# taz.de -- Der Hausbesuch: Sie streiten über Gott und die Welt | |
> Sozialdemokratisch, christlich, orthodox, feministisch, gläubig, | |
> bikulturell und binational: Bei diesem Paar aus Leipzig kommt einiges | |
> zusammen. | |
Bild: Harmonisch sitzen die beiden zusammen im Wohnzimmer | |
Ihre Nachnamen sind ellenlang und in ihrer Gleichheit verschieden. Sie | |
heißt Alexandra Athanasopoulou Köpping. Aber er: Harald Köpping | |
Athanasopoulos. Griechische Tradition verlangt das so. | |
Draußen: Das Gründerzeithaus, in das Harald und Alexandra mit ihren beiden | |
Kleinkindern vor zwei Jahren gezogen sind, steht an einer Straßenkreuzung. | |
Es herrscht Leere an dieser Ecke, nur der Wind streicht um die Mauern. | |
„Schleußig ist ein Familienviertel in Leipzig“, sagt Harald Köpping | |
Athanasopoulos. | |
Drinnen: „In jedem griechischen Haus gibt es ein Kreuz und Ikonen“, sagt | |
Alexandra Athanasopoulou Köpping. Ihre Wohnung bildet dabei keine Ausnahme. | |
Dreieinhalb kleine Zimmer, dafür zwei Balkone. Im Kinderzimmer schwimmen | |
Guppys im Aquarium hin und her, kleine Fische mit großen Flossen. Im | |
Wohnzimmer nimmt ein riesiger Fernseher die Hälfte der ganzen Wand ein. | |
Daneben steht das Geburtstagsgeschenk, das Harald irgendwann für seine Frau | |
gekauft hat – ein großes Retroradio aus DDR-Zeiten. | |
Entdecken: Harald ist 32, Alexandra 33. Beide sind überzeugte | |
Sozialdemokrat*innen und Mitglieder der SPD. Beide gehen | |
regelmäßig in die Kirche. Während ihres Masterstudiums in Maastricht haben | |
sie sich kennengelernt und ineinander verliebt. | |
Glück: „Ich bin eine glückliche Frau“, sagt Alexandra. Ihre Familie mache | |
sie glücklich. Glück verbindet sie dabei vor allem mit Stolz. „Wenn die | |
Leiterin des Kindergartens meine Tochter lobt, dann bin ich stolz auf mein | |
Kind und irgendwie auch glücklich“, sagt sie. Ihr Glück ist an Erfolg | |
gebunden. Sie definiert sich sehr über ihren beruflichen und akademischen | |
Erfolg. Ihre Promotion habe sie glücklich gemacht. „Ich bin stolz auf mich, | |
auf das, was ich geschafft habe“, sagt Alexandra. Aber kann man nicht | |
einfach nur so glücklich sein? Ohne Erfolg sei sie unzufrieden. „Ich würde | |
immer darüber nachdenken, was ich falsch gemacht habe.“ | |
Masken-Skandal: Alexandra lebte und arbeitete in Brüssel, bevor sie nach | |
Leipzig umzog. „Die politische Situation macht mich hier sauer“, sagt sie. | |
„Plötzlich werden Menschen in Deutschland wach und wundern sich, dass etwas | |
mit dem politischen System nicht stimmt“, sagt sie und meint damit die | |
Maskenskandale in der CDU. Sie sei geschockt, dass Abgeordnete in | |
Deutschland nebenbei andere Beschäftigungen haben dürften. Deutsche könnten | |
auch etwas von griechischen und belgischen Parlamentarier*innen | |
lernen, sagt sie. Dort sei den Abgeordneten eine unternehmerische Tätigkeit | |
einfach untersagt. | |
Martin Schulz an der Küchenwand: Die Politik bewegt sie. Auch wenn sie am | |
Herd steht, sind ihre Gedanken im Europäischen Parlament. Ihr Mann | |
provoziert sie gerne. Der SPD-Genosse Harald, der in Liverpool seine | |
Doktorarbeit im selben Fach wie seine Frau geschrieben hat, kümmert sich | |
weniger ums Essen als um die politische Stimmung in der Küche. Und das in | |
Anwesenheit von Martin Schulz. Harald und Alexandra ließen sich mit dem | |
damaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments in Brüssel fotografieren | |
und hängten das Bild an die Küchenwand. „Das ist aber nicht der echte | |
Martin Schulz“, sagt Alexandra und lacht. „Es war eine Pappfigur.“ | |
Wenn Mutter kommt: Mit der Politik der Landesregierung und insbesondere | |
dem, was „Mutti“ in der Politik macht, sind die beiden zufrieden. „Mutti | |
macht eine gute Lokalpolitik.“ Die eigene Mutti ist gemeint, Sachsens erste | |
Staatsministerin für Gleichstellung und Integration. Wenn Petra Köpping die | |
Familie ihres Sohnes besucht, versuchen sie die Zeit anders zu genießen, | |
erzählt Harald, als nur über Politik zu reden. | |
Streit über die Quoten. Harald ist konservativ und Alexandra liberal. „Für | |
SPD-Verhältnisse“, betont Harald. Sie streiten vor allem über soziale | |
Themen. „Die Verteilung von Armut und Reichtum ist für mich wichtig“, sagt | |
Harald. Alexandra beschäftigt die Genderpolitik. Harald ist gegen Quoten | |
und fest davon überzeugt: „Menschen sollten aufgrund ihrer Kompetenzen | |
eingestellt werden und nicht wegen Quoten.“ Und warum passiert das nicht in | |
der Politik, oder dominieren Männer wegen ihrer Kompetenz? „Völliger | |
Quatsch“, sagt Alexandra. „Wir brauchen Quoten, um Frauen in unserer | |
Gesellschaft zu fördern. Und wenn sie in die Politik kommen, dann haben | |
auch andere Mädchen ein gutes Vorbild“, sagt sie. Und das habe Folgen. | |
„Männer werden sich gegenüber Frauen besser verhalten, wenn Frauen | |
ausreichend repräsentiert sind“, sagt sie. „Die Politik müssen wir weiter | |
pushen.“ | |
Gefährliche Diskussion: Harald bleibt erst mal still und kommentiert gar | |
nicht mehr. Sie streiten oft leidenschaftlich, wenn es um Politik geht. | |
Aber nicht so heftig, dass einer sagen müsste: „Heute schläfst du auf der | |
Couch.“ Die beiden lachen. „Gestern Abend waren wir aber kurz davor“, sagt | |
Harald halb im Ernst, halb im Scherz. Alexandra lacht noch lauter. | |
Gemeinsames: „Wir haben sogar davon geträumt, dass wir zusammenarbeiten“, | |
sagt Harald. Nun erfülle die Coronapandemie ihre Träume. Sie machen beide | |
Homeoffice. Beim Verein Arbeit und Leben Sachsen managt Harald Projekte, | |
die politische Bildung für ihre Stadt anbieten. Und Alexandra bringt | |
Jugendliche in Deutschland und in Griechenland zusammen. Im April hat das | |
Deutsch-Griechische Jugendwerk in Leipzig und Thessaloniki die Arbeit | |
aufgenommen, um Ideen und Begegnungen zu fördern. | |
Glaube: „Wir streiten aber nicht nur, wir haben ein gemeinsames | |
Menschenbild, die gleiche Weltanschauung und die gleichen religiösen | |
Ansichten“, sagt Harald. Er ist in der DDR geboren, ein echter Sachse, sein | |
Vater war „Verfechter des Sozialismus“. „Daher habe ich ein positives Bild | |
der DDR – von Zusammenhalt und Solidarität geprägt.“ Trotz des herrschend… | |
Atheismus sucht Harald Antworten auf vielen Fragen bei Gott. Die Frage „Was | |
ist der Sinn des Lebens“ bringt ihn mit 14 Jahren zur evangelischen Kirche. | |
Bis heute findet er die Hoffnung nicht in seiner Partei, der SPD, sondern | |
in seiner Gemeinde in Leipzig. „Mein Glauben hilft mir, die Dinge im Leben | |
besser einzuordnen“, sagt Harald. Und seiner Frau? „Wir beide glauben an | |
Gleiches. An Gott“, antwortet Harald und sagt noch: „Das führt zu einer | |
großen Nähe zwischen uns.“ | |
Kirche: Alexandra ist griechisch-orthodox getauft. „Mir ist es wichtig, die | |
Traditionen zu befolgen“, sagt sie. Dafür hat auch ihr Mann Verständnis, so | |
dass Ostern zum Beispiel nach griechischen Traditionen gefeiert wird. Und | |
auch die Kinder müssen unbedingt orthodox getauft werden. Die Religion | |
gehöre zur griechischen Identität. Eine Griechin zu sein, heißt für | |
Alexandra, mit der griechisch-orthodoxen Kirche verbunden zu sein. „Obwohl | |
ich die Kirche stark kritisiere, weil sie sich in die Politik einmischt.“ | |
Vor dem Fernseher: „Die großen wichtigen Fragen des Lebens“ beantwortet die | |
Familie gemeinsam, zurzeit vor dem Fernseher. Harald hat dafür ein ganzes | |
Regal mit DVDs angeschafft. „Die Pandemie verhindert ja, dass wir wie | |
früher ins Gotteshaus gehen“, sagt Harald und fügt hinzu: „Viele der DVDs | |
werden wir auch nach der Pandemie behalten.“ Alexandra zieht eine DVD aus | |
dem Regal. Darauf steht: „Der junge Messias“, ein Drama, das die | |
Kindheitsgeschichte von Jesus Christus erzählt. | |
30 May 2021 | |
## AUTOREN | |
Tigran Petrosyan | |
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