# taz.de -- Rapper Mädness ist kein Gangster: Unangestrengt und locker fließe… | |
> Zwischen Apfelwein und Rap war nicht nur der berufliche Weg von Mädness | |
> ungewöhnlich. Auf seinem neuen Album „Mäd Löve“ setzt er auf Gefühl. | |
Bild: Mädness wieder als Rapper: Er spricht von Gefühlen statt von Autos | |
Es braucht nicht lange, bis man merkt: Dieser Rapper entspricht nicht dem | |
Bild, das man sich gemeinhin von Rappern macht. Es dauert keine 20 | |
Sekunden, da ist das klar, da werden die Zeilen gerappt: „Immer noch keinen | |
Sinn für Materielles/Das Gelaber darüber ermüdet mich.“ Acht Sekunden | |
später: „Scheiß mal auf’s Geld!“ Noch eine halbe Minute darauf: „Rapp… | |
haben wenig Erfahrung mit Frauen und Angst vor Gefühlen.“ So sieht er aus, | |
der Einstieg in „Mäd Löve“, das neue Album von Mädness. | |
Nein, den gängigen Klischees entspricht Mädness wirklich nicht. Da spricht | |
einer von Gefühlen statt von Autos. Er erzählt von Frauen, nicht von | |
Sexualobjekten. Und er hat einen ironischen Abstand zu sich selbst statt | |
einen Panzer aus Muskeln, Maulheldentum und Männlichkeit. Eins allerdings | |
hat Mädness dann doch: einen Migrationshintergrund. | |
Denn dass Marco Döll im Hessischen groß geworden ist, dass er in Darmstadt | |
gelebt hat, bevor er nach Berlin zog, das kann man hören in seinen | |
unangestrengt und locker fließenden Reimen und in seinem Rap-Stil, der nie | |
abgehackt ist, keine Ansammlung von Ausrufezeichen, sondern eher ein sanft | |
fließender Singsang. | |
Früher schimmerte der Hessische Dialekt nicht nur durch. Früher hatte | |
Mädness schon ziemlichen Erfolg im Underground-Hip-Hop, war eine allseits | |
geachtete Koryphäe des Freestyle-Rap, arbeitete zusammen mit Olli Banjo, | |
veröffentlichte mehrere Alben, durfte beim Splash vor dem Wu-Tang Clan | |
auftreten und das wichtigste deutsche Hip-Hop-Festival sogar einmal | |
moderieren, eine Art Ritterschlag in der Szene. | |
## Apfelwein statt Hip-Hop | |
Trotzdem verschwand der Rapper Mädness zu Beginn der Zehnerjahre aus dem | |
Rap, hatte „mit dem Hip-Hop abgeschlossen“, und baute stattdessen lieber | |
mit einem Freund eine kleine Brauerei auf. Schnell kam zum Bier – | |
natürlich, wir sind immer noch in Hessen – Apfelwein dazu, schließlich noch | |
Baseball-Kappen, Hoodies, Strickmützen. Name der Firma: „Gude“, die | |
hessische Übersetzung für „Prost“. | |
„De Gude“ ist auch der Spitzname von Döll, und der Gute erinnerte sich | |
irgendwann wieder an die Rap-Karriere, schmiss den Geschäftsführer-Job hin, | |
landete mit „Maggo“ gleich wieder einen Underground-Hit, zog nach Berlin | |
und nahm mit seinem ebenfalls rappenden Bruder Fabian, der unter dem | |
gemeinsamen Familiennamen Döll bekannt geworden war, ein Album auf. | |
Auf „Ich und mein Bruder“ verarbeiteten sie unter anderem den Tod ihres | |
Vaters, kümmerten sich kaum um die üblichen Rap-Erfolgsrezepte, stiegen | |
aber trotzdem auf Platz 21 der deutschen Charts ein und landeten in den | |
Bestenlisten der deutschen Hip-Hop-Medien. | |
Gleiches galt dann auch für „OG“, das 2019 erschienene erste Soloalbum von | |
Mädness nach der Pause. Dass die Abkürzung nicht für „Original Gangster“ | |
stand, sondern für „Original Gude“, signalisierte die Abkehr von allen | |
Klischees. Eine Einschätzung, die der Videoclip zum Titelsong, in dem | |
Mädness in Schlabberbademantel und Strickmütze Schlittschuh fährt, ebenso | |
bestätigt wie die Selbstcharakterisierung aus dem Song „Mässisch“: | |
„Südländischer Touch, Alman mit Hessenschnute“ beziehungsweise „Irgendwo | |
zwischen Dandy, Dittsche und Big Lebowski“. | |
## Verstrahlt und altersmilde | |
Dieses Konzept vom schon ein wenig tuddeligen, ganz bestimmt verstrahlten, | |
auch altersmilden Typen, der sich nach all den Jahren im Rapgeschäft sehr | |
viel mehr erlauben darf, perfektioniert Mädness nun weiter mit „Mäd Löve�… | |
Von der Cover-Gestaltung in einer grellbunten Ästhetik zwischen | |
Flower-Power und Jeff-Koons-Kitsch über die fast schon kindliche Freude an | |
Umlauten im Titel bis zu den Themen und ihrer musikalischen Umsetzung | |
bricht Mädness nahezu mit jedem weiteren Schritt eines der Gesetze, die zu | |
gelten scheinen, wenn man im Rap hierzulande eigentlich Erfolg haben will. | |
In „Handbremse“ aktualisiert Mädness die alte Frage vom sinnhaften Leben | |
mitten im turbogeilen Kapitalismus für die Instagram-Generation und fragt | |
sich, wie man noch aussteigen kann, wenn das Hamsterrad rotiert. Ansonsten | |
geht es schon mal ums Finanzamt, aber auch ums Dasein als solches, um | |
Selbstgeißelung, um Depressionen und um Alkoholismus. | |
„Wir haben recht behalten“ ist ein Hohelied auf „die Niederlagen und auf | |
die schlechten Zeiten, auf das Scheitern, auf das | |
Ständig-auf-die-Fresse-Fallen“, und was man daraus fürs Leben lernen kann. | |
In „Mittelfinger“ zeigt er denselben allen Rassisten, Nationalisten, | |
Sexisten und Antisemiten. In „Mantra“ schließlich empfiehlt Mädness doch | |
tatsächlich: „Sei ein guter Mensch!“ und „Pflege den Kontakt zur | |
Verwandtschaft!“ | |
## Party dürfen andere machen | |
So kontemplativ wie die Texte ist denn auch die Musik. Auf die Zwölf geht | |
es so gut wie gar nicht, Party dürfen andere feiern. Stattdessen sind | |
Soft-Rock-Anleihen ebenso möglich wie klassische Hip-Hop-Beats, | |
New-Age-Geflöte und Yacht-Pop. | |
In einem Stück wie „Was hab ich getan?“ benutzt Mädness ein Sample, das m… | |
seiner beständig rotierenden Soulstimme und den hörbar rauschenden | |
Flohmarktkratzern klingt wie eine Verbeugung vor dem Oldschool-Rap, aber | |
auch nur ganz kurz vor der Karikatur haltmacht. | |
Und „Boot“, das wundervolle Duett mit Mine, hat endgültig nicht mehr viel | |
zu tun mit Rap, sondern ist ein moderner Popsong, der liebevoll das Ende | |
einer Beziehung beleuchtet, und in dem die beiden Zeilen singen, die man | |
seit dem Ende von Freundeskreis im deutschen Hip-Hop lange suchen konnte: | |
„Eine Liebe braucht immer zwo/Eine Krise braucht den Dialog.“ Im | |
dazugehörigen Videoclip balancieren sich Mädness und Mine mit Gläsern auf | |
dem Kopf durch eine Mini-Romcom, in der viel Glas zu Bruch geht. Aber | |
Scherben bringen ja angeblich Glück, und das kann Mädness gut gebrauchen | |
auf seinem Weg zum unwahrscheinlichen Rap-Star. | |
10 May 2021 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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