# taz.de -- Der Hausbesuch: Sie ist, wer sie sein will | |
> Die Schriftstellerin Priya Basil will Dinge stets aus neuen Perspektiven | |
> sehen. Das gilt auch für die Geschichte ihrer Familie. | |
Bild: Regale voller Bücher, viele von Frauen: Priya Basil in ihrer Wohnung | |
Priya Basil sagt, jede kann aufsaugen, was sie will, und sein, wer sie | |
will. Zu Besuch bei einer Autorin, die versucht, sich von ihren Prägungen | |
zu befreien. | |
Draußen: Eine ruhige Gegend in Berlin-Mitte. Eine Frau nimmt ein Kind an | |
die Hand, das schreit. Ein Mann, vielleicht der Vater, schiebt den | |
Kinderwagen. Ein echter Frühlingstag. Die ersten Menschen laufen im T-Shirt | |
rum. Priya Basil öffnet, fragt: „Wie geht’s?“ und bietet das Du an. | |
Drinnen: Regale voller Bücher, viele von Frauen. Basil zeigt eine Ausgabe | |
der Modezeitschrift Vogue, in der auch sie abgebildet ist. Es grüßt Matti, | |
Basils Mann. Seit 2010 wohnen sie in der Wohnung. Und sie wollen nicht weg | |
– wegen der Nachbarinnen und Nachbarn, sagt Basil. „Freunde sind wichtig“, | |
sagt ihr Mann. | |
Im Garten: Überall weiße Blüten, die vom Baum fallen. Das Gespräch findet | |
wegen der Pandemie draußen statt. Basil stellt einen Tisch ins Gras, | |
darauf: Muffins und Marzipan. „Ich bin damit aufgewachsen, dass niemand als | |
Gast kommen und ohne Essen wieder gehen kann“, sagt sie. | |
Die Maximen: Eine gute Gastgeberin sein – in ihrer Familie war das wichtig. | |
Der Mutter, „Mitgründerin einer Benimmschule“, ging es darum, alles perfekt | |
und den anderen recht zu machen. Ihre Großmutter Mumji wiederum wollte | |
gelobt werden – und in der Küche zugleich so etwas ausüben wie Macht. „Die | |
Küche war das Feld, wo sie wirklich geherrscht hat. Man musste immer mehr | |
essen, als man will.“ Diese Haltungen der Frauen hätten sie geprägt. | |
Wichtig sei es aber, nichts nachzuahmen, sondern „herauszutreten und etwas | |
anders zu sehen“. Basil hat Gastfreundschaft als politische und soziale | |
Idee untersucht und darüber ein Buch geschrieben. Es heißt | |
„Gastfreundschaft“. Das Wort „bedeutet für mich, offen zu sein für das,… | |
kommt.“ Das ist auch ihre persönliche Maxime. Sie übt sich stetig darin, | |
Dinge aus verändertem Blickwinkel zu sehen. | |
Kosmopolitin: [1][1977 wurde sie in London geboren – als Kind indischer | |
Eltern.] Als sie ein Jahr alt war, zog die Familie nach Kenia. Sie führten | |
ein Leben zwischen England und der indischen Sikh-Community in Nairobi. Als | |
das ostafrikanische Land noch britische Kolonie war, sind viele von Indien | |
dorthin gezogen, um für die Kolonialregierung zu arbeiten. So auch ihre | |
Großeltern. | |
Komplizin: Ihre Familie habe sich in einer „sonderbaren Situation“ | |
befunden: Als Inder waren sie Kolonialisierte, als indischstämmige Briten | |
Kolonialisten. Basil spricht von „Komplizenschaft“. Bei ihrer Großmutter | |
sei es viel um Hautfarbe gegangen, darum, dass ihr Basils Mutter zu dunkel | |
sei. Basil spricht von einer „Hierarchie der Schönheit“, sagt: „Sie war … | |
kolonialen Erbe geprägt.“ | |
Bildung: Mit 16 Jahren ging Basil auf ein Internat in England. Über | |
Kolonialismus habe sie dort kaum etwas gelernt, mehr über den Holocaust. | |
Studiert hat sie danach englische Literatur in Bristol. „Vieles, was ich in | |
meinem Leben gelesen habe, war eurozentrisch und männlich.“ | |
Wege: Nach dem Studium arbeitete sie zunächst in der Werbebranche. „Es ist | |
für mich erstaunlich, dass ich mich für diese Branche entschieden habe“, | |
sagt sie. „Ich dachte, es ist kreativ und ich würde gut verdienen, aber es | |
war so oberflächlich.“ Sie brach aus, der Umzug nach Berlin machte es | |
leicht. | |
Liebe: Matti lernte sie im Italienurlaub kennen. Ein Deutscher, zwölf Jahre | |
älter, nicht indisch, er war geschieden. Basil erzählt, dass die Familie | |
mit ihm zunächst nicht einverstanden war. Basil wuchs in der indischen | |
Community in Kenia mit traditionellen Familien- und Rollenbildern auf – und | |
mit vielen Religionen. Die indische Community sei vielfältig gewesen, ihre | |
beste Freundin war Muslimin. Zugleich gab es Spannungen. „Es gab eine Nähe | |
und gleichzeitig Distanz“, sagt Basil. „Meine Eltern haben gesagt, du | |
kannst niemals einen Muslim oder einen Weißen oder Schwarzen heiraten.“ | |
Schriftstellerin: Ihr erster Roman handelt von einem Familiengeheimnis, | |
einem unehelichen Kind. Auch ihre Großmutter hat eine uneheliche Tochter – | |
und hielt das geheim. „Die Frauen in unserer Familie konnten nicht | |
solidarisch miteinander sein“, sagt Basil. „Das Bedürfnis, das Gesicht | |
nicht zu verlieren, war wichtiger, als sich zu unterstützen in einem | |
patriarchalen System.“ | |
Erinnerung: In Deutschland habe sie begonnen, sich über Kolonialismus und | |
Erinnerungskultur stärker Gedanken zu machen – ausgehend von der | |
Sichtbarkeit des Holocausts im Berliner Stadtbild. Sie begann auch, ihr | |
Leseverhalten zu ändern, las viele Übersetzungen. Und: „In den letzten | |
Jahren habe ich versucht, nur Bücher von Frauen zu lesen.“ | |
Vorbild: Basil gefällt die Vorstellung, „dass man beim Denken und Handeln | |
mit anderen sich selbst entdeckt“. Inspiriert hat sie vor allem die Idee | |
der Pluralität von Hannah Arendt und deren damit verknüpfte Vorstellung von | |
Macht, die durch das Zusammenkommen vieler entsteht. Basil sagt: „Das hat | |
mich wirklich verlockt.“ | |
Textil: Auch beim Schreiben gehe es ihr um „die Macht der vielen Stimmen“, | |
die zusammenkommen. Basil spricht davon, dass Text und Textil etwas | |
gemeinsam haben: „Die Idee der Vielstimmigkeit, dass Dinge verwoben sind.“ | |
Basil verknüpft Theoretisches gern mit dem Alltäglichen, dem Persönlichen, | |
dem Hadern mit ihrem Umfeld und den Kämpfen mit sich selbst. So auch in | |
ihrem neuen Buch „Im Wir und Jetzt. Feministin werden“. | |
Vogue: Solidarität unter Frauen erlebte sie während eines Projektes für die | |
Vogue. Gemeinsam mit anderen aus der gemeinnützigen Organisation „Wir | |
machen das“ gestaltete sie eine Ausgabe der Modezeitschrift. Basil setzte | |
sich mit der Beziehung zu Kleidung auseinander. „Es war die Bereitschaft, | |
in dieses Kraftfeld des Kapitalismus, des Sexismus, des Rassismus zu treten | |
und zu versuchen, dem zu widerstehen und daraus etwas anderes zu machen.“ | |
Da war sie wieder, die Macht der Vielen, von der Arendt spricht. „Ich habe | |
seitdem weniger Angst, allein zu sein.“ Das klinge wie ein Widerspruch, sei | |
aber keiner. Gemeinschaft ist ihr wichtig – und politisches Engagement. | |
Darum hat sie auch die Vereinigung Authors for Peace gegründet: „Ich | |
dachte, wenn ich etwas mit anderen tue, wird es wirksamer sein.“ | |
Alt werden: Die Angst vor der Einsamkeit macht Basil zu schaffen. Sie | |
fürchtet sich davor, alleine alt zu werden, weil ihr Mann älter ist. Basil | |
geht davon aus, dass sie ihn überlebt. „Ich denke fast jeden Tag darüber | |
nach, weil meine Mutter alleine lebt.“ Ihre Eltern sind geschieden. Während | |
ihre Großmutter in einer Ehe verharrt sei, die sie nicht glücklich machte, | |
habe ihre Mutter den Mut aufgebracht, sich zu trennen. Basils Geschwister | |
leben verstreut, der Bruder in Kenia, die Schwester in Australien. Die | |
Mutter esse allein „mit Geräuschen vom Fernseher“. | |
Glück: Basil entschied mit 30, keine Kinder zu bekommen. „Ich hatte nicht | |
das Gefühl, dass ich das brauche“, sie sei zufrieden, wenn sie schreiben | |
kann und Freundschaften habe. Ihre Großmutter habe dafür kein Verständnis. | |
„Sie kann sich nicht vorstellen, dass jemand ein Leben ohne Kinder hat und | |
dennoch glücklich und zufrieden sein kann.“ Sie sieht das anders. | |
6 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Digitale-Eroeffnung-des-Humboldt-Forums/!5735796 | |
## AUTOREN | |
Lea De Gregorio | |
## TAGS | |
Geschlechtsidentität | |
Identitätspolitik | |
Kolonialismus | |
Feminismus | |
Identität | |
Familiengeschichte | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Der Hausbesuch: Er will es wissen | |
An seinem 22. Geburtstag fährt Y. nach Berlin. Mit 120 Euro in der Tasche | |
und dem Vorsatz, die beste Version seines Selbst zu werden. | |
Der Hausbesuch: Sie streiten über Gott und die Welt | |
Sozialdemokratisch, christlich, orthodox, feministisch, gläubig, | |
bikulturell und binational: Bei diesem Paar aus Leipzig kommt einiges | |
zusammen. | |
Der Hausbesuch: Eine Orgel in Daressalam | |
Sie will mit anderen Musik machen, nicht für sie. Mit 23 Jahren wurde Edda | |
Straakholder Kantorin einer Berliner Kirche, 43 Jahre blieb sie. | |
Der Hausbesuch: Der Idealist | |
Henning Beinert lebt mit Ingrid in einem Fachwerkhaus im Weserbergland. Die | |
Kinder sind aus dem Haus, nun genießen sie ihre Zweisamkeit. | |
Der Hausbesuch: Die Frau der vielen Leben | |
Rahel Mann hat sich als 5-Jährige ein Jahr vor den Nazis hinter einem | |
Schrank versteckt. Seitdem werfe sie nichts mehr aus den Stiefeln, sagt | |
sie. |