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# taz.de -- Urteil zur Justizreform in Polen: „Systemische Zweifel“
> Der EuGH verpflichtet Polens Oberstes Verwaltungsgericht, die Ernennung
> von Richtern zu kontrollieren – obwohl es das eigentlich nicht mehr darf.
Bild: Gerichtssaal im Obersten Gericht Warschau
Freiburg taz | Die polnische Justiz muss auf die Anwendung polnischen
Rechts verzichten, wenn dieses „systemische Zweifel“ an der Unabhängigkeit
der polnischen Justiz wecken kann. Dies entschied an diesem Dienstag der
Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem neuen Urteil zu der seit Jahren
hoch umstrittenen [1][polnischen Justizreform]. Es geht um die Besetzung
von Gerichten.
Seit 2015 regiert die nationalkonservative Partei PiS in Polen. Seitdem
versucht sie, die Justiz unter ihre Kontrolle zu bekommen. Verschiedene
Gesetze veränderten unter anderem die Regeln für die Besetzung des
Verfassungsgerichts, des Obersten Gerichts und des Justizverwaltungsrats,
der die Richter vorschlägt und de facto wählt.
Im konkreten Fall hatte der neu zusammengesetzte [2][Justizverwaltungsrat]
im August 2018 Vorschläge zur Besetzung von acht Richterstellen am Obersten
Gericht Polens gemacht. Fünf Bewerber, die nicht berücksichtigt wurden,
klagten dagegen beim Obersten Verwaltungsgericht Polens.
Allerdings sah das polnische Recht seit Juli 2018 vor, dass nur noch alle
Bewerber gemeinsam gegen die Besetzung von derartigen Richterstellen klagen
können. Das Oberste Verwaltungsgericht fand diese Regel absurd, weil eine
Klage dann ja nur zulässig wäre, wenn auch der erfolgreiche Bewerber gegen
das Verfahren klagt. Deshalb legte das Oberste Verwaltungsgericht den Fall
dem EuGH vor.
## Urteil: Richterernennung muss kontrollierbar sein
Daraufhin wurde 2019 das [3][polnische Recht erneut] geändert. Nun kann
gegen die Vorschläge des Justizverwaltungsrats für das Oberste Gericht gar
nicht mehr geklagt werden. Zudem wurden bereits erhobene Klagen für
erledigt erklärt.
Damit sollte auch der Vorlage an den EuGH der Boden entzogen werden. Doch
das Oberste Verwaltungsgericht, das noch nicht von der PiS kontrolliert
wird, legte auch diese Verschärfung dem EuGH zur Prüfung vor.
Der EuGH erklärte nun, dass eine Richterernennung grundsätzlich gerichtlich
kontrollierbar sein muss, vor allem wenn es eh schon Zweifel an der
Unabhängigkeit des Justizverwaltungsrats gibt. Der EuGH stellte fest, dass
die Regelung von Juli 2018 dazu geführt hat, dass die Klagemöglichkeit
gegen die Richterernennung „keinerlei echte Wirksamkeit“ mehr biete.
Nachdem aber selbst diese Möglichkeit abgeschafft und das Oberste
Verwaltungsgericht damit ausgeschaltet werden sollte, müsse das Oberste
Verwaltungsgericht nun selbst entscheiden, ob es diese Änderungen
„unangewendet“ lässt und seine frühere Zuständigkeit weiter wahrnimmt.
Hierzu sei es durch EU-Recht verpflichtet, wenn das polnische Recht
„systemische Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit“ der so
ernannten Richter wecken kann.
Nach der Vorgeschichte spricht viel dafür, dass das Oberste
Verwaltungsgericht sich weiterhin für zuständig erklärt und die Ernennungen
des Justizverwaltungsrats wegen dessen politischer Abhängigkeit von der
Regierungsmehrheit beanstandet. Allerdings ist fraglich, ob die Regierung
und die von ihr kontrollierten Teile der Justiz dies akzeptieren werden.
Der Kampf um die Unabhängigkeit der polnischen Justiz geht weiter. Az.:
[4][C-824/18]
2 Mar 2021
## LINKS
[1] /Justizreform-in-Polen/!5682162
[2] https://irre.taz.de/exec/inputmask.pl?sid=5098817c38be24e81e6dc0353e43c9b4&…
[3] /Mediensteuer-in-Polen/!5747010
[4] http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=238382&a…
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Polen
Justizreform
Justiz
PiS
EuGH
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