# taz.de -- Neues Album von Ja, Panik: Schlaf der Gerechten | |
> Sie sind ja noch da: Die Berliner Band Ja, Panik bindet auf ihrem neuen | |
> Album „Die Gruppe“ ein jazziges Saxofon ein – und entsagt den alten | |
> Slogans. | |
Bild: Ja, Panik mal nicht im Badezimmer | |
Das Badezimmer als utopischer Ort: Im Video zum Song „On Livestream“ | |
quetscht sich die Band Ja, Panik, Sänger und Gitarrist Andreas Spechtl, | |
Bassist Stefan Pabst und Schlagzeuger Sebastian Janata, zusammen in die | |
Wanne, Keyboarderin Laura Landergott sitzt auf dem Rand. Das teambuildende | |
Kuscheln passt auch zum Titel ihres neuen Albums, der da heißt [1][„Die | |
Gruppe“]. Sie massieren einander den Rücken und waschen des anderen Haare: | |
ein vergnügt-inniglicher Moment. | |
Dass die vorangegangenen Minuten, gefühlte Stunden, in der in fahles Licht | |
getauchten WG-Wohnung auf depressiv-lethargische Weise verdämmert wurden, | |
lässt die Synthpop-Anmutung der Musik zwar nicht vergessen. Doch das | |
Kuscheln im Bad, das Gemeinschaftliche sorgt nun für Entspannung: | |
Ineinander verknäult schlafen die vier am Ende des Songs den Schlaf der | |
Gerechten. | |
Mit Zeilen wie „Drinnen ich / Draußen nichts / Schau mich an / Eine nervöse | |
Gestalt“ und „Life’s a dream / On livestream“ wirkt dieser Song, genau … | |
weite Teile des gesamten Werks, wie ein Kommentar zur aktuellen Situation – | |
was sie aber dem Vernehmen nach nicht sind. Den Text zu „On Livestream“ | |
hatte Spechtl etwa schon während eines Iranaufenthalts 2017 geschrieben. | |
Themen, die pandemiebedingt vergangenes Jahr hochkochten, waren schon | |
vorher in der Welt. | |
## Finetuning im Burgenland | |
Im ersten Lockdown des letzten Frühjahrs existierten von den Songs bereits | |
Rohfassungen; coronabedingt verzögert nahm die Band sie dann im | |
österreichischen Burgenland auf – wo sich Ja, Panik in den frühen | |
Nullerjahren einst gegründet hatte. Jahre später landete die Band nach | |
einem Zwischenstopp in Wien schließlich in Berlin. | |
Als zum Neujahrstag 2021 Punkt Mitternacht ihr neuer Song „Apocalypse or | |
Revolution“ online ging, war das eine Überraschung – schließlich wusste m… | |
gar nicht, ob [2][es Ja, Panik noch gibt.] Zwischenzeitlich war sich | |
darüber auch die Band nicht so sicher. Spechtl veröffentlichte seit 2015 | |
drei Soloalben, das erste unter dem Alias Sleep; zudem arbeitete er als | |
Theatermusiker. Janata gründete mit seinem Vater die Band Worried Man & | |
Worried Boy und veröffentlichte zudem mit „Die Ambassadorin“ (2020) sein | |
Romandebüt. | |
Mit „Apocalypse or Revolution“ meldete sich die diskursfixierte Band zurück | |
und legte mit dem knapp sechseinhalb Minuten mäandernden, | |
intensiv-soghaften Track eine falsche Fähre – zumindest wenn man ihn als | |
Vorbote des neuen Albums verstand. Wirkten Ja, Panik früher wie | |
Diskurspopstreber, die die passenden Buzzwords am Start hatten, um | |
anschlussfähig an den subventionierten Kulturbetrieb zu sein, präsentieren | |
sie sich auf ihrem neuen Album deutlich weniger larmoyant und | |
manifestorientiert. | |
## Somnambule Moodiness | |
Eher transportiert „Die Gruppe“ somnambule Moodiness. In seinem wie immer | |
schön assoziativ verschränkten Denglisch sucht Spechtl nach Selbstverortung | |
zwischen Zweifel und Euphorie, zwischen „multitude und solitude“, wie es im | |
autobiografischen Song „1998“ heißt. Offene Fragen gibt es zuhauf: „Ja, … | |
Riss der Welt geht auch durch mich“ heißt es im eingangs erwähnten „On | |
Livestream“. | |
Das sehnsüchtige, sich suchend vorantastende Saxofon von Gastmusikerin | |
Rabea Erradi (ehemals [3][Die Heiterkeit]), das den Sound des Albums | |
entscheidend prägt, sorgt für jazzy-ambienthafte Grundstimmung. Produziert | |
hat die Musik Spechtl himself; stilistisch kommt der Sound näher an sein | |
abstrakteres Solowerk. Der Gitarre-trifft-Klavier-Indie-Sound früherer | |
Ja,-Panik-Alben, ist verschwunden. | |
Mit dem Vorgänger „Libertatia“ (2014) drängte es Ja, Panik Richtung Groov… | |
Popelemente klingen diesmal auch an. Etwa in dem unterhaltsamen, in seiner | |
Eingängigkeit nölenden Song „The Cure“. Mit dem knüpfen Ja, Panik | |
inhaltlich am ehesten an ihr vielerorts gefeiertes Album „DMD KIU LIDT | |
(2010) an. | |
Auf die Klage: „Doctor, bitte hör mir zu jetzt / Bitte hör mich bitte an / | |
Ich will ja nur, dass du mir zuhörst / Dass mir niemand helfen kann / Das | |
weiß ich eh“, antwortet der Gruppenchor, als solle man die Parole auswendig | |
lernen: „The only cure from capitalism is more capitalism“. Ist der | |
Kapitalismus durch Überaffirmation wirklich totzukriegen? Die wohlfeile | |
Kritik des Refrains wirkt etwas aus der Zeit gefallen. | |
Und doch fehlen dem Album die Slogans – zum Glück. Gewichen sind sie einer | |
Melancholie, die zu „DMD KIU LIDT“-Zeiten, zumindest in den Ohren der | |
Rezensentin, noch behauptet wirkte. Inzwischen changieren Ja, Panik | |
geschickt zwischen euphorischem Aufbegehren und Blues. Man darf sich | |
freuen, dass diese Band zurück ist – obwohl man sie gar nicht vermisst hat. | |
6 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /E-Mail-Roman-von-Ja-Panik/!5352569 | |
[2] https://blogs.taz.de/interview_mit_ja_panik_1_wenn_ich_zu_stefan_raab_gehe_… | |
[3] /Neues-Album-von-Die-Heiterkeit/!5573231 | |
## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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