochen
entscheiden. (C-791/19)
## Weiteres Verfahren
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Disziplinarkammer bereits
Gegenstand eines anderen EuGH-Verfahrens war. Im November 2019 entschied
der EuGH auf Anfrage des polnischen Obersten Gerichts, dass es gegen
EU-Recht verstößt, wenn Rechtstreitigkeiten über EU-rechtliche Fragen in
die Zuständigkeit einer Einrichtung fallen, die kein unabhängiges und
unparteisches Gericht ist. Auf dieser Basis entschied das Oberste Gericht
Polens im Dezember 2019 und im Januar 2020, dass die Disziplinarkammer kein
unabhängiges Gericht ist – weder nach EU-Recht noch nach polnischem Recht.
Dennoch arbeitete die Disziplinarkammer weiter. Deshalb beantragte die
EU-Kommission Ende Januar 2020 eine einstweilige Anordnung gegen Polen. Die
Disziplinarkammer solle bis zum Ende des Vertragsverletzungsverfahrens ihre
Tätigkeit einstellen. Der EuGH erließ die beantragte Anordnung am 8. April
2020.
Polen ignorierte jedoch diesen Eil-Beschluss des EuGH. Die
Disziplinarkammer arbeitete weiter. Die EU-Kommission hätte nun zwar ein
Zwangsgeld gegen Polen beantragen können, verzichtete aber darauf.
Stattdessen leitete die EU-Kommission Ende März 2021 ein neues
Vertragsverletzungsverfahren gegen die polnische Justizreform ein. Diesmal
ging es gegen das so genannte „Maulkorb-Gesetz“, das es polnischen
Gerichten verbietet, die richterliche Unabhängigkeit anderer polnischer
Gerichte zu prüfen und eine Vorabentscheidung des EuGH zu beantragen.
## Einstweilige Anordnung
In diesem Gesetz, das bereits im Februar 2020 in Kraft getreten war, wurde
ausdrücklich die Weiterarbeit der Disziplinarkammer am Obersten Gericht
angeordnet. (C-204/21)
Neben dem erneuten Vertragsverletzungsverfahren hat die EU-Kommission auch
in diesem Verfahren eine einstweilige Anordnung des EuGH beantragt. Ein
Beschluss des EuGH steht noch aus. Der Kampf um die polnische
Disziplinarkammer geht also auf mehreren Ebenen weiter.
6 May 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Christian Rath
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